Der Gehülfe. Robert Walser

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Der Gehülfe - Robert  Walser

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wird, eher ein befehlshaberischer als ein schüchtern bittender sein sollte. Wer hat alles Annehmliche und Schmeichelnde immer zusammen? Wer wird so anmaßend der Welt gegenüber sein, von ihr nur Kissen zum Daraufruhen zu verlangen, ohne zu bedenken, daß die samtenen und seidenen, mit feinem Flaum gefüllten und gestopften Kissen Geld kosten? Aber Joseph denkt gar nicht so. Man muß bedenken, daß Joseph nie viel Geld auf einmal besessen hat.

      Frau Tobler fand an ihm etwas Seltsames, sozusagen Unalltägliches, ohne ihn aber auch nur im geringsten gut zu beurteilen. Sie fand ihn ziemlich lächerlich in seinem dunkelgrün gefärbten, abgetragenen und erbleichten Anzug, aber auch in seinem Benehmen wollte sie etwas Komisches entdeckt wissen, worin sie in gewisser Beziehung recht hatte. Komisch war sein undezidiertes Auftreten, sein augenscheinlicher Mangel an Selbstbewußtheit, und komisch waren auch seine Manieren. Hinwiederum muß bemerkt werden, daß Frau Tobler, eine Bürgersfrau von echtester Abstammung, sehr leicht geneigt war, vieles komisch zu finden, was auch nur ein ganz klein wenig ihre Anschauungsweise fremd berühren konnte. Wenn das aber so ist, so wollen wir uns weiter nicht darüber aufregen, daß eine solche Frau einen solchen jungen Menschen komisch fand, sondern berichten, was sie zusammen redeten. Versetzen wir uns wieder in das Gartenhäuschen und in die Fünf-Uhr-Abend-Stunde.

      »Es ist doch ein prächtiger Tag heute,« sagte Frau Tobler.

      O ja, es sei wirklich herrlich, sagte seinerseits der Gehülfe. Er drehte sich, am Tisch sitzend, halb um, und schaute in die bläuliche Ferne. Der See war ganz blaßblau. Ein Dampfschiff mit klingender Musik fuhr gerade vorüber. Man konnte die wehenden Tücher unterscheiden, die dort unten von den Vergnügungsreisenden geschwenkt wurden. Der Rauch des Dampfschiffes flog nach hinten und wurde von der Luft eingesogen. Die Berge am andern Ufer waren in dem Dunst, den der vollendet schöne Tag über den See verbreitete, kaum zu sehen. Sie schienen aus Seide gewoben zu sein. Ja, die ganze runde Aussicht war blau, selbst das nahe Grün und das Rot der Dächer sahen sich bläulich an. Man hörte ein einziges Gesumme, wie wenn die ganze Luft, der ganze durchsichtige Raum leise gesungen hätten. Auch das Summen und Surren hörte und sah sich blau an, beinahe! Wie schmeckte wieder einmal der Kaffee. »Warum denke ich an zu Hause, an die Kindheit, wenn ich diesen sonderbaren Kaffee trinke?« dachte Joseph.

      Die Frau fing an, von der letztjährigen Sommerfrische am Vierwaldstädtersee zu reden. Dieses Jahr gebe es, sagte sie, leider nichts aus so etwas. Keinen Gedanken! Und dann sei es ja hier wirklich auch ganz schön. Man brauche eigentlich gar keine Sommerfrische mehr, wenn man so wohnen könne, wie sie. Im Grunde genommen sei man fast immer sehr unbescheiden, man habe stets Wünsche, und das sei ja auch ganz natürlich – Joseph nickte – aber zuweilen ähnele es einer wirklichen Arroganz.

      Sie lachte. »Wie seltsam sie lacht,« dachte der Untergebene und fuhr fort zu denken: »An diesem Lachen könnte einer, der sich darauf versteifen wollte, Geographie studieren. Es bezeichnet genau die Gegend, wo diese Frau her ist. Es ist ein behindertes Lachen, es kommt nicht ganz natürlich zum Mund heraus, als wäre es früher durch eine allzupeinliche Erziehung stets etwas im Zaum gehalten worden. Aber es ist schön und fraulich, ja, es ist sogar ein bißchen frivol. Nur hochanständige Frauen dürfen so lachen.«

      Inzwischen hatte die Frau längst weitergesprochen, und zwar von jener geradezu ideal schönen und traulichen Sommerfrische. Ein junger Amerikaner habe sie jeden Tag in der Gondel auf den See hinausgerudert. Das sei noch ein Kavalier gewesen. Und dann war es doch für eine verheiratete Frau, wie sie eine sei, reizvoll und neu, einmal ein paar Wochen ganz allein sein zu können und dazu noch in solch einer schönen Gegend. Ohne Mann und ohne die Kinder. Man brauche dabei noch lange nicht an was Unfeines zu denken. Man tue den ganzen Tag nichts, esse köstlich und liege da so im Schatten, unter solch einem herrlichen, breitästigen Kastanienbaum, wie dort, wo sie das letzte Jahr gewesen sei, einer war. Solch ein Baum. Immer wieder sähe sie ihn und sich selbst drunter. Sie habe auch ein kleines, weißes Hündchen gehabt, sie habe es immer zu sich ins Bett genommen. So ein feines, sauberes Geschöpfchen. Nun, dieses Tier habe sie in dem reizenden Gefühl, das ihr vorgegaukelt habe, sie sei eine Dame, eine wirkliche Dame, noch bestärkt. Später habe sie es weggeben müssen.

