schätzen, zur Frau zu nehmen – kurzum, ein beglückter Werther zu sein, anstatt fortwährend um sein Glück zu zittern, unaufmerksamen Ohren mit Mühe ein paar Worte zuzuraunen, im Theater nachzuspähen, ob die betreffende Frisur eine rote oder weiße Blume trägt, und im Bois, ob auf dem betreffenden Wagenschlag eine behandschuhte Hand sich zeigt, wie das in Mailand beim Korso üblich ist; anstatt hinter irgendeiner Tür einen hastigen Kuß zu stehlen, wie der Bedienstete den Schluck aus der Flasche; anstatt seinen Geist darauf zu verwenden, gleich einem Postboten Briefe abzuholen und fortzutragen; anstatt heute fünf Bände Folio und morgen zwei kleine Selten lesen zu müssen, was alles sehr ermüdend ist!‹ ›Nun,‹ sagte Rastignac, ›wenn ich an deiner Stelle wäre, so würde ich mich vielleicht in diese Askese stürzen, sie ist neu, eigenartig und wenig kostspielig. Deine Mona Lisa ist lieblich, aber dumm wie eine Ballettmusik, das sage ich dir gleich.‹ Die Art, wie Rastignac diese letzte Bemerkung machte, ließ Beaudenord glauben, sein Freund habe ein Interesse daran, ihn zu ernüchtern; als ehemaliger Diplomat vermutete er in dem andern den Rivalen. Ein verfehlter Beruf verfolgt uns durchs ganze Leben. Godefroid verliebte sich so gründlich in Fräulein Isaure d’Aldrigger, daß Rastignac an ein im Spielsalon plauderndes großes Mädchen herantrat und ihr zuflüsterte: ›Malvina, Ihre Schwester hat einen Fisch im Netze zappeln, der achtzehntausend Livres Rente wiegt, er hat einen Namen, ein gewisses Ansehen in der Gesellschaft und weiß sich Haltung zu geben, haben Sie acht auf die beiden! Wird es eine ernste Liebe, so versuchen Sie, Isaures Vertrauen zu gewinnen, damit sie keine unüberlegte Antwort gibt.‹ Gegen zwei Uhr morgens erschien der Kammerdiener bei einer kleinen Sennerin von vierzig Jahren, an deren Seite Isaure weilte, und sagte: ›Der Wagen der Frau Baronin ist vorgefahren.‹ Godefroid sah daraufhin, wie seine Balladenschönheit ihre abenteuerliche Mutter in das Vorzimmer führte, wo Malvina sich ihnen zugesellte. Godefroid, der (welch ein Kind!) vorgab, nachsehen zu wollen, in welchen Einmachtöpfen Joby ertrunken sei, hatte das Glück, zu sehen, wie Isaure und Malvina ihrer lebhaften kleinen Mutter in den Pelz halfen und einander beistanden, sich für die nächtliche Fahrt durch Paris vorzubereiten. Die beiden Schwestern beobachteten ihn von der Seite, gleich klugen Kätzchen, die ein Mäuslein belauern, während sie es scheinbar gar nicht beachten. Er bemerkte mit Genugtuung das wohlerzogene Benehmen und die schöne Livree des weißbehandschuhten Elsässers, der seinen drei Gebieterinnen große Pelzschuhe brachte. Selten waren zwei Schwestern einander unähnlicher als Isaure und Malvina. Die Ältere groß und brünett, Isaure klein und blond; diese hier zierlich mit zarten Gesichtszügen, jene von kühnen, kräftigen Formen; Isaure war das Weib, das durch seinen Mangel an Kraft den Mann beherrscht und das zu beschützen sogar ein Gymnasiast sich berufen fühlt, neben ihrer Schwester erschien Isaure wie ein Miniaturporträt neben einem Ölgemälde. ›Sie ist reich!‹ sagte Godefroid zu Rastignac, als er wieder in den Ballsaal trat. ›Wer?‹ ›Dieses junge Mädchen.‹ ›Ah! Isaure d’Aldrigger? Ja freilich. Die Mutter ist Witwe; ihr Gatte hatte in Straßburg seinerzeit auch Nucingen angestellt. Willst du sie wiedersehen, so erweise dich Frau von Restaud liebenswürdig; sie gibt übermorgen einen Ball, auf dem auch die Baronin d’Aldrigger mit ihren beiden Töchtern erscheint, du wirst eingeladen werden!‹ Drei Tage lang erblickte Godefroid in der Dunkelkammer seines Gehirns seine Isaure und die weißen Kamelien, wie wir einen hellbeleuchteten Gegenstand, den wir lange angeblickt, mit geschlossenen Augen bunt und strahlend durchs Dunkel tanzen sehen.«
