Die Piraten des indischen Meeres. Karl May
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Читать онлайн книгу Die Piraten des indischen Meeres - Karl May страница 4
„Ihr wollt euch wehren?“, fragte der Ceylonese erschrocken.
„Nein, mein lieber Sohn. Wir wollen uns nicht wehren, sondern werden dich nur ein wenig erschießen, wenn es dir einfallen sollte, uns noch länger zu belästigen.“
Der Mann befand sich in einer schauderhaften Verlegenheit. Die Pflicht stritt in ihm mit der Furcht, die ihm unsere Waffen einflößten, doch schien die Furcht zu siegen.
„Wie sagtet Ihr, woher Ihr seid, Sahib?“
„Aus England.“
„Aus Anglistan, wo die große Königin wohnt? Ist das wirklich wahr?“
„Wirklich!“
„Und Ihr werdet auch gewiss zum Mudellier gehen?“
„Gewiss.“
„Und Ihr werdet mich nicht betrügen?“
Raffleys Gesicht leuchtete vor Vergnügen. Er liebkoste seinen Bart in der Weise, die auf die beste Laune schließen ließ.
„Ich bin ein Maharadscha aus Anglistan und dieser Sahib hier ist ein noch viel größerer Maharadscha aus Germanistan. Wenn du es nicht glaubst, so werde ich dir’s beweisen. Kannst du lesen?“
„Ja!“, versicherte der Gefragte, obgleich er sicher keinen Buchstaben kannte. Er gab diese Antwort jedenfalls nur, um sich bei seinen Untergebenen in die gehörige Achtung zu setzen.
Sir John griff in die Tasche und brachte ein zusammengefaltetes Papier hervor. Es war die Speisekarte, die er vorher im Hotel Madras zu sich gesteckt hatte.
„Hier lies!“
Der Mann ergriff das Blatt, führte es an die Stirn, betrachtete es dann mit ernster, wichtiger Kennermiene und bewegte dabei die Lippen, als ob er lese. Dann schlug er es sorgfältig wieder zusammen, drückte es an die Brust und gab es zurück.
„Ihr habt die Wahrheit gesagt, Sahib. Ihr seid zwei Maharadscha vom Sonnenuntergang; hier steht es geschrieben. Ich darf Euch freilassen, denn ich weiß nun, dass Ihr zum Mudellier gehen werdet, um mich zu entschuldigen und ihm zu sagen, dass ich den Gefangenen nur deshalb entlaufen ließ, weil er Euer Diener war und also Euch gehörte.“
Er legte ehrerbietig grüßend die Hände auf die Brust, wandte sich dann zu seinen Kriegshelden und marschierte mit ihnen die Plattform hinab der Stadt zu. Hinter ihm verlief sich der versammelte Haufe des neugierigen Volks.
Vom Hafen herauf ließ sich ein eigentümlicher, eintöniger Gesang vernehmen. Er erklang auf einem ungewöhnlich großen chinesischen Schiff, dessen Gangspill von fünf Männern gedreht wurde, um den großen Anker aufzuziehen. Sie ließen dabei nach dem Takt ihrer Schritte den gebräuchlichen Gesang ,tien omma omma tien woosing‘ hören.
Raffley schob sich den Klemmer näher an die Augen und betrachtete das Fahrzeug mit aufmerksamem Blick.
„Charley!“, sagte er.
„Sir John!“
„Wollen wir wetten?“
„Wetten? Worüber?“
„Dass der Kapitän dieser Dschunke entweder den Verstand verloren hat oder unter einer zweideutigen Flagge segelt.“
„Warum glaubt Ihr das?“
„Well, Ihr seid kein Seemann und habt infolgedessen kein Auge für solche Dinge. Habt Ihr jemals eine Dschunke mit drei Masten gesehen?“
„Nein.“
„Und von einem so wunderbaren Tau- und Segelwerk?“
„Was ist so Wunderbares dran?“
„Die Vereinigung des chinesischen mit dem amerikanischen Bau und die Verhältnisse der Mastenhöhen. Wie kommt es, dass der Besan höher ist als der Haupt- und der Fockmast? Und was soll das lange Spriet mit einer Doppelpardune?“
„Allerdings auffällig! Aus der Pardune lässt sich schließen, dass das Fahrzeug Pflugsegel trägt, um den Wind scharf zu schneiden, und mir scheint, die Masten haben die erwähnte Höhe erhalten, weil das nach hinten aufsteigende und voller werdende Segelwerk auf eine Vergrößerung der Schnelligkeit berechnet ist, wozu allerdings der tonnenförmige Bau des Rumpfs nicht passt.“
„Charley, ich habe Euch für einen Laien gehalten, aber Ihr habt wirklich einen guten Blick für Dinge, die dem Auge der Landratte sonst zu entgehen pflegen. Diese Dschunke ist eine ungeschickte Nachahmung amerikanischer Klipperschiffe, und ich möchte mich ihr bei einer Bö um keinen Preis der Erde anvertrauen.“
„Diese auffällige Ausrüstung muss einen Zweck haben, den ich nicht verstehe.“
„Natürlich! Rechnet nun einmal dazu, dass dieses Fahrzeug jetzt, wo die Flut noch nicht umgesprungen ist, die Anker lichtet, um in See zu stechen! Der Kapitän muss andere als seemännische Gründe haben, das zu tun. Ich setze hundert Sovereigns, dass es entweder in seinem Kopf oder zwischen seinen Planken etwas Unsauberes gibt. Ihr haltet doch die Wette?“
„Ich wette nie.“
„So setzt wenigstens zehn Pfund gegen meine hundert!“
„Auch das nicht, Sir.“
„Wirklich nicht? For shame, Charley, schämt Euch! Es ist ein Unglück, dass Ihr so ein netter Kerl seid und Euch doch niemals verstehen wollt, einen Einsatz anzunehmen. Ihr werdet es in Eurem ganzen Leben nicht dazu bringen, ein wahrhaftiger Gentleman zu sein, und da mich das bedeutend ärgert, so werde ich Euch schon einmal zu zwingen wissen, eine Wette zu halten. Seht Ihr den spanischen Dampfer? Will auch der in See gehen?“
„Wohl nicht. Er wird den Chinesen ins Schlepptau nehmen sollen, um ihn gegen die Flut aus dem Hafen zu bringen.“
„All right! Er legt sich vor und der Chinese zeigt seinen Stern. Könnt Ihr sehen, welchen Namen er führt?“
„Nein.“
„Dann muss ich meine Chair-and-umbrella-pipe zu Hilfe nehmen.“
Er fasste den Schirm, stellte die Gläser und blickte nach der Dschunke hinüber.
„Haiang-dze. Der Kuckuck hol die albernen Namen, die diese Zopfmänner führen! Kommt, Charley! Da Ihr einmal nicht wetten wollt, so geht uns das Schiff auch nichts mehr an.“
Wir schritten der Stadt zu und schlugen die Richtung nach dem Hotel Madras ein. Dort begaben wir uns in das luftige Gemach des Engländers, um Kaladi hier zu erwarten.
Die festgesetzte Frist verstrich, ohne dass er erschien.
„Charley!“
„Was?“
„Wollen wir wetten?“
„Nein.“
„So hört doch erst, was ich meine! Ich behaupte