Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath

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Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen - Annerose Matz-Donath

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      Auf den rund zehntausend Seiten der ausgeschriebenen Gesprächs-Protokolle sind Schrecken festhalten, die einander bis zur Austauschbarkeit gleichen. Das bekräftigt die Glaubwürdigkeit der Berichte, die aus der Erinnerung schöpfen müssen. Denn im Unterschied zu Gefangenen eines anderen totalitären Systems auf deutschem Boden waren denen der Kommunisten – wenn überhaupt – nur inhaltslose Briefe nach Hause erlaubt. An Tagebuchführen in der Haft oder andere Arten der Aufzeichnung war gar nicht zu denken.

      „CHRANITJ WETSCHNO“ – Aufbewahren für alle Zeit – steht auf den Deckeln der russischen Gefangenen-Akten. Die SMTerinnen wollen das Ihre dazu tun, indem sie erzählen, wie damals die Wirklichkeit aussah. Denn das sagen die Akten nicht!

       Nachtrag zur 2. Auflage:

      Naturgemäß kann ein Buch wie das vorliegende nur Ausschnitte aus den stundenlangen Interviews darbieten. Da die Autorin – gelernte Historikerin – sich aber sowohl den Opfern als auch der Zeitgeschichte verpflichtet fühlt, machte sie gerne vom Angebot der Universität Leipzig Gebrauch, alle Unterlagen in die Obhut des dortigen wissenschaftlichen Archivs zu geben. Alle 130 Interviews stehen also in Leipzig in voller Länge in Wort und Ton und mit Klarnamen und genauen persönlichen Daten zur Verfügung.

      1 Frans Hals, Veronese, Velázquez

       1. Mütter und Kinder

      Versuchen Sie, sich ein solches Erlebnis vorzustellen:

      Ein strahlender Tag, ein Sonntag. Morgens beim Aufstehen denken Sie, das sei ein richtiger Geburtstags-Sonntag für Ihre Jüngste. Der zweite Geburtstag ist es, aber der erste, den das Kind bewußt erlebt und auf den es sich seit Wochen freut. Alles haben Sie schon gerichtet. Nur das Blumenkränzchen für den kleinen Blondschopf muß noch geflochten werden. Da klingelt es an Ihrer Wohnungstür. Zwei Soldaten – fremde Uniformen – umgeschnallte Pistolen.

      Einer drängt in die Tür, hat den Fuß auf der Schwelle. Und ehe Sie recht begreifen, was da vor sich geht, trifft Sie schon wie ein Schlag der Befehl:

      „Aufmachen!“ – „Mitkommen!“

      „Ich…?-Wieso ….? – Und ….wohin… ?“

      „Eine Aussage nur!“

      In Ihr zögerndes, ratloses Fragen hinein:

      „Eine Aussage – ich…? Wieso ich…?“ Und: „Das muß doch ein Irrtum sein… !?“

      Da packt der eine Soldat schon zu. Sein brutaler Griff reißt sie fast von den Füßen, macht Sie stolpern – ins Treppenhaus, die Stufen hinunter, aus der Haustür …

      „Das Kind – mein Gott! – ganz allein in der Wohnung …“

      fährt es schneidend durch Ihren Sinn. Von Panik erfaßt, spannen sie alle Kraft, um sich loszureißen, holen aus und – erwachen im eigenen Bett, eine Faust ins Kissen gebohrt.

      Ein Albtraum nur, und einer, den Sie in Wirklichkeit sicherlich niemals träumten.

      Doch hätten Sie je so geträumt – nicht länger als ein, zwei Sekunden hätte der Nachklang von Angst und Schrecken Ihnen das Bild der vertrauten Wirklichkeit verdunkelt. Vorausgesetzt – ja, vorausgesetzt, dass Ihnen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Ihr Wohnort nicht zum Schicksal geworden wäre, wie vielen Männern und Frauen in Sachsen, in Sachsen-Anhalt, in Thüringen, Brandenburg und in Mecklenburg.

