Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist: Reclam Lektüreschlüssel XL. Theodor Pelster
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Jetzt erst wird der Die Hintergründe der Geschichte Zusammenhang klar: Eve sollte von Richter Adam ein Attest für Ruprecht erhalten, das diesen davor bewahren sollte, als Rekrut in Ostindien eingesetzt zu werden. Als Gegenleistung sollte Eve zum Beischlaf mit Richter Adam bereit sein. Bevor es dazu kam, wurde der Richter durch den hereinstürmenden Ruprecht aus Eves Zimmer verjagt und der Krug umgestoßen, wobei der Richter schweren Schaden nahm und die Perücke einbüßte. Die Order allerdings, die Richter Adam zur Erpressung genutzt hatte, war von ihm gefälscht. Ruprecht hat lediglich »Dienst im Landesinneren« (S. 76) zu leisten. Der Versöhnung von Eve und Ruprecht steht nun nichts mehr im Wege. Als Hochzeitstag wird Pfingsten in Aussicht genommen.
Letzter Auftritt
Frau Marthe Rull wird von Rat Walter nach Und der Krug?Utrecht verwiesen, damit dort »dem Kruge […] sein Recht« (S. 78) geschehe. Unklar bleibt, ob sie in Utrecht bei der Regierung den Prozess fortsetzen oder auf dem Markt einen neuen Krug kaufen soll.
3. Figuren
Das Personenverzeichnis führt acht sprechende Rollen namentlich an und einige Nebenrollen mit ihren Funktionen, wie »ein Bedienter, Büttel, Mägde usw.« (S. 4).
Die drei an der Spitze genannten Figuren gehören dem Vertreter des Gerichts Gericht an. Entsprechend seiner hohen Stellung erscheint der Gerichtsrat Walter an erster Stelle, gefolgt vom Dorfrichter Adam und dem Schreiber Licht. Bewohner des Dorfes machen die zweite Gruppe aus. Wer in dem im Titel genannten »zerbrochnen Krug« einen Prozessgegenstand vermutet, kann durchaus annehmen, dass er einem Gerichtstag beiwohnen wird, bei dem Prozessbeteiligte ( Prozessbeteiligte Kläger, Angeklagte und Zeugen) vor dem Gericht erscheinen werden. Prozessgegenstand ist der im Titel des Stücks genannte Krug.
Die Amtspersonen
Abb. 1: Figurenkonstellation
Adam, der Dorfrichter in dem kleinen niederländischen Ort Huisum, ist die Figur, von der alle Handlungen ausgehen und auf die das ganze Prozessgeschehen zuläuft. Er ist insofern die Die Hauptfigur Hauptfigur des Dramas, als er den höchsten Redeanteil hat und als sich auch die drei Auftritte, in denen er nicht auf der Bühne ist, um seine Person drehen.
Er ist von wenig einnehmendem Das Äußere des Richters Äußeren. Im Allgemeinen verdeckt eine Perücke, dass er »[k]ahlköpfig« (S. 14) ist; seinen »Klumpfuß« (S. 6) versteckt er, so gut es geht; jetzt, am Gerichtstag, ist zusätzlich sein Gesicht »[g]eschunden« (S. 6) und auf dem Kopf sind »zwo Wunden« (S. 58) deutlich zu erkennen. Er dürfte etwas über 50 Jahre alt sein, da er ungefähr gleichaltrig mit dem verstorbenen Mann der Frau Marthe Rull ist.
Richter Adam ist unverheiratet. Er zählt sich selbst zu den im Allgemeinen »verrufnen hagestolzen Leuten« (S. 58). Als Ein »Hagestolz«Hagestolze werden ältere Junggesellen bezeichnet, die dem Alter und den Lebensverhältnissen nach durchaus heiraten könnten und denen man mit dieser (umgedeuteten) Bezeichnung indirekt vorwirft, dass sie nur auf ihren Eigennutz bedacht sind. Adam gibt dem Gerichtsrat Walter gegenüber zu, dass er nur deshalb ein üppiges Mahl und ausgesuchte Weine anbieten kann, weil er eben nicht »[m]it Weib und Kindern […] teilen« muss, wie andere, die »knapp und kummervoll« (S. 58) eine Familie zu ernähren haben. Es scheint, er verfügt über so viele Vorräte, dass er sogar die Registratur zweckentfremdet, um dort »Kuhkäse, Schinken, Butter, Würste, Flaschen« (S. 12) zu lagern. Er gibt zwar vor, dass ihm daran gelegen ist, »[m]it einem Freunde, zur gelegnen Stunde, / Vollauf genießen« (S. 58) zu können, was er gespeichert hat. Doch fällt es schwer, ihm zu glauben, da er sich mit dem »Prediger« und mit dem »Schulmeister« (S. 20) überworfen zu haben scheint und zur Witwe seines einstigen Freundes kaum Kontakte unterhält. Dass er ein Genussmensch ist, nimmt man ihm ab. Dagegen darf man bezweifeln, dass er gesellig oder gar sozial ist.
