Maigret und die Bohnenstange. Georges Simenon
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Читать онлайн книгу Maigret und die Bohnenstange - Georges Simenon страница 4
»Er hat also Gittertor gesagt?«
»Ja, das weiß ich noch genau, weil mir das Wort aufgefallen ist. Jemand ist ausgestiegen und zur Haustür gegangen. Als er hineinging, ist Alfred durchs Fenster getürmt.«
»Und sein Werkzeug?«
»Hat er dort gelassen. Zum Reinkommen hatte er ein Stück Scheibe herausgeschnitten. Da bin ich mir sicher, das macht er immer so. Ich glaube, das würde er sogar tun, wenn die Tür offen stehen würde, er ist nämlich ein wenig pedantisch, oder vielleicht abergläubisch.«
»Er ist also nicht gesehen worden?«
»Doch. Als er durch den Garten schlich …«
»Also war auch von einem Garten die Rede?«
»Erfunden habe ich das nicht. Als er durch den Garten schlich, hat jemand durchs Fenster gesehen und eine Taschenlampe auf ihn gerichtet, wahrscheinlich sogar die von Alfred, die hatte er ja liegen lassen. Er hat sich auf sein Fahrrad geschwungen und ist dann, ohne sich umzudrehen, bis zur Seine gefahren, ich weiß nicht genau, wohin. Das Rad hat er ins Wasser geworfen, weil er Angst hatte, dass man ihn daran erkennen könnte. Nach Hause traute er sich nicht, also ist er zu Fuß zur Gare du Nord und hat mich von dort angerufen und mich angefleht, nur ja niemandem was zu sagen. Ich wollte nicht, dass er wegfährt, und habe auf ihn eingeredet. Er versprach mir dann, mir postlagernd zu schreiben, wo er ist, damit ich nachkommen kann.«
»Das hat er aber noch nicht getan?«
»Der Brief hätte noch gar nicht ankommen können, ich war heute Morgen auf der Post. Seit vierundzwanzig Stunden denke ich ununterbrochen nach. Ich habe alle Zeitungen gekauft, ob nicht was über einen Frauenmord drinsteht.«
Maigret griff zum Telefonhörer und ließ sich mit dem Kommissariat Neuilly verbinden.
»Hallo, hier Kriminalpolizei. Ist Ihnen in den letzten vierundzwanzig Stunden ein Mord gemeldet worden?«
»Moment, ich bin nur der Wachmann, ich verbinde Sie.«
Maigret bohrte hartnäckig nach.
»Kein Leichenfund? Kein nächtlicher Alarm? Niemand aus der Seine gefischt?«
»Absolut nichts, Monsieur Maigret.«
»Keine Schüsse?«
»Keine.«
Die Bohnenstange saß geduldig da, als wäre sie zu Besuch, die Hände über der Tasche gefaltet.
»Verstehen Sie jetzt, warum ich zu Ihnen gekommen bin?«
»Ich denke schon.«
»Zuerst dachte ich, die Polizei hat Alfred vielleicht gesehen, dann hätte ihn allein schon sein Fahrrad verraten. Außerdem hat er auch noch sein Werkzeug dagelassen. Weil er über die Grenze ist, wird ihm kein Mensch glauben. In Belgien oder Holland ist er nicht mehr in Sicherheit als in Paris. Mir ist lieber, er kommt wegen Einbruchs ins Gefängnis, selbst wenn das wieder fünf Jahre dauert, als dass er wegen Mordes angeklagt wird.«
»Das Problem ist nur, dass wir keine Leiche haben.«
»Sie glauben, dass er die erfunden hat oder dass ich sie erfunden habe?«
Maigret antwortete nicht.
»Das Haus, wo er in der Nacht gearbeitet hat, werden Sie mühelos finden. Ich sollte Ihnen gar nicht auf die Sprünge helfen, aber ich bin sicher, Sie kommen auch selber darauf. Bestimmt war er an einem Panzerschrank dran, den er damals selbst aufgestellt hatte. Die Firma Planchart hat sicher eine Kundenliste, und es dürfte nicht allzu viele Leute in Neuilly geben, die sich in den letzten siebzehn Jahren einen Panzerschrank angeschafft haben.«
»Hat Alfred außer Ihnen nicht vielleicht noch eine Freundin?«
»Auf die Frage habe ich gewartet! Ich bin nicht eifersüchtig, und selbst wenn ich es wäre, würde ich Ihnen hier keine Märchen erzählen, um mich zu rächen, falls Sie das meinen. Er hat keine andere Freundin, weil er keine will, der Arme. Und falls er eine wollte, würde ich ihm so viele besorgen, wie er sich nur wünscht.«
»Warum?«
»Weil das Leben so schon nicht besonders lustig ist.«
»Haben Sie Geld?«
»Nein.«
»Was haben Sie jetzt vor?«
»Ich komme schon zurecht, das wissen Sie. Ich bin nur hergekommen, damit festgestellt wird, dass Fred niemanden getötet hat.«
»Falls er Ihnen schreiben sollte, zeigen Sie mir den Brief dann?«
»Den lesen Sie eh vor mir. Jetzt wo Sie wissen, dass er mir postlagernd schreibt, werden Sie sämtliche Postämter von Paris überwachen lassen. Sie vergessen, ich weiß, wie der Hase läuft.«
Sie erhob sich, stand in voller Größe vor ihm und musterte ihn an seinem Schreibtisch.
»Wenn alles stimmt, was man sich über Sie erzählt, stehen die Chancen gut, dass Sie mir glauben.«
»Warum?«
»Weil Sie ansonsten ein Dummkopf wären. Das sind Sie aber nicht. Werden Sie bei Planchart anrufen?«
»Ja.«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden?«
Er sah sie an, ohne zu antworten, und merkte, wie er ganz unwillkürlich ein amüsiertes Lächeln aufsetzte.
»Wie Sie meinen«, seufzte sie. »Ich könnte Ihnen helfen. Auch wenn Sie noch so viel wissen, es gibt Dinge, auf die sich Leute wie wir besser verstehen als Sie.«
Mit dem »wir« war selbstverständlich die Welt gemeint, in der die Bohnenstange lebte, die Welt auf der anderen Seite der Barrikade.
»Falls Inspektor Boissier nicht im Urlaub ist, wird er Ihnen bestimmt bestätigen, was ich Ihnen über Alfred erzählt habe.«
»Er ist nicht im Urlaub, er fährt erst morgen.«
Sie öffnete ihre Tasche und zog einen Zettel heraus.
»Ich lasse Ihnen die Telefonnummer vom Bistro unter uns da. Falls Sie mal zufällig kommen müssen, brauchen Sie keine Angst zu haben, dass ich mich ausziehe. Inzwischen behalte ich mein Kleid lieber an!«
In ihrer Stimme lag ein bitterer Unterton.
»Das ist nämlich besser für alle!«, fügte sie selbstironisch hinzu.
Erst als Maigret die Tür hinter ihr zumachte, wurde ihm bewusst, dass er ganz selbstverständlich die hingehaltene Hand geschüttelt hatte. Die Wespe brummte immer noch an der Decke herum, als suchte sie nach einem Ausgang, ohne auch nur zu ahnen, dass sie auch durch das weit geöffnete Fenster hätte fliegen können. Madame Maigret hatte am Morgen gesagt, sie werde mittags auf den Blumenmarkt gehen, und wenn er Zeit habe, könnten sie sich dort treffen.