Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac Gesammelte Werke bei Null Papier

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ein Kleid, eine Ta­pe­te, ein Stück wei­ßes Pa­pier all­zu zer­streut be­trach­ten, um so­fort einen Fleck oder eine her­vor­leuch­ten­de Stel­le wahr­zu­neh­men, die uns spä­ter plötz­lich so ins Auge fal­len, als ob sie erst in dem Au­gen­blick, da wir sie se­hen, ent­stan­den sei­en; ver­mö­ge ei­nes in­ne­ren, die­sem ähn­li­chen, Vor­gangs sah Fräu­lein von Fon­taine plötz­lich in ei­nem jun­gen Mann den In­be­griff der äu­ße­ren Vor­zü­ge, die sie seit so lan­ger Zeit sich er­träumt hat­te, leib­haft vor sich.

      Sie hat­te sich auf ei­nem der plum­pen Stüh­le, die den Saal um­ga­ben, nie­der­ge­las­sen, und zwar auf dem äu­ßers­ten Platz der Grup­pe, die ihre Fa­mi­lie bil­de­te, um auf­ste­hen oder nach ih­rem Be­lie­ben her­um­ge­hen und die le­ben­den Bil­der und Grup­pen, die sich hier wie bei ei­ner Mu­se­ums­aus­stel­lung dar­bo­ten, be­trach­ten zu kön­nen; un­ge­niert mus­ter­te sie mit ih­rer Lor­gnet­te eine Per­son, die sich zwei Schrit­te vor ihr be­fand, und prüf­te sie, wie man einen ge­mie­te­ten Stu­dien­kopf oder eine Gen­re­sze­ne kri­ti­siert. Nach­dem ihr Blick über das ge­sam­te große le­ben­de Bild des Saa­l­es hin­ge­gan­gen war, blieb er plötz­lich auf dem Ge­sicht haf­ten, das wie ab­sicht­lich an ei­ner Stel­le des Ge­mäl­des in der schöns­ten Be­leuch­tung an­ge­bracht zu sein und mit der gan­zen Per­sön­lich­keit au­ßer je­dem Ver­hält­nis zu dem üb­ri­gen Rest zu ste­hen schi­en. Der ein­sam und träu­me­risch da­ste­hen­de Un­be­kann­te hat­te sich leicht an eine der Säu­len, die das Dach tru­gen, ge­lehnt und hielt sich mit ge­kreuz­ten Ar­men und ge­neig­tem Haup­te in ei­ner Stel­lung, als ob er sich von ei­nem Ma­ler por­trä­tie­ren las­sen woll­te. Ob­gleich vol­ler Stolz und An­mut, hat­te sei­ne Hal­tung doch nichts Af­fek­tier­tes. Kei­ne Ges­te ver­riet, daß er sei­nem Ge­sicht die Drei­vier­tel­an­sicht, und sei­nem Kop­fe die leich­te Nei­gung nach rechts, wie Alex­an­der, Lord By­ron und ei­ni­ge an­de­re große Män­ner, nur ge­ge­ben hat­te, um die Auf­merk­sam­keit auf sich zu zie­hen. Sein Blick folg­te un­ver­rückt den Be­we­gun­gen ei­ner Tän­ze­rin und ver­riet tie­fe An­teil­nah­me an ihr. Sei­ne schlan­ke, schön ent­wi­ckel­te Fi­gur er­in­ner­te an die ed­len Ver­hält­nis­se ei­nes Apol­lo­kör­pers. Schö­nes schwar­zes Haar lock­te sich na­tür­lich über sei­ner ho­hen Stirn. Mit ei­nem ein­zi­gen Blick be­merk­te Fräu­lein von Fon­taine sei­ne fei­ne Wä­sche, sei­ne neu­en zie­gen­le­der­nen Hand­schu­he, die bei ei­nem gu­ten Hand­schuh­ma­cher ge­kauft wa­ren, und sei­ne zier­li­chen Füße mit gut sit­zen­den Stie­feln aus ir­län­di­schem Le­der. Er hat­te sich nicht mit den ge­schmack­lo­sen Ber­lo­cken be­hängt, die die frü­he­ren Zier­ben­gel der Na­tio­nal­gar­de und die Lo­ve­la­ces der Kon­to­re an sich zu tra­gen pfle­gen. Nur ein schwar­zes Band, an dem sein Au­gen­glas be­fes­tigt war, hing über die Wes­te von un­ta­de­li­gem Schnitt her­ab. Nie­mals hat­te die schwer zu be­frie­di­gen­de Emi­lie bei ei­nem Man­ne Au­gen mit so lan­gen und so ge­schwun­ge­nen Wim­pern ge­se­hen. Me­lan­cho­lie und Lei­den­schaft spra­chen aus die­sem männ­li­chen, oliv­far­be­nen Ant­litz. Der Mund schi­en im­mer zum Lä­cheln und zum Öff­nen der be­red­ten Lip­pen be­reit zu sein; aber so, daß sich dar­in nicht Froh­sinn, son­dern eine ge­wis­se lie­be­vol­le Trau­er aus­drück­te. Der Cha­rak­ter die­ses Kop­fes war zu be­deu­tend und zu ei­gen­ar­tig, als daß man hät­te sa­gen mö­gen: Das ist ein schö­ner oder ein hüb­scher Mann! Nein, er er­reg­te auch den Wunsch, ihn nä­her ken­nen­zu­ler­nen. Auch der scharf­sich­tigs­te Beo­b­ach­ter hät­te ge­ste­hen müs­sen, daß er ihn für einen Mann von her­vor­ra­gen­der Be­ga­bung hal­te, den ir­gend­ein be­son­de­res In­ter­es­se zu die­sem dörf­li­chen Fest her­ge­führt habe.

