Klein-Doritt. Charles Dickens
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»Auf Wiedersehen, meine Vögel!« wiederholte das hübsche Kind.
Sein unschuldiges Gesichtchen sah so freundlich über die Schulter des Alten, während dieser mit ihm wegging und das Lied aus dem Kinderspiele sang:
»Wer kommt so spät bei Nacht vorbei?
Compagnon de la Majolaine!
Wer kommt so spät bei Nacht vorbei?
Immer froh!«
daß Johann Baptist es für eine Ehrensache hielt, durch das Gitter in gleichem Rhythmus und Ton, wenn auch mit etwas rauher Stimme, darauf zu antworten:
»Die Blüte aller Ritterschaft,
Compagnon de la Majolaine!
Die Blüte aller Ritterschaft,
Immer froh!«
Und dieser Gesang begleitete sie so lange über die steinerne Treppe hinab, daß der Gefängniswärter zuletzt stehenbleiben mußte, damit sein Töchterchen das Lied aushören konnte. Dann verschwand der Kopf des Kindes und der Kopf des Gefängniswärters, aber die kleine Stimme setzte das Lied fort, bis die Tür ins Schloß fiel.
Monsieur Rigaud, dem Johann Baptist in die Quere kam, ehe das Echo verstummt war (selbst dieses schien in dem Gefängnis schwächer und langsamer), erinnerte ihn mit einem Fußtritt, daß er besser tun würde, seinen alten dunklen Platz wieder einzunehmen. Der kleine Mann setzte sich mit einer Gleichgültigkeit auf den Boden, die deutlich zu erkennen gab, daß er auf Stein zu sitzen gewohnt war: und drei Stücke des rauhen Brotes vor sich hinlegend und über ein viertes herfallend, begann er sich zufrieden einen Weg durch diesen Vorrat zu bahnen, als ob mit ihnen aufzuräumen eine Art Spiel wäre.
Vielleicht schielte er nach der Lyoner Wurst, vielleicht sah er nach dem Kalbfleisch mit der würzigen Farce, aber sie blieben nicht lange sichtbar und konnten ihm den Mund auch nicht lange wässerig machen. Monsieur Rigaud erledigte sie gründlich trotz Präsident und Tribunal, leckte dann seine Finger, so rein er konnte, und wischte diese zuletzt mit dem Weinlaub ab. Als er mitten im Trinken aufhörte, um seinen Mitgefangenen zu betrachten, bäumte sich sein Schnurrbart und seine Nase senkte sich herab.
»Wie schmeckt das Brot?«
»Ich finde es ein wenig trocken, aber ich habe meine alte Tunke hier«, entgegnete Johann Baptist, indem er sein Messer in die Höhe hielt.
»Inwiefern Tunke?«
»Ich kann mein Brot so schneiden – wie eine Melone. Oder so – wie eine Omelette. Oder so – wie einen gebratenen Fisch. Oder so – wie eine Lyoner Wurst«, sagte Johann Baptist, die verschiedenen Schnitte an dem Brot demonstrierend, das er in der Hand hielt, und ruhig kauend, was er im Munde hatte.
»Hier!« rief Monsieur Rigaud. »Da trinkt. Leert die Flasche!«
Es war kein großes Geschenk; denn es war ungemein wenig Wein übrig. Aber Signor Cavaletto sprang auf die Füße und nahm dankbar die Flasche, die er umgestürzt an den Mund setzte worauf er laut zu schmatzen begann.
»Stelle die Flasche mit dem übrigen beiseite«, sagte Rigaud.
Der kleine Mann gehorchte seinen Befehlen und stand mit einem angezündeten Schwefelhölzchen bereit; denn der andere rollte seinen Tabak mit Hilfe von Papierstreifen, die dabei gelegen, zu Zigaretten.
