Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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»Mein liebes Kind, niemand kennt diesen jungen Mann; aber, vorausgesetzt, daß er kein unehrenhafter Mann ist, soll er mir von dem Augenblick an, wo du ihn liebst, ebenso teuer sein wie ein Sohn.«
»Ein unehrenhafter Mann?« erwiderte Emilie, »darüber bin ich ganz beruhigt. Der Onkel, der ihn uns vorgestellt hat, kann Ihnen für ihn gutsagen. Sagen Sie doch, lieber Onkel, ist er ein Seeräuber, ein Freibeuter, ein Korsar gewesen?«
»Das habe ich mir gedacht, daß es dahin kommen würde«, rief der alte Seemann, der aus dem Schlafe erwachte, aus.
Er sah sich im Salon um, aber seine Großnichte war verschwunden, wie ein Sankt-Elmsfeuer, um seinen üblichen Ausdruck anzuwenden.
»Nun also, lieber Onkel,« begann Herr von Fontaine wieder, »wie haben Sie uns nur alles, was Sie über den jungen Mann wissen, verheimlichen können? Sie mußten doch sehen, wie beunruhigt wir waren. Ist Herr von Longueville von guter Familie?«
»Ich kenne ihn nicht von Adams oder von Evas Seite her«, rief der Graf von Kergarouet aus. »Ich habe mich auf den Takt unsres kleinen Tollkopfs verlassen und ihr ihren Saint-Preux durch ein mir bekanntes Mittel zugeführt. Ich weiß nur, daß der Junge wunderbar schießt, ein vortrefflicher Jäger ist, vorzüglich Billard, Schach und Triktrak spielt; er ficht und reitet wie der selige Ritter Sankt Georg. Er ist kultiviert wie unsere Weinberge. Er rechnet wie Barème, er zeichnet, tanzt und singt gut. Also, was, zum Teufel, wollt ihr denn noch? Wenn das nicht ein vollkommener Edelmann ist, so zeigt mir doch einen Bürgerlichen, der das alles kann, einen Menschen, der so vornehm lebt wie er. Tut er irgendwas? Entwürdigt er sich damit, daß er in ein Bureau geht, um sich vor den Parvenus, die ihr Generaldirektoren nennt, zu verneigen? Er geht mit erhobenem Haupte umher, er ist ein Mann. Übrigens habe ich eben in meiner Westentasche die Karte gefunden, die er mir überreicht hat, als die arme Unschuld dachte, ich wollte ihm den Hals brechen! Die heutige Jugend ist nicht sehr gerissen. Hier ist sie.«
»Rue du Sentier Nummer fünf«, sagte Herr von Fontaine und versuchte sich zu erinnern, ob unter den Auskünften, die er erhalten hatte, eine sich auf den jungen Unbekannten beziehen könnte. »Was, zum Teufel, bedeutet das? Die Herren Palma, Werbrust und Kompanie, deren Hauptgeschäft ein Engroshandel mit Musselin, Schirting und bunten Stoffen ist, die wohnen ja dort. Jetzt weiß ich Bescheid, Longueville, der Abgeordnete, ist bei ihrem Hause beteiligt. Aber Longueville hat, wie ich weiß, nur einen Sohn von zweiunddreißig Jahren, der unserm hier absolut nicht ähnlich ist, und dem er fünfzigtausend Franken Rente mitgeben will, damit er die Tochter eines Ministers heiratet; er möchte gern, wie andere auch, zum Pair ernannt werden. Niemals habe ich ihn von diesem Maximilian reden hören. Hat er eine Tochter? Und ist das diese Klara? Übrigens kann sich ja jeder Schwindler Longueville nennen. Aber ist die Firma Palma, Werbrust und Kompanie nicht halb ruiniert durch eine Spekulation in Mexiko und Indien? Ich werde das alles aufklären.«
»Du redest ganz allein, als ob du auf der Bühne ständest, und scheinst mich für eine Null anzusehen«, sagte plötzlich der alte Seemann. »Weißt du denn nicht, daß ich, wenn er ein Edelmann ist, mehr als einen Sack in meinen Luken stehen habe, mit dem ich seinem Vermögen aufhelfen werde?«
»Was das anlangt, so hat er das, wenn er ein Sohn von Longueville ist, nicht nötig; aber«, sagte Herr von Fontaine und wiegte den Kopf hin und her, »sein Vater hat ja nicht einmal ›Seife an die Kanaille verkauft‹. Vor der Revolution war er Staatsanwalt, und das ›von‹, das er seit der Restauration sich angeeignet hat, gehört ihm ebensogut, wie die Hälfte seines Vermögens.«
»Ja, ja! Glücklich die Leute, deren Väter gehenkt worden sind«, rief der Seemann vergnügt.
