Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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»Ich habe es meiner Tochter Emilie überlassen, über ihr Schicksal selber zu entscheiden«, war die Antwort, die der Graf in trübem Tone fallen ließ.
Die Verwandten und die Gäste betrachteten Fräulein von Fontaine mit einem Gemisch von Neugier und Mitleid. Dieses Wort schien anzukündigen, daß die väterliche Güte müde geworden war, gegen einen Charakter anzukämpfen, den die Familie als unverbesserlich kannte. Die Schwiegersöhne sprachen leise miteinander, und die Brüder warfen ihren Frauen ein spöttisches Lächeln zu. Ihr alter Onkel war der einzige, der, als alter Seemann, es wagte, mit ihr eine Breitseite zu wechseln und ihre Launen zu ertragen, ohne daß er jemals darum verlegen war, ihr Feuer zu erwidern.
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Als es nach der Verabschiedung des Etats durch die Kammer Frühling geworden war, flüchtete die Familie, ein echtes Abbild der parlamentarischen Familien von jenseits des Kanals, die in allen Verwaltungszweigen drin stehen und zehn Parlamentssitze zu vergeben haben, wie eine Vogelhecke in die schönen Gegenden von Aulnay, Antony und Chatenay. Der reiche Generaleinnehmer hatte kürzlich hier ein Landhaus für seine Frau gekauft, die sich nur während der Kammersessionen in Paris aufhielt. Obgleich die schöne Emilie das Bürgerpack verachtete, ging diese Empfindung doch nicht so weit, daß sie die Annehmlichkeiten eines von Bourgeois zusammengebrachten Vermögens verschmähte; sie begleitete also ihre Schwester in die kostbare Villa, weniger aus Freundschaft für ihre Familienangehörigen, die sich dorthin zurückzogen, als weil der gute Ton, von jeder Frau, die etwas auf sich hält, gebieterisch verlangt, daß sie Paris während des Sommers meidet. Die grünen Felder von Sceaux erfüllten vortrefflich die Bedingungen, die der gute Ton und die Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit verlangten.
Da es ziemlich zweifelhaft erscheint, ob der Ruf des ländlichen Balles von Sceaux jemals über die Grenzen des Seinedepartements hinaus bekannt geworden ist, müssen notwendigerweise einige Einzelheiten über dieses allwöchentliche Fest gegeben werden, das infolge seiner Bedeutung eine öffentliche Einrichtung zu werden schien. Die Umgebung der kleinen Stadt Sceaux genießt einen guten Ruf infolge ihrer Lage, die als reizend gilt. Sie mag vielleicht ziemlich gewöhnlich sein und ihre Berühmtheit nur der Anspruchslosigkeit der Pariser Bourgeois verdanken, die, wenn sie aus der Tiefe ihrer Steinkasten, in denen sie begraben sind, herauskommen, sogar imstande wären, die kahlen Ebenen der Beauce zu bewundern. Immerhin, da sich in dem poetischen schattigen Walde von Aulnay, auf den Hügeln von Antony und in dem Tal von Bièvre auch etliche Künstler, die die Welt gesehen hatten, Fremde, die sehr wählerisch waren, und eine Anzahl hübscher Damen, die einen guten Geschmack besaßen, aufhielten, so kann man wohl annehmen, daß die Pariser recht hatten. Aber Sceaux besitzt noch eine andere, nicht weniger mächtige Anziehungskraft auf den Pariser. Inmitten eines Gartens mit entzückenden Ausblicken befindet sich eine riesige, nach allen Seiten offene Rotunde, mit einem ungeheuren leichten Dach, das von zierlichen Pfeilern getragen wird. Dieser ländliche Baldachin beschirmt einen Tanzsaal. Selten nur versäumen es selbst die zurückhaltendsten Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft, ein- oder zweimal während der Saison nach diesem Palaste der dörflichen Terpsichore zu pilgern, entweder in glänzender Kavalkade zu Pferde oder in leichten, eleganten Wagen, die die zu Fuß wandernden Philosophen in Staubwolken einhüllen. Die Hoffnung, hier Damen der vornehmen Gesellschaft zu begegnen und von ihnen gesehen zu werden, die seltener getäuschte Erwartung, hier junge Bäuerinnen zu sehen, die ebenso schlau sind wie Advokaten, läßt am Sonntag zu dem Ball von Sceaux Schwärme von Advokatenschreibern, Äskulapschülern und junge Leute, denen die feuchte Luft der Pariser Hinterläden ihre blasse Gesichtsfarbe und krankhafte Frische erhalten hat, herbeiströmen. Auch eine ganze Anzahl von Ehebündnissen der Bürgerkreise haben ihre erste Anknüpfung bei der Musik des Orchesters, das im Mittelpunkte dieses kreisrunden Saals untergebracht ist, erfahren. Wenn das Dach reden könnte, wie viele Liebesgeschichten hätte es zu erzählen? Diese interessante Mischung machte daher den Ball von Sceaux anziehender als einige andere Tanzlokale in der Umgebung von Paris, vor denen er auch noch durch seine Rotunde, seine schöne Lage und seinen hübschen Garten unbestreitbare Vorzüge besaß. Emilie ließ als die erste den Wunsch laut werden, sich auf diesem Bezirksball »unter das Volk zu mischen«, da sie sich ein außerordentliches Vergnügen davon versprach, sich inmitten dieser Gesellschaft zu bewegen. Man war erstaunt über ihren Wunsch, sich in ein solches Gewühl zu wagen; aber hat das Inkognito für die Großen nicht eine sehr starke Anziehungskraft? Fräulein von Fontaine bereitete es ein Vergnügen, sich diese festlich gekleideten Bürgersleute vorzustellen, sie vergegenwärtigte sich, wie die Erinnerung an einen Blick oder ein bezauberndes Lächeln von ihr in mehr als einem Bürgerherzen haften würde, sie lachte schon im voraus über die Prätentionen der Tänzerinnen und spitzte bereits ihren Bleistift für die Szenen, mit denen sie die Seiten ihres Karikaturenalbums zu füllen gedachte. Daher konnte der Sonntag nicht früh genug für ihre Ungeduld herankommen. Die Gesellschaft der Villa Planat machte sich zu Fuß auf den Weg, um den Rang der Persönlichkeiten, die den Ball mit ihrer Gegenwart beehren wollten, nicht zu verraten. Man hatte zeitig gespeist. Der Maimonat begünstigte diese aristokratische Laune mit seinem herrlichsten Abende. Fräulein von Fontaine war höchst erstaunt, in der Rotunde mehrere Quadrillen von Leuten tanzen zu sehen, die zur guten Gesellschaft zu gehören schienen. Sie bemerkte wohl hier und da einige junge Leute, die ihre Monatsersparnisse daran gewendet hatten, an einem Tage glanzvoll aufzutreten, und unterschied mehrere Pärchen, deren zu ausgelassene Lustigkeit nicht auf ein eheliches Verhältnis schließen ließen; aber statt der erwarteten Ernte blieb ihr nur die Nachlese. Sie war erstaunt, zu sehen, daß das Vergnügen im Perkalkleide dem in Seide so durchaus ähnlich war, und daß die Bourgeoisie mit ebensoviel Grazie, und zuweilen noch mit mehr, zu tanzen verstand, wie der Adel. Die meisten Toiletten