Die Pickwickier. Charles Dickens
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Читать онлайн книгу Die Pickwickier - Charles Dickens страница 15
Ich setzte mich wie am verflossenen Abend an sein Bett, und hier vernahm ich stundenlang Töne, die das gefühlloseste Herz tief hätten ergreifen müssen – die furchtbaren Phantasien eines Sterbenden. Wie ich vom Arzte vernommen, war keine Hoffnung mehr vorhanden. Ich saß an einem Sterbebette. Ich sah die abgezehrten Glieder, die er noch kurz zuvor zur Belustigung eines rohen Haufens verdreht, sich unter den Martern der Fieberglut krümmen – ich hörte das schrille Gelächter des Harlekins, gemischt mit dem leisen Röcheln des Sterbenden.
Es ist ergreifend, den Geist zu den gewöhnlichen Beschäftigungen der Tage der Gesundheit zurückwandern zu sehen, während der Körper schwach und hilflos daliegt; aber wenn diese Beschäftigungen der Art sind, daß sie Zuständen, die eine ernste und feierliche Stimmung in uns hervorrufen»geradezu entgegenlaufen, so geht dieser Eindruck noch unendlich tiefer.
Die Bühne und die Schenke waren die Hauptschauplätze, auf denen sich die Phantasie des irren Elenden erging. Es war gegen Abend, bildete er sich ein. Er mußte auftreten. Es war spät, und er durfte keinen Augenblick mehr säumen, Warum hielten sie ihn zurück und ließen ihn nicht gehen? – Seine Einnahme stand auf dem Spiel. – Er mußte gehen. Nein! Sie wollten ihn nicht fortlassen. Er barg sein Gesicht in seine glühenden Hände und beklagte seine Schwäche und die Grausamkeit seiner Widersacher. Eine kurze Pause. Dann keuchte er einige elende Reimereien hervor, die letzten, die er auswendig gelernt hatte. Er richtete sich im Bett auf, streckte seine abgezehrten Hände in die Höhe und wand sich in seltsamen Krümmungen hin und her: er spielte. – Er war auf der Bühne. Ein minutenlanges Stillschweigen, und er murmelte den Schlußreim eines Trinkliedes. Endlich war er wieder zu Hause: wie heiß war es im Zimmer! Er war krank gewesen, sehr krank, aber jetzt fühlte er sich wieder wohl und glücklich. – Einschenken! Einschenken! Wer schlägt ihm da das Glas vom Munde weg? Derselbe Feind, der ihn vorhin verfolgte. – Er fiel auf sein Kissen zurück und jammerte laut. Eine kurze Pause der Vergessenheit, und er wanderte durch ein nimmer endendes Labyrinth niederer, gewölbter Zimmer – so nieder bisweilen, daß er auf allen vieren fortkriechen mußte; es war eng und dunkel, und mit jeder Wendung des Weges stieß ihm ein neues Hindernis auf. Er sah Insekten, häßliches Gewüm, mit Augen, die ihn anstierten und den ganzen Raum anfüllten – füchterlich schimmernd durch die dichte Finsternis. Wände und Decke wimmelten von Ungeziefer, das Gewölbe dehnte sich ins ungeheure – füchterliche Gestalten schwebten auf und nieder, und unter ihnen bekannte Gesichter, gräßlich verzerrt. Sie brannten ihn mit glühenden Eisen und umschnüten seinen Kopf mit Stricken, bis das Blut herausspritzte.
Nach einem solchen Anfall, währenddessen ich ihn mit großer Mühe im Bett festhielt, sank er in eine Art von Schlummer. Von langem Wachen und von der Anstrengung überwältigt, waren mir fü einige Minuten die Augen zugefallen, als ich durch einen heftigen Schlag auf meine Schulter erwachte. Er hatte sich aufgerichtet und saß im Bett. – Eine füchterliche Veränderung war auf seinem Gesicht vorgegangen, aber das Bewußtsein war zurückgekehrt, denn er kannte mich augenscheinlich. Das Kind, das durch sein Irrereden lange Zeit eingeschüchtert gewesen, stand von seinem Bettchen auf und lief weinend zu seinem Vater. Die Mutter nahm es eilends auf den Arm, damit er ihm in der Raserei kein Leid zufüge, aber durch die Veränderung seiner Züge erschreckt, blieb sie regungslos stehen. Er krallte sich krampfhaft in meine Schulter ein und machte einen verzweifelten Versuch zu sprechen, während er sich mit der andern Hand vor die Brust schlug. Es war vergeblich. Er streckte die Hände gegen die Seinen aus und machte einen zweiten gewaltsamen Versuch zu sprechen. Noch ein Röcheln in der Kehle, ein Blitzen im Auge, ein kurzes ersticktes Stöhnen – und tot sank der Unglückliche auf das Kissen zurück. Vorbei."
