Das Tal des Grauens. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Das Tal des Grauens - Arthur Conan Doyle страница 11
»So können wir also jeden Gedanken, daß der Mann beim Durchqueren ertrunken ist, vergessen?«
»Allerdings; darin könnte nicht einmal ein Kind ertrinken.«
Wir gingen über die Zugbrücke und wurden von einer wunderlichen, knorrigen, vertrockneten Person eingelassen – dem Butler Ames. Der arme alte Knabe zitterte und war weiß von dem Schock. Der Dorfpolizist, ein hochgewachsener, förmlicher, melancholischer Mann, hielt immer noch Wache im Todeszimmer. Der Arzt war gegangen.
»Irgendwas Neues, Sergeant Wilson?« fragte White Mason.
»Nein, Sir.«
»Dann können Sie jetzt nach Hause gehen. Genug für heute. Wir können ja nach Ihnen schicken, wenn wir Sie brauchen. Der Butler wartet besser draußen. Sagen Sie ihm, er soll Mr. Cecil Barker, Mrs. Douglas und die Haushälterin verständigen, daß wir dann ein paar Worte mit ihnen reden möchten. Und jetzt, Gentlemen, erlauben Sie mir vielleicht, daß ich' Ihnen zuerst meine Ansicht vortrage, und dann können Sie sich Ihre eigene bilden.«
Er beeindruckte mich, dieser Spezialist vom Lande. Er hatte die Tatsachen fest im Griff und besaß einen kühlen, klaren, nüchternen Verstand, mit dem er es in seinem Beruf noch recht weit bringen sollte. Holmes hörte ihm aufmerksam zu, ohne ein Anzeichen jener Ungeduld, die ein Vertreter der Beamtenschaft nur allzu oft bei ihm hervorrief!
»Ist es Selbstmord oder ist es Mord – so lautet unsere erste Frage, Gentlemen, nicht wahr? Wenn es Selbstmord war, dann müssen wir annehmen, daß dieser Mann zunächst seinen Ehering abgezogen und versteckt hat; daß er dann im Schlafrock runterkam, hier in einer Ecke hinter dem Vorhang Schlamm zertrampelte, um glauben zu machen, jemand habe ihm aufgelauert; daß er das Fenster öffnete und Blut verschmierte auf dem ...«
»Das können wir mit Sicherheit ausschließen«, sagte MacDonald.
»Das denke ich auch. Selbstmord scheidet aus. Dann wurde also ein Mord verübt. Was wir herausfinden müssen, ist, ob der Täter von außerhalb kommt oder zum Haus gehört.«
»Na, dann lassen Sie mal Ihre Beweisführung hören.«
»Da gibt es bei beiden Möglichkeiten beträchtliche Schwierigkeiten, und dennoch muß die eine oder die andere zutreffen. Nehmen wir zuerst einmal an, daß eine oder mehrere Personen aus dem Haus das Verbrechen begangen haben. Man hat also diesen Mann zu einem Zeitpunkt hierher runtergeholt, als alles still war, aber noch niemand schlief Dann hat man die Tat mit der verrücktesten und lautesten Waffe der Welt begangen, um jedermann zu verkünden, was passiert ist – einer Waffe, die nie zuvor im Haus gesehen wurde. Das scheint nicht sehr glaubhaft für den Anfang, oder?«
»Nein, allerdings nicht.«
»Schön, dann sind sich alle einig, daß nach dem Alarm höchstens eine Minute verstrichen ist, bis das ganze Haus – nicht nur Mr. Cecil Barker, obwohl er behauptet, der erste gewesen zu sein, sondern auch Ames und alle anderen – zur Stelle war. Wollen Sie mir weismachen, daß es der Täter in dieser Zeitspanne geschafft hat, in der Ecke Fußspuren zu fabrizieren, das Fenster zu öffnen, den Sims mit Blut zu bestreichen, den Ehering vom Finger des Toten zu ziehen und was sonst noch alles? Unmöglich!«
»Sie haben die Sache sehr klar dargestellt«, sagte Holmes. »Ich bin geneigt, Ihnen zuzustimmen.«
»Schön, dann führt uns das zu der Theorie zurück, daß es jemand von draußen getan hat. Wir stehen zwar immer noch vor einigen großen Schwierigkeiten, aber immerhin sind es keine Unmöglichkeiten mehr. Der Mann gelangte also zwischen halb fünf und sechs ins Haus – das heißt, zwischen Dämmerung und dem Zeitpunkt, als die Brücke hochgezogen wurde. Es war Besuch da, und das Tor stand offen; so gab's nichts, was ihm in die Quere kommen konnte. Vielleicht war er ein gewöhnlicher Einbrecher; oder er hatte womöglich einen persönlichen Groll gegen Mr. Douglas. Da Mr. Douglas den größten Teil seines Lebens in Amerika verbracht hat und diese Schrotflinte eine amerikanische Waffe zu sein scheint, sieht es so aus, als sei der persönliche Groll die wahrscheinlichere Theorie. Er schlüpft also in dieses Zimmer, weil es das erste beste ist, und versteckt sich hinter dem Vorhang. Dort harrt er bis nach elf Uhr aus. Zu diesem Zeitpunkt betritt Mr. Douglas das Zimmer. Wenn's überhaupt zu einem Wortwechsel gekommen ist, dann nur zu einem kurzen, denn Mrs. Douglas gibt an, daß ihr Mann erst ein paar Minuten von ihr weg war, als sie den Schuß hörte.«
»Das beweist die Kerze«, sagte Holmes.
