Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen - Annerose Matz-Donath страница 5

Автор:
Серия:
Издательство:
Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen - Annerose Matz-Donath

Скачать книгу

hätte, also – da hätte ich Schluß gemacht! Denn wenn man sein Kind schreien hört und man kann nicht hin …! Dass es vielleicht doch nicht das eigene Baby ist, das erkennt man dann ja nicht! Den Ton – durch die Zellentüren durch …! Es war schon grausam. Ich gönne das meinem ärgsten Feind nicht!“

      Schon die Verhaftung der jungen Frau war schockierend genug gewesen. Helga Söntgen bleibt noch heute die Stimme im Halse stecken, wenn sie schildert, wie man sie abgeholt hat.

       „Ich war gerade anderthalb Jahre verheiratet, mein Junge war neun Monate alt, als es eines Tages an der Tür klopft und klingelt. Ein Deutscher steht da: ‚Für Sie ist ein Einschreibebrief auf der Post. Den müssen Sie abholen. Kommen Sie gleich mit. ‘

       Ich gehe runter mit ihm. Da steht unten ein zweiter Mann. Wir gehen ans Auto – ein Auto wartet da, ein Zivilauto. Plötzlich kriege ich einen Sack über den Kopf, ins Auto rein – und weg war ich …“

      Bis sie schließlich – 1951, nach der Verurteilung – den Deutschen übergeben wurde, verbrachte Frau Söntgen ein Jahr in russischer Untersuchungshaft. Mehr will sie darüber nicht sagen. Nur diese Begründung noch:

       „Das mußt du verstehen. Wir hatten ja nur nachts Verhöre. Und da kommst du raus aus der Zelle, kommst du runter in den Gang da lang – und dann siehst du, dass Blut da aus der Zelle rausfließt!

       Das sind alles so Sachen, die du nie vergißt. Nein, ich möchte das gar nicht mehr alles auffrischen, nicht mehr darüber reden!“

      Im Frühjahr 1950 also noch immer und immer wieder ganz einfach „Sack über’n Kopf“! Und Vernehmungen, bei denen Menschenblut floß. Denn mit den gleichen Methoden war es schon 1947 zugegangen. Sack über den Kopf – so war mit einer Gruppe junger Frauen und Männer auch Inge Haller abgeholt worden. Und auch ihr weinten zwei kleine Kinder jämmerlich nach.

       „Die deutsche Kriminalpolizei hat uns nach Wernigerode gebracht, ins GPU-Gefängnis. Von dort mit verbundenen Augen, die Hände mit Stricken gefesselt, auf einen LKW. Und auf dem LKW Säcke über den Kopf gestülpt, damit wir nichts sahen. Wir haben gedacht, wir werden jetzt irgendwo in den Wald gebracht und erschossen. Aber die Säcke waren kaputt, da haben wir dann auf dem Wagen doch mitgekriegt, dass die uns nach Halle fuhren, in den Roten Ochsen – so als Säcke. Wir wurden so hingestellt, dass keiner sah, dass da Menschen drin waren.“

      Als erzähle sie einen Krimi, den sie jüngst gesehen oder gelesen hat, so ruhig berichtet Inge Haller heute über diese Stunden der Todesangst.

      Dass sie vor ein Sowjetisches Militärgericht gestellt werden würde, ahnte sie damals nicht. Zwar gehörte es längst zum Alltag, dass immer wieder Menschen verschwanden – spurlos, völlig und absolut spurlos! Das wußte jeder. Doch was mit diesen Menschen geschah, das lag völlig im Dunklen. Es machte die Angst noch größer – eine Angst, die keinem fremd war, der damals ‚drüben‘ lebte.

      Tatsächlich wartete auf alle Verhafteten eine brutale ‚Untersuchungshaft’, danach harte Urteile der Sowjetischen Militär-Tribunale. Das konnte Todesstrafe bedeuten. Viele Jahre Gefängnis und Zuchthaus waren es in jedem Falle. Vielleicht bedeutete es auch Transport nach Sibirien, Zwangsarbeit in den Bergwerken dort oder riesige Bäume fällen in den Wäldern der Taiga.

      Auch für Helga Söntgen lautete der Spruch auf fünfundzwanzig Jahre „Arbeitsbesserungslager“, wie das schöngefärbt hieß. Für Spionage. Nun gilt Spionage überall auf der Welt als verfolgungswürdige Straftat. Spione werden in allen Ländern gejagt. Hätte die junge Frau da nicht lieber rechtzeitig an ihre Mutterpflicht denken sollen, ehe sie …? Aber was hatte sie denn getan?

