Der Sohn des Bärenjägers. Karl May

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Der Sohn des Bärenjägers - Karl May

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      „Nun, ich schätze: Hätte der Mann noch einen Tagesritt zu machen gehabt, so hätte er das erschöpfte Pferd unbedingt erst einige Stunden lang ausruhen lassen müssen und sodann die Versäumnis nachholen können. Weil er aber den Ort, den er erreichen will, nahe wusste, hat er geglaubt, diese Strecke trotz der Müdigkeit seines Pferdes heute noch zurücklegen zu können.“

      „Höre, mein alter Jemmy, das, was du da sagst, klingt nicht so uneben. Ich gebe dir abermals Recht.“

      „Dieses Lob ist überflüssig. Wer fast dreißig Jahre lang in der Savanne herumgestolpert ist, kann wohl auch einmal auf einen klugen Gedanken kommen. Der Mann ist jedenfalls ein Bote. Er hat es eilig gehabt, seine Angelegenheit war von großer Wichtigkeit. Ein Indsman ist aller Wahrscheinlichkeit nur der Bote zwischen Indianern, und so möchte ich fast behaupten, dass sich Rothäute hier in der Nähe befinden.“

      Der Lange Davy stieß einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen hervor und ließ seinen Blick nachdenklich rundum schweifen.

      „Unangenehm, recht unangenehm!“, brummte er. „Der Kerl kommt von Indianern und geht zu Indianern. Wir befinden uns demnach zwischen ihnen, ohne zu wissen, wo sie stecken. Also können wir leicht auf die eine Horde stoßen und unsere Skalpe zum Jahrmarkt tragen.“

      „Das ist freilich zu befürchten. Wir müssen der Fährte folgen.“

      „Richtig! Dann wissen wir, dass sich die eine Schar der Roten vor uns befindet, und sie hat keine Ahnung von uns. Wir sind also im Vorteil. Aber neugierig bin ich doch, zu welchem Stamm der Bote gehören mag.“

      „Ich ebenso. Erraten lässt es sich nicht. Da oben im nördlichen Montana gibt es die Schwarzfuß-, Pigan- und Blutindianer. Die kommen nicht herüber. Am Knie des Missouri lagern die Riccarees, die ebenso wenig hier etwas zu suchen haben. Die Sioux? Hm! Hast du etwa gehört, dass sie in neuerer Zeit das Kriegsbeil ausgegraben haben?“

      „Nein.“

      „So wollen wir uns jetzt den Kopf nicht zerbrechen, aber vorsichtig müssen wir sein. Wir befinden uns in einer Gegend, die uns gut bekannt ist, und wenn wir nicht geradezu Dummheiten machen, kann uns nichts geschehen. Komm!“

      Sie saßen wieder auf und folgten der Fährte, die sie genau im Auge behielten, dabei aber auch scharf nach vorn und den Seiten ausschauend, um ja irgendetwas Feindseliges sofort zu entdecken.

      Es verging wohl eine Stunde und die Sonne sank immer tiefer. Der Wind erhob sich mehr und mehr und die Hitze des Tages ließ schnell nach. Bald bemerkten sie, dass der Indianer nur noch im Schritt geritten war. An einer unebenen Stelle schien sein Pferd vor Übermüdung gestolpert und in die Knie gesunken zu sein. Jemmy stieg sofort ab und untersuchte die Stelle.

      „Ja, es ist ein Indsman“, erklärte er. „Er ist abgesprungen. Seine Mokassins sind mit Stachelschweinborsten verziert. Hier liegt eine abgebrochene Spitze davon. Und hier... ah, der Kerl muss noch sehr jung sein!“

      „Warum?“, fragte der Lange, der auf seinem Tier sitzen geblieben war.

      „Die Stelle ist sandig und sein Fuß hat sich genau abgezeichnet. Wenn ich nicht annehmen soll, dass es eine Squaw war, so...“

      „Unsinn! Eine Frau kommt nicht allein hierher.“

      „...so ist er ein junger Mensch, wahrscheinlich höchstens achtzehn Jahre alt.“

      „So, so! Das klingt gefährlich. Es gibt Stämme, bei denen gerade diese jungen Krieger als Kundschafter benutzt werden. Sehen wir uns also vor!“

      Die beiden ritten wieder weiter. Während sie bisher durch eine Blumenprärie gekommen waren, tauchte jetzt hier und da ein Gebüsch auf, erst vereinzelt, dann in zusammenstehenden Gruppen. In der Ferne schien es Bäume zu geben.