»Genau. Die Kerze war neu; sie ist nicht mehr als einen halben Zoll runtergebrannt. Er muß sie auf den Tisch gestellt haben, bevor er angegriffen wurde, denn sonst wäre sie natürlich mit ihm zu Boden gefallen. Das beweist, daß er nicht sofort beim Betreten des Zimmers angegriffen wurde. Als dann Mr. Barker kam, wurde die Lampe angezündet und die Kerze gelöscht.«
»Das alles ist durchaus klar.«
»Schön, dementsprechend können wir jetzt die Geschichte rekonstruieren. Mr. Douglas betritt das Zimmer. Er stellt die Kerze ab. Ein Mann kommt hinter dem Vorhang hervor. Er ist mit diesem Gewehr bewaffnet. Er verlangt den Ehering – warum, weiß nur der Himmel, aber so muß es gewesen sein. Mr. Douglas gibt ihn her. Dann erschießt er Douglas auf diese grauenhafte Weise; und zwar entweder kaltblütig oder im Verlauf eines Kampfes – dabei griff Douglas vielleicht zu dem Hammer, den man auf dem Teppich gefunden hat. Der Mann ließ sein Gewehr fallen und anscheinend auch diese komische Karte, ›V.V. 341‹, was immer das bedeuten mag; und in genau dem Augenblick, wo Cecil Barker das Verbrechen entdeckt, macht er sich durchs Fenster und über den Graben aus dem Staub. Wie hört sich das an, Mr. Holmes?«
»Höchst interessant, aber nicht bis ins letzte überzeugend.«
»Menschenskind, es würde sich wie absoluter Unsinn anhören, wenn nicht jede andere Erklärung noch schlechter wäre«, rief MacDonald. »Jemand hat den Mann umgebracht; aber ganz gleich, wer es war – ich könnte Ihnen klar beweisen, daß er es auf eine andere Weise hätte tun sollen. Was hat es zu bedeuten, daß er sich freiwillig derartig den Rückzug abschneidet? Was hat es zu bedeuten, daß er eine Schrotflinte benutzte, wo doch Stille seine einzige Fluchtmöglichkeit war? Los, Mr. Holmes, jetzt sind Sie dran, uns einen Ausweg zu zeigen, denn Sie behaupten ja, daß Mr. White Masons Theorie nicht überzeugend ist.«
Während dieser langen Diskussion hatte Holmes mit gespannter Aufmerksamkeit dagesessen; ihm entging kein Wort, das gesprochen wurde, seine scharfen Augen schössen nach rechts und nach links, und beim Nachgrübeln runzelte sich seine Stirn.
»Ich hätte gern noch ein paar Fakten mehr, bevor ich zu einer Theorie gelange, Mr. Mac«, sagte er; er kniete neben der Leiche nieder. »Meine Güte! Diese Verletzungen sind wirklich schauderhaft. Können wir den Butler für einen Augenblick hereinbitten? ... Ames, ich nehme an, Sie haben dieses äußerst ungewöhnliche Zeichen, ein eingebranntes Dreieck in einem Kreis, auf Mr. Douglas' Unterarm schon oft gesehen?«
»Häufig, Sir.«
»Und Sie haben nie Vermutungen gehört, was es bedeutet?«
»Nein, Sir.«
»Es anzubringen muß große Schmerzen verursacht haben. Es handelt sich unzweifelhaft um ein Brandzeichen. Nun, Ames, ich stelle fest, daß am Kieferwinkel von Mr. Douglas ein kleines Stück Pflaster klebt. Haben Sie das schon bemerkt, als er noch am Leben war?«
»Ja, Sir; er hat sich gestern morgen beim Rasieren geschnitten.«
»Wissen Sie, ob er sich früher schon einmal beim Rasieren geschnitten hat?«