Herr Pickwick hatte sein Glas niedergesetzt, das er während des letzten Abschnittes der Erzählung in der Hand gehalten, und war eben im Begriffe, zu sprechen – hatte bereits, wie Mr. Snodgraß' Notizbuch besagt, den Mund geöffnet –, als der Kellner eintrat und "Einige Herren" anmeldete.
Vermutlich stand Mr. Pickwick gerade im Begriff, einige Bemerkungen, die, wenn auch nicht das Themsegebiet, so doch die übrige Welt erleuchtet haben wüden, zum besten zu geben, als er auf diese Art unterbrochen wurde. Er starrte dem Kellner ins Gesicht und ließ dann seine Blicke fragend die Runde in der Gesellschaft machen, als wünschte er nähere Aufklärung, was das zu bedeuten habe.
"Oh!" sagte Mr. Winkle aufstehend. "Einige Freunde von mir. Führen Sie die Herren herein. Sehr angenehme Leute", fügte er hinzu, nachdem sich der Kellner entfernt hatte. "Offiziere, vom siebenundneunzigsten Regiment, deren Bekanntschaft ich diesen Morgen auf eine etwas seltsame Weise gemacht habe. Sie werden Ihnen sehr gefallen."
Mr. Pickwicks Gleichmut war sofort wiederhergestellt. Der Kellner kehrte zurück und führte drei Herren ins Zimmer.
"Leutnant Tappleton", stellte Mr. Winkle vor. "Leutnant Tappleton, Mr. Pickwick – Dr. Payne, Mr. Pickwick – Mr. Snodgraß, den Sie bereits kennen, mein Freund Mr. Tupman, Dr. Payne – Dr. Slammer, Mr. Pickwick – Mr. Tupman, Dr. Slam ..."
Mr. Winkle hielt plötzlich inne, denn in den Mienen Mr. Tupmans und des Doktors malte sich eine seltsame Bewegung.
"Ich habe diesen Herrn schon einmal getroffen", sagte der Doktor mit starker Betonung.
"Wirklich?" versetzte Mr. Winkle.
"Und – und diesen Menschen auch, wenn ich mich nicht irre", sagte der Doktor, einen prüfenden Blick auf den grüngekleideten Fremden werfend. "Ich glaube, ich ließ an ihn gestern abend eine dringende Einladung ergehen, die er jedoch ablehnen zu müssen vermeinte."
Bei diesen Worten warf der Doktor einen verächtlichen Blick auf den Fremden und flüsterte seinem Freund Leutnant Tappleton etwas ins Ohr.
"Wahrhaftig?" fragte dieser, nachdem er das Geflüster endlich verstanden.
"Wahrhaftig", versicherte Dr. Slammer.
"Sie müssen ihm auf der Stelle einen Fußtritt geben", murmelte der Eigentümer des Feldstuhles mit großer Wichtigkeit.
"Seien Sie ruhig, Payne", vermittelte der Leutnant. "Erlauben Sie mir gütigst die Frage, mein Herr", sagte er, sich an Mr. Pickwick wendend, der ob dieses höchst unhöflichen Zwischenspiels äußerst indigniert dreinsah, "wollen Sie mir gütigst die Frage erlauben, mein Herr, ob dieser Mensch zu Ihrer Gesellschaft gehört?"
"Nein, Sir", erwiderte Mr. Pickwick. "Er ist unser Gast."
"Er ist ein Mitglied Ihres Klubs, oder irre ich mich?"
"Nein, gewiß nicht", antwortete Mr. Pickwick.
"Und trägt er nie Ihre Klubknöpfe?" fragte der Leutnant weiter.
"Nein – nie!" entgegnete erstaunt Mr. Pickwick.
Leutnant Tappleton wandte sich zu Dr. Slammer mit einem kaum merklichen Achselzucken, als käme ihm die Erinnerungsfähigkeit seines Freundes bedenklich vor. Der Doktor sah zornig, aber verwirrt aus, und Mr. Payne starrte wild in das staunende Gesicht des ahnungslosen Pickwick.
"Mein Herr", begann der Doktor, sich plötzlich an Mr. Tupman wendend, in einem Tone, der diesen Gentleman ebensosehr erschreckte, als hätte ihn plötzlich eine Natter in die Ferse gestochen. "Sie waren gestern abend auf dem Ball?"
Mr. Tupman hauchte ein schwaches Ja, fortwährend auf Mr. Pickwick blickend.
"Dieser Mensch war Ihr Begleiter?" fragte der Doktor weiter, auf den Fremden deutend, der keine Miene verzog.
Mr.