       Bitterer Abschied

      Dort fing damals für viele ein anderer, ein ganz realer Albtraum an, in dem das Grauen der Tage in die Träume der Nacht und wieder in die Tage hinüberschwang – in Hunderte, nein – in Tausende, Abertausende leidzerquälte Tage. Ein Albtraum, den Menschen im Westen nie träumen mußten. Renate Siebert, damals in Sachsen-Anhalt zu Hause, blieb er nicht erspart. Sie erinnert sich:

       „Es war kurz nach Ostern 1948, an einem 6. April. Das Datum werde ich nie vergessen. Denn es ist der Geburtstag meiner Jüngsten. Sie wurde damals gerade zwei. Die Ältere ging seit Ostern in die Schule. Auf die Geburtstagsfeier hatten sich beide Kinder schon lange gefreut. Auch die Kleine. In dem Alter fangen sie ja langsam an zu verstehen. Gerade hatte ich ihr ein Blumenkränzchen gebunden, wie sie es sich wünschte. Genau so eines, wie ihn das kleine Mädchen auf einer Geburtstagskarte trug. Aufsetzen konnte ich’s ihr nicht mehr. ‚Dawai, dawai!‘ – Schnell, schnell, forderten die Männer mit den blauen Kragenspiegeln des NKWD. Und schon fiel die Wohnungstür hinter mir zu.“

      Jahrelang ließ die Erinnerung an die verschreckten Gesichter ihrer beiden kleinen Mädchen die Gefangene im Schlafen und im Wachen nicht los. Doch aus diesem Schmerz, aus der Sorge um ihre Kinder erwuchs ihr auch immer wieder die Kraft, allen Leiden und Nöten zum Trotz die Haftjahre durchzuhalten.

      In der Sprache der Akten braucht’s nie viele Worte, um ein Schicksal zu fassen. Knappe zehn Zeilen genügen für das der Renate Siebert:

      -Geboren 1914, verheiratet, Hausfrau, zwei Kinder (1942 und 1946).

      -Verhaftet am 6. April 1948 in Halle/Saale

      „wegen Sammeln von Spionage-Informationen betreffs der Sowjetarmee und der Wirtschaft und Politik in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands“.

      -Verurteilt dafür am 4. September 1948 zu fünfundzwanzig Jahren Straf- und Arbeitslager.

      -„Gnadenhalber“ nach acht Jahren am 31. Juli 1956 vorzeitig aus dem Zuchthaus entlassen.

      -Am 18. Oktober 1994 in Moskau rehabilitiert

      als „zu Unrecht“ verurteilt und eingesperrt. Denn – so die russische Militärgeneralstaatsanwaltschaft heute:

      „(…) Die Akten enthalten keinerlei Beweismittel über (…) eine Spionagetätigkeit oder andere verbrecherische Handlungen zum Schaden der UdSSR (…)“

      Wie soll man beschreiben, was es heißt, als Opfer politischer Willkür acht Jahre in Sachsenhausen und Hoheneck am Rande des Hungers zu vegetieren? Von der Familie – ja, von Welt und Leben überhaupt so total getrennt und isoliert, wie nicht einmal die Nazi-KZs es kannten! Wie lebte es sich in solcher Verlassenheit unter dem ständigen Druck eines Urteils, das mit seinen fünfundzwanzig Jahren doch auf ein Lebenslänglich hinauslief? Die Antwort auf solche Fragen steht in keiner Akte verzeichnet! Sie wäre auch nicht in einige knappe Zeilen zu fassen – so wenig, wie das Leben „danach“. Was hielt es für Irene Siebert bereit?

      Sie stand vor dem Nichts wie fast alle ihre entlassenen Kameradinnen und Kameraden. Der Kreis, der ihr Leben ausgemacht hatte, die Familie, war zerbrochen. Ihr Mann hatte längst eine neue Ehe geschlossen. Die Kinder kannten die Mutter nicht mehr. Ihre einzige Schwester war ohne sie zu Grabe getragen worden. So kam zu der äußeren materiellen Not die innere einer unsäglichen Einsamkeit. Es war keiner mehr da, der sie liebevoll in die Arme geschlossen hätte.

      Wenn sie jetzt, als alte Frau, auf ihr Leben zurückblickt, sind es nicht die bis heute reichenden Folgen der materiellen Verluste von damals, die sie bekümmern. Noch immer stehen die Kinder im Mittelpunkt ihrer Gedanken:

      „Es

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