Drei oder vier Tage nach diesem denkwürdigen Tage war Fräulein von Fontaine an einem der schönen Novembervormittage, da die Pariser Boulevards durch die scharfe Kälte des ersten Frostes trocken geworden sind, in einem neuen Pelz, den sie in Mode bringen wollte, mit ihren beiden Schwägerinnen, die sie früher am meisten mit Bosheiten überschüttet hatte, ausgefahren. Die drei Damen waren zu dieser Promenade in Paris weit weniger veranlaßt worden, weil sie einen neuen, sehr eleganten Wagen probieren oder Kleider, die für die Wintermode den Ton angeben sollten, zeigen wollten, als um eine Pelerine anzusehen, die einer ihrer Freundinnen in einem vornehmen Wäschegeschäft an der Ecke der Rue de la Paix aufgefallen war. Als die drei Damen den Laden betreten hatten, zog die Baronin von Fontaine Emilie am Ärmel und zeigte ihr Maximilian Longueville, der im Kontor saß und damit beschäftigt war, mit kaufmännischer Gewandtheit einer Nähterin, mit der er zu verhandeln schien, ein Goldstück zu wechseln. In der Hand hielt der »schöne Unbekannte« mehrere Proben, die keinen Zweifel über seinen ehrenwerten Beruf ließen. Ohne daß jemand es wahrnahm, wurde Emilie mit Eiskälte durchrieselt. Aber dank der Lebensart der guten Gesellschaft verbarg sie vollkommen die Wut, die ihr ans Herz griff, und antwortete ihrer Schwägerin: »Ich wußte es!« mit so voller Stimme und so unnachahmlicher Betonung, daß die berühmteste Schauspielerin dieser Zeit sie darum beneidet haben würde. Dann näherte sie sich dem Kontor. Longueville erhob den Kopf, steckte die Proben mit verzweifelter Kaltblütigkeit in die Tasche, grüßte Fräulein von Fontaine und näherte sich ihr, indem er ihr einen durchdringenden Blick zuwarf.
»Fräulein,« sagte er zu der Nähterin, die ihm mit unruhiger Miene gefolgt war, »ich werde zu Ihnen schicken und die Rechnung bezahlen lassen, unsere Firma wünscht es so. Aber, halt,« fügte er leise hinzu und gab ihr einen Tausendfrankenschein, »nehmen Sie das: aber das ist eine Sache unter uns. – Ich hoffe, Sie werden mir verzeihen«, sagte er und wandte sich wieder an Emilie. »Haben Sie die Güte, mich mit dem Drange der Geschäfte zu entschuldigen.«
»Das kann mir wohl sehr gleichgültig sein, mein Herr«, erwiderte Fräulein von Fontaine und betrachtete ihn mit einer Selbstsicherheit und einer spöttischen Gleichgültigkeit, daß man glauben mußte, sie sähe ihn zum ersten Male.
»Sprechen Sie im Ernst so?« fragte Maximilian mit stockender Stimme.
Emilie wandte ihm mit unglaublicher Verachtung den Rücken. Die wenigen, leise gewechselten Worte waren der neugierigen Aufmerksamkeit der beiden Schwägerinnen entgangen. Nachdem sie die Pelerine