Der Sohn des Bärenjägers. Karl May
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Читать онлайн книгу Der Sohn des Bärenjägers - Karl May страница 8
„Und weil es euch zu dieser Reise an den nötigen Pferden mangelt, seid ihr nebenbei auch ebenso ehrliche Horse-pilfers[11]. Uns täuscht ihr nicht.“
„Mann, sag noch ein solches Wort, so schieße ich dich nieder! Wir haben alle diese Pferde gekauft und bezahlt.“
„Wo denn, mein ehrlicher Mister Brake?“
„Bereits unten in Omaha.“
„So! Und da habt ihr euch dort wohl auch einen Vorrat von Hufschwärze mitgenommen? Warum sind denn die beiden Braunen so frisch wie aus der Fenz heraus? Warum haben sie geschwärzte Hufe, während eure anderen Gäule abgetrieben sind und in verwahrlosten Pantoffeln laufen? Ich sage euch, dass die Braunen noch gestern einen anderen Herrn gehabt haben und dass der Diebstahl von Pferden hier im Westen mit dem schönen Tod durch den Strang bestraft wird.“
„Lügner! Verleumder!“, brüllte Brake, sich nach seinem Gewehr bückend.
„Nein, er hat Recht!“, ertönte da eine Stimme zwischen den Büschen hervor. „Ihr seid elende Pferdediebe und sollt euren Lohn haben. Schießen wir sie nieder, Martin!“
„Nicht schießen!“, rief der Lange Davy. „Nehmt die Kolben! Eine Kugel sind sie nicht wert.“
Er holte mit dem umgekehrten Gewehr aus und versetzte Brake einen Hieb, dass er besinnungslos zu Boden stürzte. Aus den Büschen sprangen zwei Gestalten hervor, ein kräftiger Knabe und ein Mann. Mit hoch erhobenen Büchsen warfen sie sich auf die angeblichen Prospektoren.
Jemmy hatte sich gebückt und mit zwei schnellen Schnitten die Fesseln Wohkadehs gelöst. Der Indianer schnellte empor, sprang auf einen der Feinde zu, ergriff ihn beim Genick, riss ihn nieder und schleuderte ihn über das Wasser hinüber, wo sein Jagdmesser lag. Kein Mensch hätte ihm eine solche Körperstärke zugetraut. Dem Weißen nachspringen, mit der Rechten das Messer ergreifen, auf den Feind knien und dessen Haarschopf mit der Linken erfassen, das war das Werk eines Augenblicks. „Help – help – for God’s sake – help!“, kreischte der Mann in höchster Todesangst auf.
Wohkadeh hatte das Messer zum tödlichen Stoß erhoben. Sein blitzendes Auge fiel auf das vor Entsetzen verzerrte Gesicht des Feindes – und die Hand mit dem Messer sank nieder. „Hast du Angst?“, fragte er.
„Ja! Gnade, Gnade!“
„Sag, dass du ein Hund bist!“
„Gern, sehr gern! Ich bin ein Hund!“
„So bleib zu deiner Schande leben. Ein Indianer stirbt mutig und ohne Klage, du aber wimmerst um Barmherzigkeit. Wohkadeh kann den Skalp eines Hundes nicht tragen. Du hast mich geschlagen, dafür gehörte deine Kopfhaut mir. Aber ein räudiger Hund kann keinen roten Mann beleidigen. Lauf fort; es ekelt Wohkadeh vor dir!“
Er gab ihm einen Tritt mit dem Fuß. Im nächsten Augenblick war der Mann verschwunden.
Das war alles viel schneller geschehen, als man es zu erzählen vermag. Brake lag am Boden, drei andere neben ihm. Die Übrigen hatten sich schleunigst ohne ihre Waffen aus dem Staub gemacht. Ihre Pferde waren ihnen nachgelaufen. Nur die beiden Braunen standen noch da und rieben ihre Köpfe an den Schultern der beiden Helfer, die sich so unerwartet eingestellt hatten.