Dorfrichter ist er schon seit langer Zeit. Er erkennt auch, dass ihm in Schreiber Licht ein Konkurrent erwachsen ist, der nicht nur jünger, sondern vielleicht auch kompetenter ist. Doch hofft er, seine Die Amtsstellung Stellung noch eine Zeit lang behaupten zu können. Deshalb ist es für ihn wichtig, die Revision, die Gerichtsrat Walter im Auftrag der Bezirksverwaltung durchführt, gut zu überstehen. Der Gerichtstag, der ansteht und dem der Gerichtsrat beiwohnt, wird so zur Bewährungsprobe.
Doch der Ausgangspunkt für diese Bewährungsprobe ist denkbar ungünstig. Richter Adam hat, wie Schreiber Licht formuliert, einen » Der »Adamsfall«Adamsfall« (S. 7) getan. Was eine witzige Anspielung auf den Namen des Dorfrichters sein soll, erweist sich im Laufe des Prozesses als eine in mehrfacher Weise zutreffende Charakterisierung. Tatsächlich ist der Richter »hingefallen«, also »unbildlich [im wörtlichen Sinn] hingeschlagen« (S. 5), und hat sich dabei einige Verletzungen zugezogen. Er ist aber auch wie sein »Ältervater« (S. 5), nämlich Adam, von dem das Alte Testament berichtet, gefallen, indem er, wie sich im Prozess erweist, in Sünde fiel, als er Eve zur Sünde zu verleiten suchte (1. Mose 3). So wurde das, was er tat, zum Gerichtsfall, den er selbst als Richter zu verhandeln hat. Wenn der Richter auf die Frage des Gerichtsrats, wie er zu seinen Wunden gekommen sei, antwortet: »Ich fiel«, und auf die Zusatzfrage »Worüber?« ergänzt: »über mich« (S. 58), so entspricht das wieder in mehrfacher Weise dem wahren Sachverhalt, obwohl der Richter gerade diesen verheimlichen will: Richter Adam fiel »unbildlich« (S. 5), also im wörtlichen Sinn, aus Eves Fenster; er fiel vorher in Schuld und Sünde; der Anstoß zu seinem Vergehen lag in ihm selbst, in seiner Triebhaftigkeit und in seiner unkontrollierten Genusssucht. Anders als sein »Ältervater« aus der Bibel ist er nicht der Verführte, sondern der Verführer.
Mit Tricks und Finten, mit falschen Versprechungen und mit Drohungen versucht er dem Verhängnis zu entgehen, dass er als Richter sich selbst als den Schuldigen entlarven muss. Am Ende wird er als » Die Entlarvung des »Sünders«Sünder« (S. 76) und »Böswicht« (S. 77) erkannt und muss das Feld räumen. Er wird aus Huisum vertrieben, wie einst sein »Ältervater« (S. 5) aus dem Paradies vertrieben wurde. Die Geschichte von Adam, dem Dorfrichter, ist die Geschichte von Adam, dem gefallenen Menschen, dargestellt in komischer Art.
Wer in der antiken Mythologie bewandert ist, kann einen zweiten »Ältervater« für Adam ausfindig machen. Nicht auf den »Teufel« (S. 72), wie Frau Brigitte und Frau Marthe meinen mögen, verweist der Klumpfuß des Richters, sondern auf König Adams Klumpfuß als Verweis auf Ödipus Ödipus, die Titelfigur einer vom antiken Autor Sophokles (496–406 v. Chr.) verfassten Tragödie. Ödipus heißt, wörtlich übersetzt, ›Schwellfuß‹. Wichtiger als diese rein äußerliche Parallele ist der Vergleichspunkt, dass beide, Ödipus und Adam, als Herrscher und Richter einen Prozess in Gang setzen, an dessen Ende sich herausstellt, dass sie selbst die gesuchten Schuldigen sind. Doch auch bei diesem Vergleich muss auf Unterschiede verwiesen werden: Während Ödipus unwissend Schuld auf sich geladen hat, ist sich Adam seiner Schuld bewusst und versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass sie bekannt wird. Das Schicksal des Königs Ödipus ist in einer Tragödie verarbeitet, das des Dorfrichters Adam in einer Komödie.
Licht, der Schreiber, ist am Gericht zu Huisum für untergeordnete Lichts Aufgabenbereich Tätigkeiten zuständig. Bei Gerichtsprozessen hat er die Parteien vorzuladen, das Protokoll zu führen und die Akten zu verwalten. Außerdem scheint er einige amtliche Kassen zu verwahren, bei denen er es mit den »Depositionen […] und Zinsen« (S. 10) nicht so genau genommen hat.
Zum Zeitpunkt des Prozesses ist er »[n]eun Jahre […] im Justizamt« (S. 18). Es ist verständlich, dass er auf eine Beförderung wartet; denn er war »auf der Schul in Amsterdam« (S. 10), hat seinen »Cicero« – also Rhetorik – »studiert«