Die Pickwickier. Charles Dickens
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Читать онлайн книгу Die Pickwickier - Charles Dickens страница 16
"Halten Sie ein, mein Herr", rief Mr. Pickwick. "Ich kann wirklich nicht dulden, daß die Sache weitergetrieben wird, ehe ich nicht weiß, um was es sich handelt. Tupman, erzählen Sie den Vorfall!"
So feierlich aufgefordert, berichtete Mr. Tupman die Sache mit fliegenden Worten. Das Entlehnen des Frackes berührte er nur leicht. Großen Nachdruck legte er darauf, daß es "nach dem Diner" stattgefunden hätte, ließ flüchtig ein gelindes Reuegefühl über sein eigenes Betragen durchblicken und überließ es dem Fremden, sich zu rechtfertigen, so gut er könne.
Dieser war eben im Begriff, es zu tun, als ihn Leutnant Tappleton, der ihn bis dahin mit Aufmerksamkeit betrachtet hatte, mit großer Geringschätzung fragte:
»Habe ich Sie nicht schon auf dem Theater gesehen, Sir?"
"Vermutlich", erwiderte der Fremde unbefangen.
"Er ist ein wandernder Schauspieler", sagte der Leutnant verächtlich und wandte sich an Dr. Slammer. "Er tritt in dem Stück auf, das morgen das Offizierskasino des zweiundfünfzigsten Regiments in Rochester aufführen läßt. Sie können in der Sache nicht weitergehen, Slammer, unmöglich!"
"Nein, unmöglich!" bestätigte Payne pathetisch.
"Bedaure, Sie in diese unangenehme Lage versetzt zu haben", fuhr Leutnant Tappleton fort, sich an Mr. Pickwick wendend. "Erlauben Sie mir übrigens, Ihnen zu bemerken, daß der sicherste Weg, in Zukunft dergleichen Auftritte zu vermeiden, größere Vorsicht in der Wahl Ihrer Gesellschaft sein wird. Guten Abend, mein Herr!" – Und rasch verließ er das Zimmer.
"Und mir erlauben Sie, Ihnen zu bemerken, mein Herr", fügte der rauflustige Dr. Payne hinzu, "daß ich, wenn ich Tappleton oder Slammer gewesen wäre, Ihnen und den sämtlichen Mitgliedern dieser Gesellschaft die Nase eingedroschen hätte. Ja, das hätte ich. Allen miteinander. Mein Name ist Payne, mein Herr, Dr. Payne vom Dreiundvierzigsten. Guten Abend, mein Herr."
Die vier letzten Worte sprach er laut und mit großem Nachdruck und schritt sodann majestätisch aus dem Zimmer. Ihm folgte Dr. Slammer, schweigend und mit einem Blick voll Verachtung auf die ganze Gesellschaft.
Zorn und höchste Entrüstung über die Brüskierung hätten Mr. Pickwicks edle Brust beinahe bis zum Zerspringen seiner Weste geschwellt. Wie angewurzelt, ins Leere starrend, stand er da, und erst das Knarren der Tüe brachte ihn wieder zu sich selbst. Mit wutentbrannten Blicken und funkelnden Augen wollte er dem Beleidiger nachstüzen. Seine Hand hatte die Tüklinke gefaßt, und im nächsten Augenblick wüde sie den Dr. Payne, von Dreiundvierzig, an der Kehle gepackt haben, hätte ihn nicht. Mr. Snodgraß am Rockschoße ergriffen und zurückgezogen.
"Haltet ihn", rief Mr. Snodgraß. "Winkle, Tupman! – Er darf sein kostbares Leben nicht in einer solchen Angelegenheit aufs Spiel setzen."
"Lassen Sie mich", rief Mr. Pickwick.
"Haltet ihn fest", schrie Mr. Snodgraß wieder. Und den vereinten Kräften der sämtlichen Anwesenden gelang es schließlich, Mr. Pickwick in einen Lehnstuhl zu drängen.
"Allein lassen", riet der grüngekleidete Fremde. "Brandy und Wasser – feuriger alter Herr – einen Schluck – einmal kosten – ah! – Kapitalstoff!"
Nachdem der Fremde den Inhalt eines vollen, von dem Trübsinnigen gemischten Glases gekostet, führte er es an Mr. Pickwicks Lippen, der es im nächsten Augenblick bis auf die Neige leerte.
Es trat eine kurze Pause ein. Das Getränk hatte indessen seine Wirkung getan, und das freundliche Gesicht Mr. Pickwicks nahm schnell den gewohnten Ausdruck wieder an.
"Diese Menschen verdienen nicht, daß Sie Notiz von ihnen nehmen, Sir", sagte der Trübsinn-Jemmy.
