Der vergessene Bunker. F. John-Ferrer
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Читать онлайн книгу Der vergessene Bunker - F. John-Ferrer страница 4
Alois Brunner, der Mechaniker aus Berchtesgaden, lag auf dem Rücken, die Beine angezogen, und spielte. Er hielt die Augen geschlossen. Am MG-Tisch gurteten zwei Soldaten Munition: der Obergefreite Ernst Amann aus Dachau und Franz Lämmer. Lämmer war erst vor acht Wochen durch einen Granatsplitter am Kopf verwundet worden, hatte sich aber nicht heimschicken lassen, sondern war nach kurzer Behandlung am Verbandsplatz und ohne sich dort abzumelden wieder zur Kompanie zurückgekehrt. Seitdem litt er oft unter Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit, machte davon aber kein Aufheben. Er war ein stiller Mensch, der jederzeit half und an seinen Kameraden hing; deshalb wollte er sich auch nicht irgendwohin in ein Lazarett abschieben lassen.
»Man schickt mich sowieso wieder an die Front«, sagte er. »Da ist’s mir lieber, ich bleib gleich da.«
Von Beruf war er Bäcker; er stammte aus Würzburg, wo er im Betrieb seiner Eltern half.
Auf der linken Bunkerseite lagen zwei weitere Gestalten auf den Decken. Die eine, es war der Gefreite Walter Drexler, ein Münchner, schlief, die andere reinigte sich, auf dem Rücken liegend und die Beine übereinandergeschlagen, mit dem Taschenmesser die Fingernägel. Es handelte sich um den Gefreiten Ferdinand Koch, von Beruf Kellner und in Ruhpolding daheim.
Der siebte Mann der Bunkerbesatzung, der bullige Toni Weiß, ein Fuhrknecht aus Aschau, stand unweit des Bunkers auf Posten.
Teichmann saß im Lichtkreis des Hindenburglichtes und stopfte eine Socke. Sein knochiges Gesicht war über die Arbeit gebeugt. Er führte die Nadel mit auffallend langen und dünnen Fingern. Sein weizenblondes Haar war bürstenartig geschnitten, und die Brille hing mit ihren grauen Bändern hinter den abstehenden Ohren.
»Es hört auf zu regnen«, sagte Amann und warf einen Blick durch die linke Schießscharte. »Wie spät haben wir’s denn schon, Herrschaften?«
»Viertel nach viere«, ertönte es von links, wo Ferdl lag. Er hatte einen Blick auf die Armbanduhr geworfen.
Das Mundharmonikaspiel brach ab.
»Zeit wär’s, dass ’s Fressen rankommt.« Brunner setzte sich auf und klopfte die Mundharmonika in die Handmuschel. »Wo nur der Lorenz bleibt, der müsst doch schon längst da sein.«
Teichmann biss den Wollfaden ab und sagte mit schnarrender Stimme: »Jemand muss raus und zum Gefechtsstand. Wer geht freiwillig?«
Schweigen.
»Na los, Herrschaften«, ließ sich Teichmann mit leichter Ungeduld vernehmen und stand auf. Sein Kopf reichte bis zur Bunkerdecke. »Jemand muss nach Laksa rüber.«
»Zu was?«, kam es von rechts. Brunner schob die Mundharmonika in die Brusttasche seiner abgetragenen Uniformjacke. »Die Lage ist unverändert, Herr Oberjäger: Russki hat das Feuer eingestellt, Regen hat aufgehört, wir sitzen da und warten auf den großen Sieg.«
Teichmanns Brillengläser funkelten matt, sein Gesicht wurde ärgerlich.
»Sparen Sie sich Ihre Sottisen, Brunner; es hat Sie niemand um Ihre Meinung gefragt.«
»Sottisen?« Brunner grinste schief. »Was ist denn dös wieder? So a Wort hab ich noch nie gehört.«
»Man kann auch ›dumme Redensarten‹ sagen«, erwiderte Teichmann schroff.