      Endlich kamen sie an eine Stelle, wo der Reiter kurze Zeit abgestiegen war, um seinem Pferd eine freilich nur kurze Ruhe zu gönnen. Dann war er zu Fuß weitergeschritten, das Tier am Zügel führend.

      Die vorliegenden Büsche hemmten jetzt zuweilen die Aussicht so, dass Vorsicht doppelt nötig wurde. Davy ritt voran und Jemmy folgte. Auf einmal sagte der Dicke: „Du Langer, hier am Busch hing ein Schwanzhaar, das dem müden Gaul ausgerissen wurde.“

      „Ay! Aber sprich nicht so laut! Hier können wir jeden Augenblick auf Leute stoßen, die wir erst sehen, wenn sie uns bereits erschossen haben!“

      „Das fürchte ich nicht. Ich kann mich da auf mein Pferd verlassen. Es schnaubt, sobald es einen Feind wittert. Also nur immer getrost weiter!“

      Der Lange Davy folgte wohl dieser Aufforderung, blieb aber im nächsten Augenblick bereits wieder halten. „Alle Teufel!“, sagte er. „Da ist etwas vorgegangen!“

      Der Dicke trieb sein Pferd an und gelangte nach wenigen Schritten durch die Büsche auf einen freien Platz. Vor ihnen erhob sich einer jener kegelförmigen Felsen, deren es in dieser Prärie so viele gibt. Die Fährte führte hart an ihm vorüber und sprang sodann in einem scharfen Winkel nach rechts ab. Das sahen die beiden deutlich, aber sie gewahrten noch etwas. Von der anderen Seite des Felsens her zogen sich nämlich Spuren zu der genannten Fährte hinüber, um sich mit ihr zu vereinigen.

      „Was meinst du dazu?“, fragte der Lange.

      „Dass da hinter diesem Felsen Menschen lagerten, die den Indsman vorüberließen und dann verfolgten.“

      „Vielleicht sind sie bereits wieder fort.“

      „Oder es sind welche zurückgeblieben. Warte hier hinter den Büschen! Ich will einmal meine Nase um die Ecke stecken.“

      „Steck sie nur nicht etwa in einen geladenen Flintenlauf, der im Losgehen ist!“

      „Nein, dazu wäre die deinige besser geeignet.“

      Jemmy stieg ab, überreichte dem Langen die Zügel seines Kleppers und rannte in vollem Lauf auf den Felsen zu.

      „Schlauer Fuchs!“, brummte Davy befriedigt vor sich hin. „Hier würde das Anschleichen zu viel Zeit erfordern. Man sollte gar nicht glauben, dass der Dicke so springen kann!“

      An der Rückseite des Felsens angekommen, schlich sich der Kleine langsam und vorsichtig nach vorn und verschwand hinter einer vorspringenden Kante. Bald jedoch erschien er wieder und gab dem Langen einen Wink, indem er mit dem Arm einen Bogen beschrieb. Davy verstand richtig, dass er nicht geradewegs nach dem Felsen reiten solle, und schlug zwischen den Büschen hindurch einen Bogen, bis er auf die neue Fährte traf und auf ihr zu Jemmy an den Felsen gelangte.

      „Was sagst du dazu?“, fragte der Dicke, indem er auf den Platz zeigte, der vor ihnen lag.

      Hier hatte sich ein Lager befunden. Einige eiserne Kessel lagen noch am Boden, mehrere Hacken und Schaufeln, eine Kaffeemühle, ein Mörser, verschiedene kleine und größere Pakete – die Spur eines Lagerfeuers aber war nicht zu sehen.

      „Na“, entgegnete der Gefragte kopfschüttelnd. „Diejenigen, die sich hier so häuslich niedergelassen hatten, mögen sehr unvorsichtige Leute oder noch ganz grün im Westen sein. Man sieht die Spuren von wenigsten fünfzehn Pferden, aber kein einziges war angepflockt oder auch nur angehobbelt. Wie es scheint, waren mehrere Packtiere darunter. Auch die sind fort. Wohin? Das ist eine ganz heillose Wirtschaft! Man

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