"Sie haben recht, Sir", versetzte Mr. Pickwick. "Sie verdienen es nicht. Ich schäme mich, daß ich mich so habe hinreißen lassen. Ziehen Sie Ihren Stuhl näher heran, Sir."
Der Trübsinnige tat es; der Kreis versammelte sich um den Tisch, und die frühere Eintracht war wiederhergestellt. In Mr. Winkles Brust schien noch eine Spur heimlichen Unmutes zurückgeblieben zu sein – in bezug auf die temporäre Entwendung seines Frackes –, aber es ist kaum denkbar, daß ein so geringfügiger Umstand auch nur ein vorübergehendes Gefühl des Mißbehagens in der Seele eines Pickwickiers sollte hervorgerufen haben. Abgesehen davon war übrigens die Heiterkeit wieder völlig hergestellt, und der Abend endete auf dieselbe trauliche Weise, wie er begonnen hatte.
Fünftes Kapitel: Ein Tag im Freien. Neue Freunde. Eine Einladung aufs Land.
Viele Schriftsteller haben eine ebenso törichte wie unredliche Abneigung gegen die Angabe der Quellen, aus denen sie manch schätzbare Nachricht schöpfen. Uns liegt das fern. Unser einziges Bestreben geht dahin, unsern Pflichten als Berichterstatter gewissenhaft nachzukommen, und wie verlockend es auch sein mag, auf das Verdienst der Erfindung dieser Begebenheiten Anspruch zu machen, so verbietet uns doch die Wahrheitsliebe, mehr als das Verdienst einer zweckmäßigen Zusammenstellung und unparteiischen Erzählung in Anspruch zu nehmen. Die Pickwick-Protokolle sind unsre Quellen, und wir, sozusagen, die Wasserleitungsaktiengesellschaft. Die Arbeiten andrer haben uns mit einer ungeheuren Menge Material versehen, und wir übergeben sie der nach der Bekanntschaft mit den Pickwickiern dürstenden öffentlichkeit wahrheitsgetreu und unverfälscht.
In diesem Sinne, und uns streng an die Überlieferung haltend, gestehen wir offen, daß wir die Einzelheiten dieses und des folgenden Kapitels dem Tagebuch des Mr. Snodgraß verdanken – Einzelheiten, die wir nun, da unser Gewissen entlastet ist, der Welt ohne weiteren Kommentar vorlegen wollen.
Die ganze Bevölkerung von Rochester und den umliegenden Ortschaften erhob sich am folgenden Morgen bei Tagesgrauen in einem Zustande der höchsten Unruhe und Aufregung von ihren Betten. Eine große Truppenschau sollte stattfinden und das Falkenauge des Kommandeurs die Manöver von einem halben Dutzend Regimentern inspizieren: Festungswerke waren errichtet, die Zitadelle sollte angegriffen und genommen und eine Mine gesprengt werden.
Mr. Pickwick war, wie unsre Leser wohl bereits aus dem kurzen Auszug aus seiner Beschreibung von Chatham ersehen haben werden, ein enthusiastischer Bewunderer der Armee. Nichts konnte ihn mehr in Entzücken versetzen, nichts mit den besonderen Gefühlen eines jeden seiner Gefährten so sehr übereinstimmen als ein solcher Anblick. Bald waren sie auf den Beinen und wanderten dem Schauplatze der Handlung zu, nach dem bereits von allen Seiten her eine ungeheure Menschenmenge strömte.
Alles deutete darauf hin, daß etwas höchst Wichtiges und Bedeutungsvolles vor sich gehen sollte. Wachposten waren ausgestellt, um den Exerzierplatz für die Truppen frei zu halten, Offiziersburschen schafften auf den Batterien Platz für die Damen, Sergeanten rannten mit Pergamentbänden umher, und Oberst Bulder galoppierte in feldmarschmäßiger Adjustierung auf und nieder, ließ sein Pferd kurbettieren und steigen und schrie sich ohne besonderen Grund heiser und blau. Offiziere flogen hin und her, sprachen mit dem Oberst, erteilten ihren Sergeanten Befehle und eilten von hinnen; sogar die Gemeinen sahen hinter ihren blanken Gewehrläufen so wichtig und geheimnisvoll aus, daß man über die hohe Bedeutung der Vorgänge keinen Augenblick in Zweifel sein konnte.
Mr. Pickwick und seine drei Gefährten stellten sich in die vordersten Reihen und harrten geduldig der Dinge, die da kommen sollten. Das Gedränge wuchs von Sekunde zu Sekunde, und die Anstrengungen, die sie machen mußten, um sich auf ihren Plätzen zu behaupten, nahmen in den zwei folgenden Stunden