Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath

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Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen - Annerose Matz-Donath

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       Die Mütterstube

      Doch auch Kinder waren selber verurteilte Gefangene. So gehört in die schändlichen Annalen jener Jahre im Herrschaftsgebiet von NKWD und SED auch die Geschichte vom „Kohlenklau im Kindertäschchen“. Alice Haber erinnert sich, wie diese Geschichte sich 1945 zugetragen hatte:

       „Da war diese kleine Holt, die Ilsemarie – ein Kind noch, ein halbes Kind, als sie verhaftet wurde. Und ihre Freundin von draußen, die Viktoria Gäb. Die waren beide doch erst elf oder zwölf, und vom Leben überhaupt keine Ahnung, wie sie eingesperrt worden sind. Wofür? Weil sie bei den Russen am Bahnhof paar Kohlen geklaut haben! Die sind immer mit ’m Täschchen fort und haben ein bissel Holz und Kohlen aufgelesen, nach 1945 in Berlin …

       Einmal waren da ein paar Jungen dabei, die haben gesagt: ‚Menschenskinder, wo holen denn die Russen bloß die Kohlen her?’ Und sind da wohl nachgegangen – von den Kohlenwagen war doch immer so eine dreckige Spur auf der Straße. ‚Ach, kommt doch alle mit!’ Und die beiden Mädchen sind wirklich mitgegangen – am Bahnhof war die Kohlenquelle. Der eine Junge ist dann auf den Waggon gestiegen, hat ein paar Briketts hinuntergeworfen, und die Kinder haben im Handtäschen, im Einkaufstäschchen die paar Kohlen mitgenommen. Na, was können so Kinder schon tragen! Sie waren damals doch sowieso nur zwei spillerige kleine Dinger! Jedenfalls hat man sie dabei erwischt, Tasche geguckt – zehn Jahre …! Fast genau so lange Zeit, wie die beiden überhaupt erst auf der Welt warn!“

      Die Spur der beiden verlor sich nicht so leicht unter den Gefangenen. Denn die Jüngsten blieben sie ja immer, wie die Zeit auch fortschritt und sie dem Kindesalter entwachsen ließ. Ihre manchmal kuriosen, naiven Fragen waren es, die bei den älteren Kameradinnen die Erinnerung an die Kinderverhaftung wachhielt. Zum Beispiel:

      „Wie war das eigentlich, wenn ihr früher in ein Tanzlokal gegangen seid und so ein Mann ist gekommen und wollte mit euch tanzen? Was habt Ihr denn da gemacht? Oder wenn Euch einer küssen wollte – oder so – na du weißt schon, was ich meine?“

      Heute würde kein Kind mehr solch eine Frage stellen. Allein das Fernsehen hätte sie Elfjährigen längst ausführlich beantwortet. Aber Fernsehen gab es ja damals noch nicht. Als Ilsemarie und Viktoria grade fünf oder sechs geworden waren, hatte der Krieg begonnen. Die Geschlechter trafen einander nun häufiger im Lazarett als Verwundete und Krankenschwester statt bei Tanzvergnügen. Als im Sommer 1942 der Feldzug in Rußland begann, wurde öffentlicher Tanz und jede ähnliche Lustbarkeit kategorisch und gänzlich verboten. So gut die beiden Teenager inzwischen das Leben in Lagern und Zuchthäusern kannten – normaler Friedensalltag war für sie so fremd wie das Land auf dem Mond.

      Von der Erinnerung übermannt, erzählt Alice Haber weiter:

      „Es war ja die Karnevalszeit. Ein paar von den Jungen, die durch den Krieg auch noch nie hatten Karneval feiern können, wolltens jetzt wissen. Da war Dorli Baum dabei, die hatte sich aus lauter Kopftüchern – aus den blauen Kopftüchern, die zu unserer Häftlingskleidung gehörten – ein Zipfelröckchen gemacht. Aus dem Abfall der Küche hatte sie ein paar Fetzchen Goldpapier aufgegabelt – alte Käse- oder Margarineverpackungen. Jede hatte sich mit so ein bißchen irgendwelchem armseligem Abfallzeug schön gemacht. So sind sie dann hin und her gehüpft.

