Der Reporter. Jacques Berndorf

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Der Reporter - Jacques Berndorf KBV-Krimi

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      »Jungens«, sagte Bernhold, »ich brauche Schnaps dazu.« Er rief dem Kellner irgendetwas in seinem scheußlichen Französisch zu und sagte: »Also, ihr habt nichts versäumt. Eine Maschine der Air India ist heute Morgen um acht Uhr aus Athen kommend in etwa dreitausendachthundert Meter Höhe gegen den Mont Blanc gerast. Gemerkt hat man das nur, weil einige Leute einen plötzlichen Feuerschein gesehen haben, wie einen Blitz, und weil der Tower in Genf die Maschine schon auf dem Radar hatte und plötzlich wieder verlor. Gegen elf sind dann Leute von den Gebirgsjägern zweimal mit dem Hubschrauber hochgeflogen. Mitgebracht haben sie nichts. Aber der Lokalredakteur vom Le Dauphine hatte einem der Soldaten eine Kamera mitgegeben. Es existieren rund dreißig Bilder, aber nur zwei Motive: Auf dem einen sieht man eine Schneefläche mit Metallstücken, auf dem anderen einige tote Rhesusaffen im Schnee. Das ist alles. Mehr haben die da oben nämlich nicht gefunden. Und die beiden Bilder hat der Dauphin an die Agenturen verhökert, sodass eure Redaktion sie jetzt schon per Funk hat. Das ist der Stand.«

      »Kann man morgen in den Berg fliegen?«, fragte Kohler.

      »Ich weiß nicht. Die Einheimischen meinen, der Nebel geht nicht weg.«

      »Also aussichtslos«, sagte ich.

      »Ich weiß nicht«, murmelte Kohler. »Wir werden sehen.« Er stand auf und ging hinaus.

      »Wie geht es dir, mein Junge?«, fragte Bernhold. »Die Ehe in Ordnung?«

      »Sicher«, sagte ich.

      Er sah das Mädchen an und erklärte: »Sie müssen wissen, mein Kind, dass Poggemann ein hoffnungsloser Fall ist. Seit sieben Jahren mit der gleichen Frau verheiratet. Und jedes Mal, wenn ich ihn treffe, kauft er ihr irgendein Geschenk.«

      »Das ist doch sehr schön«, sagte das Mädchen. Sie hatte ein schmales Jungmädchengesicht mit ganz zarter Haut, aber ihre Augen zeigten Erfahrung und Misstrauen.

      »Das finde ich auch«, sagte Bernhold. »Aber ich zum Beispiel zahle nur Unterhalt. Das ist billiger.«

      Kohler kam nach einer recht langen Zeit zurück und schob mir einen Zettel zu. Ich stand auf und las den Zettel in der Toilette. Kohler hatte geschrieben: Stimmt! Le Dauphinhat dreißig Fotos. Alle brauchbar. Aber statt zwei Motive gibt es vier. Ich habe die beiden fehlenden für uns sperren lassen.

      Kohler war ein verdammt guter Junge, und er bemühte sich beinahe den ganzen Abend um das Mädchen Ellen, aber er hatte keinen Erfolg, obwohl er sehr lustig war und klug und beinahe zärtlich um sie warb. Zuletzt gab er es auf, denn er wollte sie zu einfach. Und sie wollte es über irgendwelche Diskussionen um irgendwelche Probleme. Ihre Wege waren zu verschieden. Aber dass sie es wollte, sah man.

      Es war nach Mitternacht, als wir das »Lion d’or« verließen, und der Nebel war sehr dicht, dichter noch als bei unserer Ankunft. Bernhold sprach von einer Bar in einem der großen Hotels, aber ich musste mich von ihnen trennen und sagte: »Geht, wenn ihr wollt. Ich brauche Schlaf.« Zu Kohler sagte ich: »Ich wecke dich um sieben. Sauft nicht zu viel.«

      Das war eine unserer Absprachen: Wenn ich sagte: »Sauft nicht zu viel«, musste er versuchen, den jeweiligen Begleiter fortzulocken. Also sagte er fröhlich: »Poggemann, du Heilsarmist! Du kannst uns mal.« Er schob Bernhold vor sich her. »Lass uns einen trinken gehen!« Aber Bernhold drehte sich herum und sagte: »Ellen, kommen Sie.«

      Das Mädchen sagte: »Nein danke.« Sie sagte es sanft und endgültig, sodass Bernhold den Kopf schüttelte und mit Kohler davonging.