       »Ich muß an die Geschäfte gehen,« sprach Joseph und erhob sich.

      Ob er so fleißig sei?

      »Nun, man tut, was man für seine Pflicht hält.« Mit diesen Worten entfernte er sich. Im Bureau trat ihm eine unsichtbar-sichtbare Erscheinung entgegen: die Reklame-Uhr. Er setzte sich an den Schreibtisch und fing an zu korrespondieren. Der Briefbote kam, um eine Nachnahme zu präsentieren, es war ein geringer Betrag, Joseph bezahlte aus seiner Privattasche. Dann schrieb er ein paar Briefe im Interesse der Reklame-Uhr. Was man für so eine Uhr nicht alles aufwenden mußte!

      »Sie ist wie ein kleines oder großes Kind, solch eine Uhr,« dachte der Angestellte, »wie ein eigensinniges Kind, das der beständigen, aufopfernden Pflege bedarf, und das nicht einmal dankt dafür. Gedeiht denn eigentlich dieses Unternehmen, wächst dieses Kind? Man merkt wenig davon. Ein Erfinder liebt seine Erfindungen. Diese kostspielige Uhr ist Tobler beinahe ans Herz gewachsen. Was aber denken andere Leute von dieser Idee? Eine Idee muß hinreißen, muß überwältigen, sonst ist es eine schwere Sache, sie zu praktizieren. Was mich selber betrifft, so glaube ich fest an die Möglichkeit einer Realisierung derselben, und ich glaube deshalb daran, weil es meine Pflicht ist, weil ich dafür bezahlt werde. Zwar, wie steht es denn nun mit meinem Gehalt?«

      Es war in diesem Punkt tatsächlich noch nichts abgemacht worden.

      Bis zum Sonntag verlief alles ruhig. Was hätte passieren sollen? Joseph war folgsam und bemühte sich, ein heiteres Gesicht an den Tag zu legen. Aber warum hätte er besonders mißmutig sein sollen, wo ja doch vorläufig nur Ursache zur Zufriedenheit für ihn vorhanden war. Im Militärdienst ist er auch nicht verzärtelt worden. In das Wesen der Reklame-Uhr drang er immer tiefer ein und glaubte bereits, sie vollständig erfaßt zu haben. Was hatte es zu bedeuten, daß zwei Wechsel zu je vierhundert Mark nicht bezahlt wurden. Man schob den Verfalltag dieser Billetts einfach auf einen Monat hinaus, es war sogar riesig nett für Joseph, an den Aussteller der Akzepte schreiben zu dürfen: »Bitte, haben Sie noch Geduld. Die Finanzierung meiner Patente läßt nur noch kurze Zeit auf sich warten. Bis dahin wird es mir möglich geworden sein, die fälligen Verpflichtungen prompt einzulösen«.

      Er hatte mehrere solcher Briefe zu schreiben, und er freute sich über die Leichtigkeit, mit der er den gesamten kaufmännischen Stil beherrschte.

       Das Dorf hatte er bereits halb durchstöbert. Zur Post zu gehen war ihm jedesmal ein großes Vergnügen. Es gab zwei Wege, einen dem See entlang, auf der breiten Landstraße, und einen über den Hügel, an Obstbäumen und Bauernhäusern vorbei. Er wählte fast immer den letztern. Ihm schien das alles sehr einfach.

      Am Sonntag erhielt er von Tobler eine gute, deutsche Zigarre nebst fünf Mark Taschengeld, damit er sich hie und da »etwas leisten könne«.

      Das Haus lag so schön da in dem hellen Sonnenschein. Es schien Joseph ein wahres Sonntagshaus zu sein. Er ging den Garten hinunter, die Badehose in der Hand schwenkend, an den See, zog sich in einer verfallenen Badehütte, durch deren Bretterritzen die Sonne hineinleuchtete, behaglich aus und warf sich nachher ins Wasser. Er schwamm weit hinaus, es war ihm so wohl zumute. Welchem Badenden und Schwimmenden, wenn er nicht gerade am Ertrinken ist, ist es nicht wohl zumut? Es kam ihm vor, als wölbe und runde sich die heitere, warme, glatte Seeoberfläche. Das Wasser war frisch und lau zugleich. Vielleicht strich ein leiser Windzug darüber her, oder irgend ein Vogel flog über seinem Kopf, hoch in der Luft, daher. Einmal kam er einem kleinen Boot nahe, ein einzelner Mann saß drin, ein Fischer, der friedlich den Sonntag verangelte und verschaukelte. Welche Weichheit, welche schimmernde Helle. Und mit den nackten empfindungsvollen Armen macht man Schnitte in dieses nasse, saubere, gütige Element. Jeder Stoß mit den Beinen bringt einen ein Stück vorwärts in diesem schönen, tiefen Nassen. Von unten her wird man von warmen und kühlen Strömen gehoben. Den

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