       Mit einem Male: ‚Menschenskinder, es ist gleich sechs, die Wach-Ablösung kommt! Schnell das Zeug runter! Hört auf! Der jetzige Zug ist besonders gemein’, haben wir Älteren gesagt. ‚Ach, die kriegen das gar nicht mit!’ meinten die Mädchen – wie das mit den jungen Leuten so ist. Die Ablösung kam – und mit einem Mal standen in der Gemeinschaft drei Frauen und drei Männern mit Hunden und aufgepflanztem Gewehr! Wir standen da und wußten nicht, was wir machen sollten. Elf oder zwölf der jungen Dinger haben sie gleich mitgenommen in Isolierung. – Ja, so sind sie damals mit uns umgesprungen…“

      Am Stadtrand von Fürstenwalde erinnert ein Gedenkstein an die Opfer des stalinistischen Terrors, die nach 1945 hier elend zugrunde gingen. Ketschendorf war eines der berüchtigten „Speziallager“ des NKWD in Deutschland. Von der Umwelt streng isoliert, in größter Enge zusammengedrängt, siechten hier unzählige Männer und Frauen dahin, bis Hunger, Kälte und daraus entstehend Krankheit sie endlich zu Tode brachten. Nur wenige haben Ketschendorf überlebt.

      Ob unschuldig oder schuldig – mit solchen feinen Unterschieden hatten die Kerkermeister sich damals gar nicht erst aufgehalten. Nur Zeit- oder Leidensgenossen wie Hannes Schlieker, der in der Nähe lebte und dort in die Schule ging, können heute noch berichten, wer damals in Ketschendorf einsaß. Auch vier seiner Klassenkameraden sind hier gestorben:

       „Wir waren sechzehn damals, als der Krieg zu Ende war. Konnte man in dem Alter ‚großer Nazibonze‘ gewesen sein, wie es in der DDR immer hieß, wenn von den Verhafteten allgemein und auch von denen in Ketschendorf die Rede war?

      Die ganzen Jahre in der DDR hieß das hier der ‚Platz der Freiheit’. Erst jetzt, seit dem vorigen Jahr, haben sie es umbenannt in ‚Platz des Gedenkens.’ – Hier, direkt wo jetzt der Häuserblock steht und wo wir jetzt wohnen, ist damals das Lager gewesen.

      Man hat viele Gebeine hier gefunden. Sie hatten die Toten ja einfach verscharrt damals – an Ort und Stelle, wo sie gestorben waren. Und dann, als sie hier gebaut haben … Ich kann mich erinnern, da haben Jungens mit einem Totenkopf Fußball gespielt. Kleine Jungs. 1957, wie sie hier die Blöcke bauten.

       Sie haben die Knochen dann in der Nacht heimlich wegtransportiert mit großen LKWs. Wo sie hingekommen sind, weiß niemand. Die Leute, die die Transporter gefahren haben, die müßten das ja noch wissen. Man hat nachgeforscht, nach den LKW-Fahrern. Aber es ist nichts dabei rausgekommen.“

      Für Margot Schlieker, seine Frau, ist der Blick zurück noch schmerzlicher. Erst im zweiten Nachkriegswinter war sie mit ihren Eltern in Fürstenwalde angekommen. Vertriebene waren sie, Flüchtlinge, denen es an allem fehlte. Sogar am Nötigsten, am täglichen Brot. Obwohl erst neunzehn, war die junge Frau schon eine praxiserfahrene Buchhalterin. Aber wer brauchte damals in Fürstenwalde solch eine qualifizierte Kraft? Die Besatzungsmacht!

      „Auf dem Arbeitsamt fragte gerade ein russisches Ehepaar nach. Die Frau sprach gut Deutsch: ‚Kommen Sie doch zu uns’, sagte sie. ‚Mein Mann leitet die Garnison in Fürstenwalde. Und da ist Buchhaltung und Lohnabrechnung nötig’. Sie bot mir 500 Mark. Das war für die Zeit unheimlich viel Geld. Unheimlich viel! Im allgemeinen hatte man zwei- bis dreihundert Mark und fühlte sich damit ordentlich bezahlt.

       Der Kommandant, ihr Ehemann, sah wohl meine Zweifel. Er ließ übersetzen: ‚Sie werden direkt mit meiner Frau zusammenarbeiten und brauchen keine Angst zu haben. Nichts, nichts wird Ihnen geschehen! Und Sie können auch Essen mit nach Hause nehmen.’

       Vor allem deshalb nahm ich das Angebot an. Als Ortsfremde ohne Beziehungen … verhungert waren wir ja schon fast!“

      Alles ließ sich genauso an wie versprochen. Jeden Tag konnte Margot sich nach der Arbeit in der Offiziersküche ein Kübelchen Essen holen. Zuhause warteten alle schon darauf.

      Überraschend war für die junge Frau der nähere Einblick in die Verhältnisse der Garnison, für deren 4.000 Köpfe sie nun alle Abrechnungen zu machen hatte. Der Sold der sowjetischen Besatzungstruppe wurde damals – jedenfalls 1947 in Fürstenberg – nicht in sowjetischer, sondern in deutscher Währung gezahlt. Eine Mark pro Tag bekamen die Soldaten, die Offiziere vier. Dafür konnten sie an der Wache Weißbrot, Schnaps und Zigaretten erwerben. Mannschaften und Offiziere erhielten jeweils Essen

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