Der Knabe mochte ungefähr das sechzehnte Jahr vollendet haben, doch war sein Körper über dieses Alter hinaus entwickelt. Helle Gesichtsfarbe, blondes Haar und blaugraue Augen wiesen auf germanische Abstammung hin. In seinem Gürtel steckte ein Messer, dessen Griff von seltener indianischer Arbeit war, und das Doppelgewehr, das er in der Hand hielt, schien für ihn fast zu schwer zu sein. Seine Wangen hatten sich im Kampf gerötet, aber er stand doch so ruhig da, als hätte es etwas für ihn ganz Alltägliches gegeben. Wer ihn jetzt betrachtete, war jedenfalls geneigt anzunehmen, dass solche Auftritte für ihn nichts Seltenes seien.
Einen eigentümlichen Anblick bot sein Begleiter, ein kleiner, schmächtiger Mann mit bartlosem Gesicht. Er trug indianische Schuhe und Lederhosen und dazu einen dunkelblauen Frack, der mit hohen Achselpuffen, Patten und blank geputzten Messingknöpfen versehen war. Dieses Kleidungsstück stammte wohl aus Urgroßvaters Zeiten. Damals wurde ja ein Tuch gefertigt, das für eine Ewigkeit gemacht zu sein schien. Freilich war der Frack verschossen und an den Nähten fleißig mit Tinte aufgefärbt, aber es war noch kein einziges Löchlein darin zu bemerken. Solch alten Kleidungsstücken begegnet man im ‚Far West‘ sehr oft.
Auf dem Kopf trug der kleine Mann einen riesigen schwarzen Amazonenhut, den eine große, gelb gefärbte, unechte Straußenfeder schmückte. Dieses Prachtstück hatte jedenfalls vor Jahren irgendeiner Lady des Ostens gehört und war dann durch ein launenhaftes Schicksal nach dem fernen Westen verschlagen worden. Da die breite Krempe gut gegen Sonne und Regen schützte, hatte der jetzige Besitzer wohl keine Bedenken gehabt, ihm die gegenwärtige Bestimmung zu geben. Bewaffnet war das Männchen nur mit Büchse und Messer. Selbst der Gürtel fehlte, ein sicheres Zeichen, dass sich der Mann nicht auf einem weiten Jagdzug befand.
Er schritt auf der kleinen Walstatt hin und her und betrachtete einige Gegenstände, die von den Besiegten in der Eile der Flucht zurückgelassen worden waren. Dabei konnte man bemerken, dass er mit dem linken Fuß hinkte. Wohkadeh war der Erste, dem dieser Umstand auffiel. Er trat zu ihm, legte ihm die Hand an den Arm und fragte:
„Ist mein weißer Bruder vielleicht der Jäger, den die Bleichgesichter den Hobble-Frank nennen?“
Der Kleine nickte ein wenig überrascht und entgegnete bejahend in englischer Sprache. Da deutete der Indianer auf den jungen Weißen und erkundigte sich weiter: „Und dieser hier ist Martin Baumann, der Sohn des berühmten Mato-poka?“
Mato-poka ist ein aus der Sioux- und Utahsprache zusammengetragenes Wort und bedeutet Bärentöter.
„Ja“, bestätigte der Gefragte.
„So seid ihr es, die ich suche.“
„Zu uns willst du? Willst du vielleicht etwas kaufen? Wir haben einen Store und handeln mit allem, was ein Jäger braucht.“
„Nein. Wohkadeh hat eine Botschaft an euch auszurichten.“
„Von wem?“
Der Indianer warf einen forschenden Blick rundum und erklärte dann: „Hier ist nicht der Ort dazu. Euer Wigwam liegt nicht weit von hier an diesem Wasser?“
„In einer Stunde können wir dort sein.“
„So lasst uns dahin gehen. Wenn wir an eurem Feuer sitzen, werde ich euch mitteilen, was ich zu sagen habe. Kommt!“
Er sprang über das Wasser, holte sein Pferd herüber, das ihn nun wohl die kurze Strecke noch zu tragen vermochte, stieg auf und ritt davon, ohne sich umzusehen, ob die anderen ihm auch folgten.
„Der macht kurzen Prozess!“, meinte der Hobble-Frank.
„Soll er euch etwa eine Rede halten, die noch dünner und länger ist, als ich es bin?“, lachte der Lange Davy. „So ein Roter weiß genau, was er tut, und ich rate euch, ihm augenblicklich zu folgen.“
„Und ihr? Was werdet ihr tun?“