»Bixiou, du verlierst dich ins Wundersame, stelle uns lieber Bilder auf!« sagte Couture. »Hier!« erwiderte Bixiou und nahm anscheinend die Haltung eines dienstbeflissenen Kellners an, »hier, meine Herren, das gewünschte Bild! Achtung, Finot! Man muß dir über den Mund fahren, wie der Droschkenkutscher seiner Schindmähre! Frau Theodora Marguerite Wilhelmine Adolphus (aus dem Hause Adolphus & Cie., Mannheim), Witwe des Barons d’Aldrigger, war keine gute dicke Deutsche, die, blond und bedächtig, eine Gesichtsfarbe hat wie der Schaum auf dem Bier, und mit allen ehrwürdigen Tugenden gesegnet ist, die Germanien aufzuweisen hat. Ihre Wangen waren noch frisch und rotbäckig, wie bei einer Nürnberger Puppe, reiche Korkzieherlocken, verführerische Augen, kein einziges weißes Haar, eine zierliche Gestalt, deren Vorzüge ein gutsitzendes Mieder noch erhöhte. Sie hatte auf der Stirn und an den Schläfen ein paar unerwünschte Falten, die sie, gleich Ninon, lieber an den Füßen gehabt hätte, aber die Falten fuhren fort, an den sichtbarsten Stellen ihr Zickzack einzugraben. Die Nasenspitze rötete sich, was um so unangenehmer war, als die Nase nun mit der Farbe der Wangen harmonierte. Als einziges Kind von ihren Eltern verwöhnt, verwöhnt von ihrem Gatten und von ganz Straßburg, verwöhnt auch von ihren beiden Töchtern, die sie anbeteten, gestattete sich die Baronin, Rot aufzulegen, gestattete sich den kurzen Rock und die Schleife am Taillenschluß. Begegnet ein Pariser der Baronin auf dem Boulevard, so lächelt er und verurteilt sie, ohne irgendwelche mildernde Umstände gelten zu lassen. Der Spötter ist stets ein oberflächlicher und darum grausamer Mensch; der Narr bedenkt nicht, daß die Gesellschaft selbst zum großen Teil das Lächerliche geschaffen hat, das er belacht, denn die Natur setzt lediglich Geschöpfe in die Welt, die Dummen und Hansnarren verdanken wir dem sozialen Staat.«
»Was mir an Bixiou gefällt,« sagte Blondet, »ist, daß er bei der Stange bleibt: sobald er nicht die andern verspottet, lacht er wenigstens über sich selbst.«
»Blondet, ich werde dir das vergelten,« sagte Bixiou bedeutungsvoll. »War die Baronin leichtsinnig, sorglos, selbstsüchtig und ohne jede Rechengabe, so traf die Verantwortlichkeit für diese Fehler das Haus Adolphus & Cie. in Mannhelm und die blinde Liebe des Barons d’Aldrigger. Sanft wie ein Lamm, hatte die Baronin ein zärtliches, leicht entflammtes Herz; unglücklicherweise aber dauerte die Glut nie lange und wurde darum oft erneuert. Als der Baron starb, wäre unsere Sennerin ihm am liebsten gefolgt, so heftig und aufrichtig war ihr Schmerz; aber am andern Morgen, beim Frühstück, trug man ihr junge grüne Erbsen auf, ein Gericht, das sie sehr liebte, und diese köstlichen jungen Erbsen linderten ihr Leid. Sie wurde von ihren Töchtern und Dienstboten so abgöttisch verehrt, daß das ganze Haus dem Umstand dankbar war, der ihnen gestattete, der Baronin den schmerzlichen Anblick des Trauerzuges zu entziehen. Isaure und Malvina verbargen der angebeteten Mutter ihre Tränen und beschäftigten sie mit Anprobieren und Auswahl der Trauerkleider – während man draußen das Requiem sang. Wenn auf dem großen schwarzweißen