      „Ja – mein ‚Fall‘? – Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Neiße unsere Grenze zu Polen geworden und damals, 1950, hatte die Regierung in Warschau sie doch total dicht gemacht. Wer jetzt noch aus Polen raus wollte, mußte es heimlich versuchen, nachts durch den Fluß.

       Immer wieder kamen welche durch die Neiße, Deutsche natürlich, die nicht Polen werden wollten. Solche habe ich aufgenommen, das war mein ‚Spionageverdacht‘. Denn da hätten ja können Spione dabei sein, sagten die STASI und die Russen. Aber … wenn einer hinfällt, dann hilfst du ihm doch auch aufstehen ? Und wenn einer naß durch die Neiße kommt und du hast dein Heim, dann hilfst du demjenigen doch!?“

      Aus der Gruppe der einander fremden Flüchtlinge, denen Frau Söntgen für eine Nacht ein trockenes Obdach gegeben hatte, wurde in den Papieren von STASI und NKWD eine veritable Spionage-Organisation. Die Menschen waren bei einer Personenkontrolle weiter drin im Land ohne gültige DDR-Ausweise betroffen worden. Ihren Wunsch, unter Deutschen in Deutschland zu leben, bezahlten sie nun mit einer langen Freiheitsstrafe als Spione und Agenten.

      Nach sechs Jahren kehrte Helga heim, mittellos und gesundheitlich aufs Tiefste erschöpft. Doch schon lange wartete auf sie kein Zuhause mehr, um sie aufzunehmen. Den Mann, den sie liebte, hatte sie für immer verloren, und ihr Kind sagte ‚Vater‘ und ‚Mutter‘ zu fremden Leuten.

      Irene Kunze hatten die Jahre tiefster Sorge um das Ergehen der Kinder zum Glauben der eigenen Kinderzeit zurückgeführt. Wohl war sie unter Diakonissen aufgewachsen.

      „Aber Diakonissen sind auch nicht immer fromm und lieb, sondern oft sehr hart. Vor allem bedenken sie oft nicht, dass Kinder feine, empfindliche Seelen haben. Deshalb mochte ich die alle nicht, die mich erzogen haben, und war gern bereit, die Kirche zu verlassen, als mein Mann mir das vorschlug.

       Heute? Heute meine ich, das Wenigste, was wir tun können, ist, uns zu Gott zu bekennen. Auch wenn ich – ich meine, ich gehe niemals zur Kirche, schon früher nicht. Denn ich bin ein Ostfriese. Ehe wir den Mund aufkriegen, ist der Pfarrer fertig mit seiner Predigt. Ich bin außerdem ein Einzelgänger.“

      Nicht schnell mit den Worten zur Hand sein, das ist eine Sache, sich in schweigender Demut zu üben eine andere. Doch Irenes ergebenes Dulden hatte einen gewichtigen Grund:

       „Einmal, in der Haft, hat mir Irms Thormann, die ich sehr mochte, gesagt: ‚Irenchen, du bist mir manchmal schon zu sanft. So … so untergeben darf man nicht sein!‘ Und ich habe ihr nicht geantwortet. Ich hätte es vielleicht sagen sollen: Wenn du deine Kinder so weggenommen kriegst und vier Jahre nicht weißt, wo sie denn nun sind … Ja, dann sitzt du da, nicht, und betest nicht mehr für dich, sondern nur noch für deine Kinder – seit Bautzen habe ich wieder gebetet, seitdem ich dort das mit Mutti Hessmann miterlebt habe …“

      Es war in Bautzen gewesen, 1946, oben im großen Saal in Haus Zwei, in dem damals die Frauen lagen. Da lernte Irene Kunze Frau Hessmann kennen und freundete sich sehr mit ihr an. Denn beide trugen als Mütter das gleiche Leid. Muttchen Hessmann, wie alle sie nannten, stammte aus Siebenbürgen.

      „Die Hessmanns waren schon auf der Flucht nach Deutschland gewesen, als die Front sie überrollte. Die Russen verhafteten sie, schmissen den Mann auf einen Lastwagen, sie auf einen anderen. Damit keiner flüchten konnte, saßen obendrauf auf den Gefangenen die Soldaten mit ihren groben Stiefeln. Wo Hessmanns Sohn geblieben war? Der kleine Junge war verschwunden. Nun verzehrte Muttchen Hessmann sich nach ihrem einzigen Kind.

       Die Siebenbürgerin war fromm katholisch. Einmal sagte sie mir: ‚Frau Kunze, ich bitte jeden Abend die Gottesmutter, dass sie mir ein Zeichen schickt!’

       Wir haben natürlich gelächelt und genickt, und auf meinem Bett habe ich gedacht, na, also … da ist auch die Gottesmutter überfordert. Wie

Скачать книгу