»Hier! Da habt Ihr eine.«
»Tausend Dank, Herr!« Johann Baptist sagte diese Worte in seiner Muttersprache und mit der lebhaften gewinnenden Weise, die seinen Landsleuten eigen. Monsieur Rigaud stand auf, zündete eine Zigarette an, steckte den Rest seines Vorrats in eine Brusttasche und streckte sich der Länge nach auf eine Bank. Cavaletto setzte sich auf den Boden, indem er in jeder Hand einen von seinen Knieknöcheln hielt und ruhig fortrauchte. Rigauds Augen schienen von irgend etwas in der unmittelbaren Nähe des Punktes auf dem Boden, wo der Daumen früher geruht, unangenehm berührt zu werden. Sie sahen so stier nach dieser Richtung, daß der Italiener mehr als einmal verwundert seinen Blicken auf dem Boden hin und her folgte, um zu sehen, was das bedeuten sollte.
»Ein höllisches Loch fürwahr!« sagte Monsieur Rigaud, eine lange Pause abbrechend. »Seht mal dieses Tageslicht! Tag? Das Licht von gestern vor acht Tagen, das Licht von vor sechs Wochen, das Licht von vor sechs Jahren. So matt und farblos!«
Es kam durch eine viereckige trichterförmige Öffnung, die sich an einem Fenster in der Treppenmauer befand und durch das man weder den Himmel noch sonst etwas sehen konnte.
»Cavaletto«, sagte Monsieur Rigaud und wandte plötzlich seinen Blick von jener Öffnung ab, auf die sie beide unwillkürlich ihre Augen gerichtet, »Sie kennen mich als Kavalier.«
»Gewiß, gewiß!«
»Wie lange sind wir jetzt hier?«
»Ich morgen um Mitternacht elf Wochen. Sie heute nachmittag um fünf Uhr neun Wochen und drei Tage.«
»Habe ich je hier etwas getan? Je den Besen berührt, oder die Matten ausgebreitet, oder sie aufgerollt, oder das Damespiel geholt, oder die Dominosteine gesammelt, oder Hand an irgendeine Arbeit gelegt?«
»Nie.«
»Habt Ihr je auch nur erwartet, ich könnte mich zu irgendeiner Art von Arbeit herablassen?"
Johann Baptist antwortete mit jenem eigentümlichen Schütteln des verkehrten rechten Zeigefingers, das die ausdrucksvollste Verneinung der italienischen Sprache ist.
»Nein! Ihr wußtet vom ersten Augenblick, als Ihr mich hier sähet, daß ich ein Kavalier bin?«
»Altro!« entgegnete Johann Baptist, indem er seine Augen schloß und den Kopf heftig schüttelte.
Dieses Wort, das je nach der Betonung der Genuesen eine Bejahung, eine Verneinung, eine Bestätigung, einen Einwand, einen Spott, ein Kompliment, einen Scherz und fünfzig andere Dinge bedeuten kann, war im gegenwärtigen Augenblick bezeichnender als jedes geschriebene Wort und mit dem deutschen »Selbstverständlich!« gleichbedeutend.
»Haha! Ihr habt recht! Ich bin ein Kavalier! Und als Kavalier will ich leben und als Kavalier will ich sterben. Ich bin in Scherz und Ernst ein Kavalier. Ich werde es zeigen, wo ich stehe und gehe, so wahr ich selig werden will.« Er änderte seine Lage in eine sitzende und rief mit triumphierender Miene:
»Hier bin ich. Seht mich an! Aus dem Würfelbecher des Schicksals in die Gesellschaft eines bloßen Schmugglers geschleudert; – eingeschlossen mit einem armen kleinen Schmuggler, dessen Papiere nicht in Ordnung, und den die Polizei packte, weil er sein Boot (als Mittel, über die Grenze zu kommen) andern kleinen Leuten zur Verfügung stellte, deren Papiere nicht besser sind; und dieser Mensch erkennt meine Stellung an, selbst bei dieser Beleuchtung und an diesem Ort. Gut! Beim Himmel, ich gewinne, wie das Spiel auch fällt.«
Wiederum bäumte sich der Schnurrbart, und die Nase senkte sich.
»Was ist jetzt die Uhr?« fragte er mit einer trocken-heißen Blässe auf den Wangen, zu der der scherzende Ton wenig paßte.
»Eine kleine halbe Stunde nach Mittag.«
»Gut! Der Präsident wird bald einen Kavalier vor sich haben.