      »Sie sind nicht müde«, sagte das Mädchen eifrig, »nicht wahr, Sie sind nicht müde?« Ihre Stimme war dunkel. Sie war das Kontra zu ihrem langen, hellen Haar, zu ihrer Jungmädchenhaut.

      »Doch«, sagte ich, »sogar sehr. Kommen Sie.« Sie reichte mir bis zur Schulter, und jedes Mal, wenn sie ausrutschte, hielt sie sich an mir fest, sodass wir den ganzen Weg über wie alberne Kinder lachten.

      »Wie alt sind Sie?«

      »Zweiunddreißig. Und Sie?«

      »Dreiundzwanzig. Haben Sie Kinder?«

      »Und wie. Eins, ein Mädchen.«

      »Bringen Sie Ihrer Frau wirklich von jeder Reportage ein Geschenk mit?«

      »Wenn ich es hübsch genug finde«, sagte ich. »Sind Sie fest gebunden?«

      »Was heißt schon fest?« Sie machte ein paar trippelnde Schritte. »Man hat hin und wieder etwas.«

      So flach ging es weiter, bis wir in die Pension kamen und im Speisezimmer die Wirtin sitzen sahen. Sie las in einem Buch. Wir sagten ihr beide gute Nacht und verabschiedeten uns voneinander. Das Mädchen Ellen ging die Treppe hinauf. Sie war hübsch und ganz jung, ein heiterer Klecks.

      Ich ließ mir einen Weißwein geben und bat um einen Hausschlüssel.

      »Wollen Sie noch fort?«, fragte die Wirtin.

      »Ich weiß es noch nicht«, sagte ich.

      »Ihr Leute von der Presse!«, sagte sie. Aber es lag kein Vorwurf darin, eher ein wenig Neid.

      »Na ja«, sagte ich und ging die Treppe hinauf. »Schließlich muss man etwas tun.«

      »Ich lese in der Bibel«, sagte sie und stand dort unten breit und viereckig und war traurig, weil sie irgendetwas in ihrem Leben nicht bekommen hatte. Und nun war es zu spät, es sich zu nehmen.

      Es ist merkwürdig, aber ich arbeitete in Chamonix weniger für das Blatt als für Braumann. Er war der beste Produktionschef, den ich je erlebt habe, und immer empfand ich ihm gegenüber eine Art kindlich-hastiger Dankbarkeit. Er besaß die Gabe, wenig zu sprechen und sofort zu verstehen, wenn Schwierigkeiten auftauchten. Niemals erlebte ich bei ihm das sinnlose Geschwätz so vieler Chefredakteure oder Ressortleiter, die sich in dümmlichen Sentenzen verlieren, um ihre Wichtigkeit zu beweisen. Das erwähne ich nur, um die Intensität zu erklären, mit der ich in jener Zeit arbeitete. Es wäre dumm anzunehmen, dass mich irgendetwas Verpflichtendes an meinen Verleger band. Ich kannte ihn nicht einmal. Der Verleger war für uns Reporter eine Gruppe von sehr feinen Leuten, die allesamt versuchten, sich gegenseitig die Schreibtische und ihre Bedeutung zu stehlen. Einige von ihnen hatten den Mut, sich als Journalisten zu bezeichnen, obwohl sie nie etwas anderes waren als zu hoch bezahlte Bürovorsteher. Und Braumann war nicht so.

      Nach einer Viertelstunde verließ ich mein Zimmer wieder, und das Mädchen wartete unten im Speiseraum auf mich. Sie sagte fröhlich: »Ich habe es gewusst. Was wollen Sie jetzt in der Nacht noch unternehmen?« Sie war stolz.

      Ich bin heute nicht mehr sicher, was ich in jenen Sekunden dachte. Vielleicht ekelte ich mich vor der keuschen Behutsamkeit von Eichhörnchen. Vielleicht ist es auch natürlich, dass man nach sieben Jahren Ehe ausbricht. Möglicherweise sah ich die Brüste dieses Mädchens und hatte einfach Lust.

      Aber ich weiß, dass ich sagte: »Wir sind Konkurrenz!« Aber ich sagte es nicht ernsthaft.

      Sie war sehr eifrig. »Aber ich werde Herrn Bernhold nichts sagen. Ich will etwas lernen.«

      »Schön«, sagte ich, »trinken wir erst einen Kognak.«

      »Die Wirtin ist schon schlafen gegangen.«

      »Das macht nichts. Da drüben steht die Flasche. Ich werde einen Zwanzig-Franc-Schein

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