»Ach so«, spottete Brunner, »dumme Redensarten nennt man’s in Ihren Kreisen, wenn man vom Endsieg redet? Dös muss ich mir merken, Herr Oberjäger.«
Teichmann machte den Mund auf, um Brunner zurechtzuweisen, ließ es aber sein und fragte dann noch einmal: »Also – wer geht?«
»Ich!«, kam es vom MG-Tisch her. Lämmer rutschte von der Tischkante, ging zum Wandbrett, holte den Stahlhelm herunter, zog die an einem Zipfel aufgehängte Zeltbahn vom Nagel und schlüpfte hinein; dann nahm er den Karabiner, probierte den Sitz des Mündungsschoners und trat zu Teichmann. Mit gleichgültiger Stimme sagte er: »Melde mich ab nach Laksa.«
Teichmann nickte dienstlich.
»Schauen Sie mal nach, wo der Lorenz bleibt, und wenn Sie Feldwebel Danzer treffen, sagen Sie ihm, dass unser Waffenöl zu Ende gegangen ist.«
»Jawohl.« Lämmer grüßte lasch und verließ den Bunkerraum mit schleppenden Schritten.
Er schlich die Erdstufen herauf, schob die Zeltbahn des Einganges zur Seite und blieb stehen.
Man konnte sein unrasiertes Gesicht jetzt deutlicher erkennen. Es sah kränklich aus und alt. Am Haaransatz über dem rechten Auge klebte ein verschmutztes Pflaster. Lämmer betastete es, murmelte etwas und setzte dann vorsichtig den Stahlhelm auf.
Der noch im Schädel steckende Granatsplitter schmerzte heftig, und Lämmer verzog leicht das Gesicht. Dann hängte er umständlich den Karabiner über und wollte gehen.
Da erscholl von links eine tiefe Stimme: »Sakra, warum werd ich denn net abgelöst? Die zwoa Stunden san doch längst um!«
Es war der bullige Toni Weiß, der weiter drüben in einem tiefen Schützenloch, von dem aus man das freie Gelände überschauen konnte, auf Posten stand. Man sah ihn nicht, man hörte nur seinen bayerischen Bierbass aus den Büschen.
»Muss gleich soweit sein«, rief Lämmer hinüber. »Der Teichmann passt schon auf, dass du net über die Zeit stehst.«
»Und wo bleibt ’s Futter?«, kam die Frage aus dem Busch.
»Ich geh mal nachschaun, wo der Lorenz bleibt.«
»Ist er noch net da, der Hammel?«
»Nein.«
»Wannst ihn siehst, sagst ihm, dass ich ihm demnächst a Raketen einbau, damit er a wengerl schneller hin und z’ruck kimmt, verstanden!«
Lämmer setzte sich in Bewegung und ging den Pfad entlang. Von den Bäumen tropfte die Nässe, der Wald roch nach Moder. Es dunkelte schon langsam.
Wie schnell jetzt die Tage zu Ende sind, dachte Lämmer. Und geschneit hat es heute auch zum ersten Mal. Werden wir noch einen Winter in Russland verbringen? Das wäre scheußlich. Ich weiß nicht, ob ich das durchstehe. Vielleicht melde ich mich doch beim Sani und lass mich heimschicken. Aber wie soll das gehen? In welche Richtung müssten sie mich schicken? Die Russen stehen überall, und der Weg nach Norden bis Petsamo oder Kirkenes ist so weit wie von hier nach Königsberg, und die Russen sind sicher nicht mehr weit von Königsberg weg. Wie soll das enden? Wo ist das Loch, durch das wir schlüpfen können?
Lämmer tastete sich mit der Linken an den triefenden Büschen entlang, stolperte einmal und fing sich wieder. Der Granatsplitter im Schädelknochen tat weh, der Schmerz schoss tief ins Genick hinein.
Ich schaff es nimmer, kam es Lämmer plötzlich zum Bewusstsein. Ich muss mir das Ding rausnehmen lassen, sonst werd ich noch verrückt. Ich kann nimmer schlafen, und der Schädel tut mir den ganzen Tag lang weh.
Die Lichtung zeigte sich. Nebeldunst kroch über sie hinweg, wogte träge hin und her. Der zerschossene