Zu Keynes passt das nicht. Björn Frank

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Staates machen. Die undurchdringliche Menge von Literatur zum Panoptikum verstellt uns den Blick auf den Menschen Bentham; an anderen Stellen seiner Biografie sehen wir ihn wieder deutlicher.

      Bentham liebte Tiere, genauer: alles, was vier Beine hat, und das schloss die Mäuse ein, die er unbehelligt durch sein Arbeitszimmer tanzen ließ. Allerdings hielt er sich auch The Reverend Sir John Langbourne und – ohne dass die Namen überliefert wären – weitere Katzen, ein Umstand, der, wie sein Biograf Leslie Stephen bemerkte, schwer mit dem Prinzip vom größten Glück der größten Zahl in Einklang zu bringen war. Einen wichtigeren Grundgedanken des Utilitarismus aber wandte Bentham in der Tat auf Tiere an: Da sie Glück und Leid empfänden, sei es wichtig, wie gut es ihnen gehe.

      Einer der bekanntesten utilitaristischen Philosophen unserer Zeit, Yew-Kwang Ng, führt Benthams Gedanken zum Tierschutz weiter, wenn er nach einer Antwort auf die Frage sucht, ob Fleischkonsum moralisch zu vertreten ist. Würden wir Hühner, Schweine und Rinder nicht essen, dann gäbe es die meisten von ihnen einfach nicht, denn nur wenige Menschen kämen auf die Idee, ein Angusrind bis zu seinem Tod durch Altersschwäche als Haustier zu halten. Ist es nun gut, dass es die vielen Nutztiere gibt, die wir schließlich schlachten und essen? Wenn wir von Gesundheits- und Umweltproblemen absehen, dann hängt das, meint Ng, davon ab, ob das Glück der Tiere während ihrer Lebenszeit ihr Leid überwiegt. Schlachtvieh zu halten ist aus utilitaristischer Sicht vertretbar, wenn es den Tieren gut geht, bevor wir sie essen.

      Nun könnte man auch argumentieren, Tiere hätten »natürliche Rechte«, aber das hielt Bentham, ob es nun Tiere oder Menschen betraf, für »Unsinn auf Stelzen«. Rechte waren für ihn nie naturgegeben, alle Regeln hatten nützlich zu sein, alle Rechte waren damit zu begründen, dass sie Glück mehren und Leid mindern konnten. Ein Beispiel sind Benthams Argumente für das Frauenwahlrecht: Männer kennen manche Leiden von Frauen nicht (etwa die Mühen der Schwangerschaft und Geburtsschmerzen), so dass ihnen das Urteilsvermögen in Fragen fehlt, die Frauen betreffen. Oder sie haben gar Interessen, die denen der Frauen entgegengesetzt sind, zumindest gilt das für die Männer, die Freude daran haben, ihre Frauen zu schlagen. Es ist daher gut, wenn Frauen ihre Interessen selbst vertreten.

      Und so argumentiert Bentham auch gegen den Kolonialismus, den er nicht etwa ablehnte, weil die Völker in den Kolonien ein natürliches Recht auf Unabhängigkeit hätten, sondern weil sie besser als die Kolonialherren in der Lage seien, ihre eigenen Interessen zu erkennen und ihr Glück zu mehren. Er war gegen die Bestrafung von Homosexuellen, denen ihre Handlungen ja offensichtlich Freude bereiteten, während sie niemandem schadeten. Er war gegen die Todesstrafe, für Bankenregulierung, für Pressefreiheit, für eine aktive Rolle des Staates im Bildungs- und Gesundheitswesen und schlug einen internationalen Gerichtshof vor.

      Oft versuchte er, es nicht bei der Theorie zu belassen, sondern die Politik direkt zu beeinflussen. So bot er sich dem vierten US-Präsidenten James Madison ebenso als Autor fortschrittlicher Gesetzeswerke an wie dem russischen Zaren Alexander I.; Portugal schließlich zeigte sich interessiert, aber dort war, als er sein Werk endlich fertig hatte, die liberale Revolution schon wieder Geschichte.

      Mehr Erfolg sollte einer seiner letzten Initiativen beschieden sein. In den 1820er Jahren wurden im Vereinigten Königreich pro Jahr etwa 75 Verbrecher hingerichtet – viel zu wenig für die Ausbildung der Ärzte. Die Institute kauften die meisten Leichen den finsteren »Auferstehungsmännern« ab und stellten keine Fragen, denn sie ahnten ja doch, dass ihnen frisch Beerdigte geliefert wurden, die man nachts ausgegraben hatte. Die Angehörigen wussten davon natürlich nichts, allenfalls die bestochenen Friedhofswärter.

      1826 schickte Bentham dem britischen Innenminister einen Gesetzentwurf, der an die aktuelle Diskussion über Organspenden erinnert. Heute schlagen einige Ökonomen vor, das Ausfüllen eines Spenderausweises so zu belohnen: Wer bereit ist, postmortal zu spenden, der soll bevorzugt werden, falls er selbst eine Organspende benötigt. Bentham meinte, in Krankenhäusern sollten nur Patienten behandelt werden, die einverstanden waren, sich im Todesfall sezieren zu lassen. Er vergaß nicht, bei der Gelegenheit sein eigenes Testament zu erwähnen:

      Wie gering auch die Dienste gewesen sein mögen, die meine Kräfte mir erlaubten, der Menschheit zu meinen Lebzeiten zu leisten, so bleibe ich doch nach meinem Tode nicht völlig nutzlos.

