Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath

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Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen - Annerose Matz-Donath

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Leben! „Wer nichts gemacht hat, wird auch nicht eingesperrt! Willst du dich nicht endlich dazu bekennen, statt uns anzulügen?“ Die ihr die Nächsten waren, hatten es ihr so bei der Ankunft gesagt. Und stand es ihnen nicht immer noch in den Augen, wenn sie, wie freundlich auch immer, mit ihr sprachen? Bohrender Schmerz wie „Zahnschmerz im Herzen“ – so hatte Heinrich Heine einst seine eigene Seelenpein genannt.

      Mit Irene Kunze haben unzählige Frauen und Mütter diesen bohrenden „Zahnschmerz im Herzen“ jahrelang stumm ertragen, ertragen müssen! Erst der Zusammenbruch der DDR brachte die Wende – auch und gerade für die Verfolgten, die im Westen lebten! Irene Kunze:

      „Der Einzige, der mir schon damals glaubte, als ich 1954 wiedergekommen war, das war mein Vater gewesen. Aber da war er schon vom Tod gezeichnet. Er hat mir geglaubt, das sah ich an seinen Augen. Bloß – er war auch ein Mann, der seiner Frau nicht gern widersprechen wollte.

       Meine beiden Schwestern – eine ist heute 87, die andere ist schon ein paar Jahre tot – ich hab ihren Zweifel an mir all die Jahre immer schmerzlich gespürt! Beide haben mir erst nach 1989 unter Tränen abgebeten, was sie mir damit angetan hatten. ‚Was du über den Grund deiner Verhaftung erzählt hast, das haben wir dir doch nie geglaubt!’ haben sie da endlich offen zugegeben: ‚Ganz ohne jedes eigene Zutun ins Zuchthaus!? Das gibt es doch nicht; das kann es doch gar nicht geben, haben wir immer gedacht!’

       Damals, als ich gekommen war – Presse war sofort da und hat mich fotografiert, und das ist durch alle Zeitungen gegangen. Meinen Kindern hat das ja schon imponiert. Aber das flaute dann ja ab – und die Zweifel der Familie blieben. Sie waren nett. Sie waren überhaupt immer nett und wohlerzogen. Aber in allem und immer schwang der stille Vorwurf mit wie im Gleichnis vom gefallenen, verlorenen Sohn. Er wird wieder aufgenommen. Aber der Bruder sagt, Herr, wie kannst du ihn so belohnen …? So ungefähr, ja.“

      Es bedurfte vieler Jahre und unendlicher Nachsicht und Geduld, bis eine darüber alt gewordene Frau endlich wieder sagen konnte: „Meine Kinder haben mich lieb!“

      Zu solch bitterer Entfremdung kam es oft auch da, wo Großeltern und Verwandte die Erinnerung liebevoll zu pflegen versuchten. Auch Anni Leifers mußte das aufs Schmerzlichste erfahren. Die Mutti habe auf eine große Reise gehen müssen, hatte die Oma der Enkelin all die Jahre erzählt. Das war für ein kleines Kind nicht leicht zu begreifen. Schon gar nicht aber konnte der Großmutter Liebe die Wunden heilen, die böses Gerede dem kleinen Mädchen schlug. Im Dorfe und gar von Spielgefährten wurde es immer wieder gehässig belehrt: „Du hast ja gar keine Eltern! Du hast überhaupt keine Mutti und auch keinen Vati!“

      In einem kalten Frühjahr kam Anni Leifers nun, nach fünf Jahren, endlich nach Hause zurück. Ihr Kind – es stand jetzt kurz vor der Einschulung – war es wirklich „ihr“ Kind geblieben? Die Probe aufs Exempel fiel vernichtend aus:

       „Meine Mutter hatte ein paar Tage verreisen müssen. Solange sie daheim gewesen war, schien es, als habe meine Tochter sich nach und nach an mich gewöhnt. Aber als ich nun allein mit ihr war und sie wirklich als Mutter betreuen wollte – mein Gott, wie aus einem Vulkan brachen Abwehr und schiere Feindseligkeit aus der Kleinen heraus. Oder war es nur Angst, weil ich ihr zu fremd war?

       Sie hat regelrecht gegen mich gekämpft! Und mit was für einer Energie! So wilde Wutanfälle hätte man dem sonst so braven und sanften kleinen Ding gar nicht zugetraut! Spielzeug flog an die Wand, trommelnd und trampelnd schmiß sie sich auf den Boden. Als ich sie gar ins Bett bringen wollte, ging es erst richtig los. An anfassen, waschen, Nachthemdchen überstreifen war gar nicht zu denken!

