Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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»Ach, liebe Klara, ich hatte Angst, es könnte Ihr Mißfallen erregen, weil ich so über die gesprochen habe, die nicht von Adel sind.«
»Oh, beruhigen Sie sich. Heute hat so etwas ja keine Bedeutung mehr. Mich selber berührt das nicht: ich komme hierbei nicht in Frage.«
Wie zweideutig diese Antwort auch klang, Fräulein von Fontaine war hocherfreut darüber; denn wie alle leidenschaftlich erregten Menschen legte sie sie sich wie einen Orakelspruch in dem Sinne aus, der ihren Wünschen entsprach, und war froher als je, wenn sie beim Tanzen auf Longueville blickte, der in Wesen und Eleganz beinahe noch ihr erträumtes Ideal übertraf. Und sie empfand eine um so tiefere Befriedigung, wenn sie nun dachte, daß er adelig sei; ihre schwarzen Augen strahlten, und sie gab sich dem Tanze mit all der Wonne hin, die man in Gegenwart des Geliebten empfindet. Niemals verstanden sich die beiden Liebenden besser als jetzt; und mehrmals fühlten sie, wie ihre Finger bebten, wenn sich ihre Hände beim Kommando des Kontertanzes berührten.
So kam für das schöne Paar der Beginn des Herbstes unter dauernden Festen und Vergnügungen heran, während es sich weiter dem süßesten Gefühl, das das Leben kennt, hingab und es durch tausend kleine Geschehnisse, die sich jeder vorstellen kann, noch stärker werden ließ: die Liebeshändel gleichen einander ja alle. Dabei suchte einer den andern auszuforschen, soweit eine solche Prüfung geschehen kann, wenn man verliebt ist.
»So schnell hat ein Liebeshandel wohl noch nie zu einer Neigungsheirat geführt, wie es hier kommt«, sagte der alte Onkel, der die beiden jungen Leute mit seinen Blicken verfolgte, wie wenn ein Naturforscher ein Insekt unter das Mikroskop nimmt.
Bei diesem Worte erschraken Herr und Frau von Fontaine. Der alte Vendéer war bezüglich der Heirat seiner Tochter doch nicht so indifferent, wie er vor kurzem erklärt hatte. Er hatte in Paris Erkundigungen angestellt und nichts erfahren können. Beunruhigt über diese mysteriösen Verhältnisse und noch ohne Nachricht über das Ergebnis einer Nachforschung, mit der er einen Pariser Sachwalter in Bezug auf die Familie Longueville betraut hatte, hielt er sich für verpflichtet, seiner Tochter ein vorsichtiges Verhalten anzuraten.
»Wenn du ihn liebst, meine liebe Emilie, so gestehe ihm das wenigstens nicht!«
»Es ist wahr, lieber Vater, ich liebe ihn, aber ich werde es ihm nicht eher sagen, als bis Sie es mir erlaubt haben.«
»Jedenfalls mußt du bedenken, Emilie, daß du über seine Familie und seinen Beruf noch ganz im Unklaren bist.«
»Wenn ich das auch bin, das gilt mir gleich. Sie wünschen doch, lieber Vater, daß ich mich verheirate, und haben mir gestattet, frei zu wählen; meine Wahl ist unwiderruflich getroffen, was ist also noch weiter nötig?«
»Es ist nötig, mein liebes Kind, zu wissen, ob der Mann deiner Wahl der Sohn eines Pairs von Frankreich ist«, erwiderte ironisch der ehrenwerte Edelmann.
Emilie verharrte einen Augenblick in Schweigen. Bald aber erhob sie das Gesicht, sah ihren Vater an und sagte mit einer gewissen Unruhe: »Sind die Longueville?« …
»Erloschen mit der Person des alten Herzogs von Rostein-Limbourg, der 1793 auf dem Schaffot geendet hat. Er war der letzte Abkömmling der letzten jüngeren Linie.«
»Aber es gibt, lieber Vater, doch sehr gute Familien, die von Bastarden abstammen. Die Geschichte Frankreichs wimmelt von Fürsten, deren Wappen einen Querbalken trägt.«
»Deine Ansichten haben sich sehr geändert«, sagte der alte Edelmann lächelnd.
Der nächste Tag war der letzte, den die Familie Fontaine in der Villa Planat zubringen wollte. Emilie, die die Mitteilungen ihres Vaters sehr beunruhigt hatten, erwartete mit lebhafter Ungeduld die Stunde, zu der der junge Longueville zu erscheinen pflegte, um eine Erklärung von ihm zu erlangen. Nach dem Diner begab sie sich allein in den Park und lenkte ihre Schritte nach einem verschwiegenen Boskett, wo sie der sehnsüchtige junge Mann, wie sie wußte, aufsuchen würde; während sie hinging, überlegte sie, wie sie dieses wichtige Geheimnis, ohne sich bloßzustellen, herausbekommen sollte; ein recht schwieriges Unternehmen! Bisher hatte noch kein offenes Geständnis die Neigung, die sie mit dem Unbekannten verband, offenbart. Sie, wie Maximilian, beide hatten die Süße der ersten Liebe genossen, aber da beide gleich stolz waren, schien jeder sich vor dem Geständnis, daß er liebe, zu scheuen.
Maximilian Longueville, dem Klara hinreichend begründete Bedenken über Emilies Charakter eingeflößt hatte, wurde abwechselnd bald von der Heftigkeit der Leidenschaft eines jungen Mannes hingerissen, bald von dem Verlangen zurückgehalten, die Frau, deren Händen er sein Lebensglück anvertrauen wollte, genau kennenzulernen und zu prüfen. Seine Liebe hatte ihn nicht gehindert, bei Emilie die Vorurteile wahrzunehmen, die dieses junge Wesen verunzierten; aber er wollte wissen, ob er geliebt würde, bevor er gegen sie ankämpfte; er wollte sein Liebesglück ebensowenig aufs Spiel setzen wie sein Lebensglück. Er hatte daher beständig Schweigen bewahrt, wenn auch seine Blicke, seine Haltung und das Geringste, was er tat, es Lügen straften. Auf der andern Seite hinderte der natürliche Stolz eines jungen Mädchens, der bei Fräulein von Fontaine noch durch die törichte Eitelkeit auf ihre vornehme Geburt und ihre Schönheit gesteigert war, diese, eine Erklärung herauszufordern, wozu ihre wachsende Leidenschaft sie manchmal drängen wollte. So hatten die beiden Liebenden instinktiv ihre Situation verstanden, ohne sich über ihre geheimen Beweggründe klarzuwerden. Es gibt im Leben Augenblicke, da jungen Seelen das Ungewisse lieb ist. Gerade weil jeder schon allzulange mit der Aussprache gezögert hatte, schienen sich alle beide ein grausames Vergnügen mit ihrem Abwarten zu machen. Der eine suchte zu erforschen, ob er wirklich bis zur Überwindung, die ein Geständnis seine stolze Geliebte kosten würde, geliebt werde, die andere hoffte jeden Augenblick, daß das allzu zurückhaltende Schweigen gebrochen werden würde.
Auf einer Gartenbank sitzend, überdachte Emilie alles, was sich während dieser herrlichen drei Monate ereignet hatte. Der Verdacht ihres Vaters war das letzte Bedenken, das sie noch hindern konnte, und sie machte etliche Gegengründe