      Der Minister antwortete höflich, zog es allerdings vor, nicht an dem Tabu zu rühren und eine öffentliche Diskussion zu vermeiden.

      Doch damit blieben Leichen knapp, und 1828 kamen zwei besonders durchtriebene Gesellen in Edinburgh, William Burke und William Hare, auf die Idee, sich das Bestechungsgeld und das mühevolle Graben zu sparen. Sie töteten sechzehn Menschen, bevor sie aufflogen und selbst auf dem Seziertisch landeten (Burkes Skelett wird bis heute im Anatomischen Museum der Edinburgh Medical School aufbewahrt). Dies und einige Nachahmer, die nun ebenfalls »Burking« betrieben, erhöhten die Bereitschaft, auf Benthams Gesetzentwurf zurückzukommen, unterstützt von einflussreichen Bentham-Anhängern im Parlament. Die Einverständniserklärung von Krankenhauspatienten fiel allerdings unter den Tisch; der »Anatomy Act« erlaubte das Sezieren von Leichen aus Armenhäusern, auf die Angehörige, die ein Begräbnis hätten bezahlen können, binnen 48 Stunden nach dem Tod keinen Anspruch erhoben.

      Wenige Wochen bevor dieses Gesetz in Kraft trat, starb Bentham im Alter von 84 Jahren. Zwei Tage später, am 8. Juni 1832, erhielten Freunde und ausgewählte Bentham-Bewunderer die Einladung zu seiner Leichenöffnung, vorgenommen und von einem Vortrag begleitet durch seinen Freund Dr. Thomas Southwood Smith. Jeder der Eingeladenen durfte zwei weitere Personen mitbringen.

      Gut möglich, dass sich Benthams Freunde zum ersten Mal begegneten, denn Bentham pflegte sie nur einzeln zu empfangen. Dabei war er ausgesprochen wählerisch – als die berühmte Madame de Staël England besuchte, ließ sie ihm ausrichten, sie werde niemanden aufsuchen, solange sie nicht Bentham getroffen habe. Er bedaure, ließ Bentham antworten, in dem Fall würde sie eben niemanden treffen.

      Die Leiche zu sezieren war nicht die einzige Aufgabe, die Dr. Southwood Smith zu erledigen hatte. Bentham hatte sein Testament um einen wichtigen Punkt erweitert: Das Skelett sollte mit Benthams ausgestopftem Sonntagsanzug bekleidet auf einen Stuhl gesetzt werden; darauf war der vorher vom Leib getrennte und mumifizierte Kopf zu setzen. Bentham hatte das lange vorbereitet: Er hatte seinen Ofen für Mumifizierungs-Experimente zur Verfügung gestellt, und die letzten zwanzig Jahre seines Lebens trug er die Glasaugen mit sich herum, die in seinen getrockneten Kopf eingesetzt werden sollten.

      In einem nachgelassenen Manuskript, das erst 1995 veröffentlicht wurde, wirbt Bentham für die allgemeine Übernahme dieses Verfahrens: den Körper sinnvollen Verwertungen zu überlassen, aus dem Kopf dagegen eine »Auto-Ikone« zu machen, ein Wort, das Bentham erfunden hatte: So wie der Autor in der Autobiografie sein eigenes Leben beschreibt, so sei die Auto-Ikone »ein Mensch, der sein eigenes Ebenbild ist«. Wohin aber mit den Köpfen? Er erwähnt die platzsparende Anhäufung von Kanonenkugeln in Munitionsarsenalen, spricht sich dann jedoch gegen diese Pyramidenform aus, da man so nur einen Teil der Auto-Ikonen sehen könne, im Gegensatz zu einer Unterbringung in Wandregalen, oder sogar im Freien, wenn man sie mit einer Schicht Kopalharz vor dem Regen schützt. Wie auch immer, anstelle von Gräbern könnten die Hinterbliebenen dann die Auto-Ikonen besuchen. Die Gelehrten sind sich nicht einig, ob es sich bei dieser Schrift um eine Satire handelt oder nicht.

      Benthams letzter Wille jedenfalls wurde getreulich erfüllt. Die Knochen sind mit Kupferdraht verbunden, mit Stroh und diversen anderen Materialien umhüllt, zum Schutz vor Ungeziefer dienten Lavendel und Naphthalin. Wunschgemäß behielt Bentham auch seinen Spazierstock »Dapple« (nicht der einzige Gegenstand, den Bentham liebevoll benannte, von seiner Teekanne ist überliefert, dass er sie »Dickey« taufte). Dr. Southwood Smith war ein seriöser Arzt, aber ein stümperhafter Konservator. Mit einer durch Schwefelsäure verstümmelten Nase, viel zu schnell mit einer Luftpumpe dehydriert und erbärmlich geschrumpft, hatte der Kopf jede Ähnlichkeit mit Bentham verloren – bevor ich ein Foto davon

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