       Mir brach eine Welt zusammen! Jahrelang hatte ich doch immer wieder nur davon geträumt, ihren kleinen warmen Körper in meinen Armen zu halten, ihre Ärmchen zärtlich um meinen Hals zu fühlen. Denn sie war ja alles, was mir von meiner ersten großen Liebe geblieben war. Ihren Vater, wenn er denn überhaupt noch lebte, würde ich wohl niemals wiedersehen. Sie hatten ihn nach Sibirien geschleppt.“

      Als sie 1948 verhaftet wurde, war Anni Leifers gerade 17. Ihre einzige Schuld war die Liebe zu einem russischen Soldaten. Ihr Unglück, dass sie in jenem Teil Deutschlands – im Erzgebirge – geboren wurde, der nun Sowjetische Besatzungszone war. Denn was wäre ihr geschehen, hätte nicht ein russischer Junge ihr Herz gewonnen, sondern ein Franzose, Engländer oder Amerikaner an Rhein oder Weser? Der falsche Wohnort brachte ihr statt einer fröhlichen Hochzeitsfeier ein Urteil auf fünfundzwanzig Zuchthausjahre ein.

      Die Tochter, längst selber Frau und Mutter, fühlt heute mit, was die eigene Mutter erleiden mußte und ist ihr liebevoll zugetan. Aber nicht immer gab es solch spätes bitter-süßes Happyend. Eine andere Gefangene, die ihr Kind in Hoheneck hatte gebären müssen, wurde bis zu ihrem Tod dieser Mutterschaft nicht froh.

      Das Baby war seinerzeit von der Familie in Westberlin aus dem staatlichen Kinderheim der DDR herausgeholt worden – unter allergrößten Schwierigkeiten und mit viel Glück dazu. Als die Mutter schließlich zurückgekommen war, hätte das Mädchen gesichert und geborgen in einer neuen Familie in Westdeutschland aufwachsen können. Aber was geschah? Ausgerechnet unter eingefleischten, linientreuen Kommunisten suchte sich die Oberschülerin ein Ersatz-Zuhause. Die gläubigen Anhänger jener Gewalt, die der Mutter Jahre des Lebens und ihr, der Tochter, die Mutter gestohlen hatte, zog sie den eigenen Eltern vor!

      Kühl und herzlos ist das Verhältnis dieser Tochter zu ihrer Mutter immer geblieben. Kalt und ohne Liebe war auch das Begräbnis, das sie der früh Verwitweten und früh Verstorbenen bereitet hat. Warum es nie eine Brücke gab, auf der Mutter und Tochter einander hätten begegnen können? Speiste sich der offensichtliche Wunsch der Jüngeren, der Mutter weh zu tun, aus einst erlittenem und nie überwundenem Kleinkinderleid, verlassen, verraten worden zu sein? Lebte die Tochter mit ihrer Verweigerung unbewußt eine irrationale Rache aus?

      Auch für Verwandte wurde oft das Leben nicht leichter, wenn sie sich der verlassenen Kinder politischer Gefangener angenommen haben. So erlebte es 1951 die Familie von Alice Haber in Rudolstadt:

       „Meine Tochter war ja bei der Verhaftung dabei. Mich haben sie ins Auto reingenommen, das Kind – ich hatte sie auf dem Arm – das Kind haben sie einfach rausgetan. Da war wohl noch ein deutscher Beamter. Später, bei den Vernehmungen, wenn man wieder mal von draußen Kinder spielen hörte, hieß es immer: ‚Das ist Ihre Tochter. Hören Sie sie?’ Natürlich stimmte das nicht. Sie war nie am Gefängnis. Und eigentlich habe ich das auch nicht so recht geglaubt. Ins Herz schnitt das schon – die Fröhlichkeit der Kinder – und du warst von deinem getrennt. Bange Frage: für wie lange?

       In Wirklichkeit hatten sie meine Erika gleich zu meiner Mutter gebracht. Aber meine Eltern waren zu alt und zu krank. So haben meine Schwester und mein Schwager sie zu sich genommen. ‚Wir sind ihre Paten’, haben sie gesagt, ‚und es ist der Sinn einer Patenschaft, dass man sich um sein Patenkind kümmert, wenn Mutter oder Eltern nicht weiter sorgen können.’

       Was mit mir war, wußte natürlich keiner. Aber eine Angestellte von uns, die ich dann in Hoheneck wiedertraf, war zwei Jahre vorher verhaftet worden. Es war also keinem ganz neu, dass Leute plötzlich und ohne erkennbaren Grund verschwanden. Mehr wußte niemand und es konnte sich auch keiner etwas zusammenreimen. Wer hätte auch darauf kommen sollen, dass es im Grunde um eine Ehegeschichte ging! Mein Mann war fremdgegangen, hing aber noch immer an mir und dem Kind. Er wollte zurück. Deshalb – um mich aus der Welt zu schaffen – hat mich seine Neue denunziert!

      Dass Erika keine Erinnerung an die Verhaftung hatte, war ein Glück. Sie war damals noch zu klein gewesen. Wenn sie nach mir fragte, erklärte ihr meine Schwester, ich sei im Krankenhaus. Aber damit gab sie sich nicht zufrieden. Sie hat gesagt:

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