Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Eines Abends, als Emilie mit ihrem Onkel ausgeritten war, dem seit Beginn der schönen Tage seine Gicht ziemlich lange Ruhe gelassen hatte, begegnete sie der Lady Dudley. Neben der berühmten Fremden saß in der Kalesche Herr von Vandenesse. Emilie erkannte das hübsche Paar, und ihr Verdacht war sofort verschwunden, wie Träume schwinden. Ärgerlich wie eine vergeblich wartende Frau, riß sie so scharf an den Zügeln, daß ihr Onkel die größte Mühe hatte, ihr zu folgen, so hatte sie ihr Pony los jagen lassen.
»Ich bin anscheinend zu alt geworden, um diese zwanzigjährigen Geister zu verstehen,« sagte sich der Seemann und setzte sein Pferd in Galopp, »oder vielleicht ist die heutige Jugend der ehemaligen nicht mehr ähnlich. Aber was hat denn meine Nichte? Jetzt läßt sie auf einmal ihr Pferd so langsam gehen, wie ein Gendarm in Paris auf der Straße patrouilliert. Man möchte beinahe sagen, daß sie den braven Bourgeois dort stellen will, der aussieht wie ein träumender Poet, denn er hat, wie mir scheint, ein Album in der Hand. Aber wie dumm bin ich! Sollte das nicht der junge Mann sein, nach dem wir auf der Suche sind?«
Bei diesem Gedanken mäßigte der alte Seemann den Gang seines Pferdes, um sich seiner Nichte ohne Geräusch nähern zu können. Der Vizeadmiral hatte selber zu viele Streiche im Jahre 1771 und den folgenden, in der Epoche, da die galanten Abenteuer beliebt waren, gemacht, um nicht sofort zu vermuten, daß Emilie rein durch Zufall den Unbekannten vom Ball von Sceaux wiedergetroffen hatte. Ungeachtet des Schleiers, den das Alter über seine grauen Augen gebreitet hatte, konnte der Graf von Kergarouet bei seiner Nichte die Zeichen ungewöhnlicher Erregung erkennen, trotz der Unbeweglichkeit, zu der sie ihr Gesicht zu zwingen versuchte. Der durchdringende Blick des jungen Mädchens war mit einer Art starren Staunens auf den Fremden gerichtet, der ruhig vor ihr herging.
»So ist es!« sagte sich der Seemann, »sie wird ihn verfolgen, wie ein Handelsschiff einen Korsaren verfolgt. Und wenn sie gesehen haben wird, daß er sich entfernt, dann wird sie in Verzweiflung sein, daß sie nicht weiß, ob er sie liebt und ob es ein Marquis oder ein Bürgerlicher ist. Die jungen Menschen müßten immer eine alte Perücke wie mich bei sich haben …«
Er trieb sein Pferd aufs Geratewohl vorwärts, so daß das seiner Nichte weiterging und schob es so schnell zwischen sie und den jungen Spaziergänger, daß er ihn zwang, schnell auf den grünen Rasenstreifen zu treten, der den Weg einsäumte. Während er sein Pferd jetzt anhielt, rief der Graf ihm zu:
»Können Sie denn nicht ausweichen?«
»Oh, Verzeihung, mein Herr«, antwortete der Unbekannte. »Ich wüßte nicht, daß ich mich bei Ihnen zu entschuldigen hätte, da Sie mich beinahe überritten haben.«
»Ach, Freundchen, keine Reden weiter«, erwiderte der Seemann scharf und in einem Tone, dessen höhnischer Klang etwas Beleidigendes hatte.
Gleichzeitig erhob der Graf seine Reitpeitsche, als ob er seinem Pferde einen Hieb versetzen wollte und streifte dabei die Schulter seines Gegners, während er sagte: »Die liberalen Bourgeois sind Kannegießer, und jeder Kannegießer sollte vorsichtig sein.«
Der junge Mann stieg bei dieser höhnischen Bemerkung die Straßenböschung hinauf, stellte sich hier mit gekreuzten Armen hin und erwiderte in sehr erregtem Tone:
»Mein Herr, wenn ich Ihr weißes Haar sehe, kann ich eigentlich nicht annehmen, daß es Ihnen noch Spaß macht, ein Duell zu provozieren.«
»Weißes Haar?« schrie der Seemann, ihn unterbrechend, »das lügst du in deinen Hals hinein, grau sind sie erst.«
Der so begonnene Disput wurde nach wenigen Sekunden so heiß, daß der junge Gegner den gemäßigten Ton, den er bis dahin festzuhalten sich bemüht hatte, fallen ließ. Sobald der Graf von Kergarouet seine Nichte mit allen Anzeichen lebhafter Unruhe sich ihnen nähern sah, nannte er seinem Widersacher seinen Namen und ersuchte ihn, vor der jungen Dame, die seiner Hut anvertraut war, Schweigen zu bewahren. Der Unbekannte konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, überreichte dem alten Seemann eine Karte, indem er ihn darauf aufmerksam machte, daß er ein Landhaus in Chevreuse bewohnte, und entfernte sich dann schnell, nachdem er es ihm näher bezeichnet hatte.
»Beinahe hättest du diesen armen Zivilisten verletzt, meine liebe Nichte«, sagte der Graf, der sich beeilt hatte, Emilie entgegenzureiten. »Du hast dein Pferd nicht fest im Zügel. Du läßt mich da meine Würde aufs Spiel setzen, damit ich deine Torheiten decke; wärst du bei mir geblieben, so hätte ein einziger Blick oder ein freundliches Wort von dir, wie du sie so nett zu sagen weißt, wenn du nicht rücksichtslos sein willst, alles in Ordnung gebracht, während er so einen Armbruch hätte davontragen können.«
»Aber, lieber Onkel, es war doch Ihr Pferd und nicht meins, das die Schuld trägt. Ich glaube wahrhaftig, Sie können nicht mehr reiten; Sie sind nicht mehr der gute Reiter, der Sie noch im letzten Jahre waren. Aber an Stelle dieses leeren Geredes …«
»Teufel nochmal! Das nennst du leeres Gerede, wenn du deinem Onkel Grobheiten sagst?«
»Müssen wir uns nicht erkundigen,