      Die­se Fül­le von Beo­b­ach­tun­gen mach­te Emi­lie in ei­nem ein­zi­gen auf­merk­sa­men Mo­ment, in dem die­ser be­vor­zug­te Mann nach stren­ger Prü­fung der Ge­gen­stand heim­li­cher Be­wun­de­rung wur­de. Jetzt sag­te sie nicht: es muß ein Pair von Frank­reich sein! Son­dern nur: Oh, wenn er von Adel wäre, und das muß er sein … Ohne ih­ren Ge­dan­ken zu Ende zu den­ken, er­hob sie sich und nä­her­te sich, ge­folgt von ih­rem Bru­der, dem Ge­ne­ral­leut­nant, der Säu­le, wäh­rend sie schein­bar die lus­ti­gen Qua­dril­len be­trach­te­te; aber ver­mö­ge ei­nes op­ti­schen Kunst­griffs, der den Frau­en ge­läu­fig ist, ver­lor sie kei­ne ein­zi­ge Be­we­gung des jun­gen Man­nes, dem sie sich nä­her­te, aus den Au­gen. Der Un­be­kann­te mach­te den bei­den Heran­kom­men­den höf­lich Platz und lehn­te sich an eine an­de­re Säu­le. Emi­lie, die von der Höf­lich­keit des Frem­den eben­so be­trof­fen war, wie sie es von ei­ner Un­höf­lich­keit ge­we­sen wäre, be­gann nun eine Un­ter­hal­tung mit ih­rem Bru­der, wo­bei sie lau­ter sprach, als es der gute Ton ge­stat­te­te; sie nahm ver­schie­de­ne Kopf­hal­tun­gen an, be­weg­te sich leb­haft und lach­te ohne An­laß, we­ni­ger um ih­ren Bru­der zu un­ter­hal­ten, als um die Auf­merk­sam­keit des teil­nahm­lo­sen Un­be­kann­ten auf sich zu zie­hen. Aber kei­ner die­ser Kunst­grif­fe woll­te ver­fan­gen. Fräu­lein von Fon­taine folg­te jetzt der Rich­tung der Bli­cke des jun­gen Man­nes und er­kann­te nun, wes­halb er sich nicht um sie küm­mer­te.

      In der Qua­dril­le vor ihr tanz­te eine jun­ge blas­se Per­son, die an die schot­ti­schen Göt­tin­nen er­in­ner­te, wel­che Gi­ro­det auf sei­nem Rie­sen­ge­mäl­de »Fran­zö­si­sche Krie­ger von Os­si­an emp­fan­gen« dar­ge­stellt hat. Emi­lie glaub­te in ihr eine be­rühm­te Lady zu er­ken­nen, die seit ei­ni­ger Zeit ein be­nach­bar­tes Land­gut be­wohn­te. Ihr Ka­va­lier war ein jun­ger Mann von fünf­zehn Jah­ren mit ro­ten Hän­den, Nan­king­ho­sen, ei­nem blau­en Rock und wei­ßen Schu­hen, der be­wies, daß ihre Tanz­lei­den­schaft sie nicht wäh­le­risch in be­zug auf ih­ren Part­ner mach­te. Ihren Be­we­gun­gen merk­te man ihre an­schei­nen­de Schwä­che nicht an; nur eine leich­te Röte ver­brei­te­te sich über ihre blas­sen Wan­gen, und ihr Teint fing an sich zu be­le­ben. Fräu­lein von Fon­taine nä­her­te sich der Qua­dril­le, um die Frem­de, wenn sie auf ih­ren Platz zu­rück­ging, wäh­rend die Vi­sa­vis die glei­che Fi­gur aus­führ­ten, bes­ser be­ob­ach­ten zu kön­nen. Aber der Un­be­kann­te trat jetzt vor, beug­te sich zu der hüb­schen Tän­ze­rin her­ab, und die neu­gie­ri­ge Emi­lie konn­te deut­lich die in be­feh­len­dem, aber sanf­tem Tone ge­spro­che­nen Wor­te ver­ste­hen:

      »Kla­ra, mein Kind, tan­ze nicht mehr.«

      Kla­ra mach­te ein et­was är­ger­li­ches Ge­sicht, nick­te aber ge­hor­sam mit dem Kop­fe und lä­chel­te schließ­lich. Nach dem Tan­ze leg­te der jun­ge Mann mit al­ler Vor­sorg­lich­keit ei­nes Lie­ben­den einen Kasch­mir­schal um die Schul­tern des jun­gen Mäd­chens und wies ihr einen Sitz an, wo sie vor dem Win­de ge­schützt war. Bald dar­auf folg­te Fräu­lein von Fon­taine, die sie auf­ste­hen und au­ßen um den Saal her­um­ge­hen sah, wie Leu­te, die auf­bre­chen wol­len, ih­nen un­ter dem Vor­wan­de, daß sie die Aus­sichts­punk­te des Gar­tens auf­su­chen wol­le. Ihr Bru­der füg­te sich mit spöt­ti­scher Gut­mü­tig­keit die­ser Lau­ne, drau­ßen so um­her­zu­schwei­fen. Emi­lie sah nun, wie das Paar einen ele­gan­ten Til­bu­ry be­stieg, bei dem sich ein Kut­scher in Li­vree be­fand: erst in dem Mo­ment, da der jun­ge Mann oben auf dem Kut­scher­sit­ze die Zü­gel ord­ne­te, traf sie ein Blick von ihm, der nicht an­ders war, als wie man mit ei­nem sol­chen acht­los eine Men­schen­men­ge streift; nach­her hat­te sie noch die schwa­che Ge­nug­tu­ung,

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