Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath

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Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen - Annerose Matz-Donath

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Auf Susannes Geburtsurkunde steht ‚Geboren in Hoheneck / Stollberg.’ Nicht etwa Zuchthaus oder Gefängnis oder so, gar nichts. Wer da nicht Bescheid weiß, denkt, es war eben im Erzgebirge. So hat ja auch die Behörde in Westdeutschland ihr gesagt: Sie sei doch im Kinderheim gewesen und sei gar nicht festgehalten worden … Aber was für ein Kinderheim! Das haben wir am Schluß noch selber erfahren. Wir sind mit dem VP-Wachtmeister Hammer aus Hoheneck hingefahren, mit dem Bus. Wenn der nicht dabei gewesen wäre, hätten wir sie nicht rausgekriegt. Die wollten sie uns zuerst wirklich nicht rausgeben. Es war ein Polizeikinderheim. Unsere kleinen Kinder standen regelrecht unter Polizeiaufsicht. Es waren ja noch mehr Kinder da von unseren – von anderen Müttern gar keine.“

      Ihrem jeweiligen Alter entsprechend wurden die Gefangenenkinder offenbar durch verschiedene Kinderbewahranstalten der Volkspolizei geschleust. Erst heute, nachdem die Akten zugänglich sind, ist ihr Leidensweg zu verfolgen. Das gestörte Verhalten aller Kinder, die in solchen Einrichtungen gehalten worden waren, sprach aber schon damals eine deutliche Sprache. Dass aber nicht nur die Kinder von Ängsten gebeutelt waren, zeigen Berichte wie dieser von Thea Kösel:

      „Susanne hat ins Bett gemacht – vor Angst – und vor allem Möglichen! Ich durfte kein Licht ausmachen – ‚Nicht dunkel, nicht dunkel!’ hat sie immer geschrieen. Und Tante und Onkel hat sie gesagt zu uns … Sie hat sehr lange unter solchen Ängsten gelitten. Dann hat sie – noch mit vier Jahren – eine Hilusdrüsen-TB gehabt.

      Aber wir waren ja selber so angeschlagen! Wenn ich mich daran erinnere … Wir hatten ja solche Angst, dass sie uns wieder rüber holen – aus dem Westen wieder zurück! Genug Beispiele für Entführungen gab es ja. Niemand von uns hat groß ein Wort darüber gesprochen, wo wir hergekommen sind, weil die Angst so in einem steckte. Ja, auch in Westberlin.

       Wir – meine Mutter, die ja mit mir in Hoheneck eingesperrt war, und ich – wir sind in Leipzig in den Zug gestiegen – und Susanne hat geschrien, geschrien! Die wollte nicht in den Zug, weil dieser große Zug – nein, ich weiß auch nicht, warum. Sie hat eine Angst gehabt, unbeschreiblich. Dann fiel uns ein Mann auf … Als wir dann nach Westberlin kamen, hat man uns beruhigt. Aber da waren wir schon so verängstigt durch alles, dass wir kaum wagten, uns zu unterhalten. Denselben Mann habe ich nachher in West-Berlin ein paar Mal gesehen – auch als wir dann im Auffanglager mal beim Amerikaner waren, wo wir diese ganzen Fragebogen ausfüllen mußten . Ich war wie versteinert. Ich habe mich nicht getraut, damals zu sagen, das ist der Mann. Ob das nun ein Spitzel oder sonstwas war? Ich weiß es nicht. Es steckte einem ja immer noch diese unsagbare Angst im Rücken. Es hat Jahre gedauert, bis ich die halbwegs überwunden hatte.“

      „Halbwegs überwunden“, sagt Thea Kösel heute. Wenigstens ihre Lebensführung, ihre Alltagsentscheidungen sind nicht mehr von irrationaler Angst bestimmt. Zwangsträume, wiederkehrende Angstzustände ohne nennbaren und erkennbaren Grund aber machen ihr bis heute das Leben schwer – wie vielen, allzu vielen Menschen, die damals dem NKWD in die Hände fielen. Aber für immer bleibt ihr, bleibt allen gefangenen Frauen jenes Glück der Mutterschaft verwehrt, das durch die Jahrzehnte leuchtet und die Herzen ein Leben lang wärmt: den neuen kleinen Erdenbürger bei seinen ersten Schritten ins Leben zärtlich zu leiten.

      Auch wer Kinder draußen zurücklassen mußte, trägt für immer die schmerzende Narbe eines großen Verlustes im Herzen. Selbst wer hoffen durfte, sie seien gut und behütet aufgehoben, durfte sie ja nicht heranwachsen sehen.

       Kindertränen

      Haben die Mütter noch Worte für ihre Schmerzen, so fehlt den in Haft geborenen Kindern die eigene klare Erinnerung daran, was ihnen angetan wurde. Ihnen blieb nur ein dunkles Gefühl der Qual zurück. Erst jetzt, nachdem die Akten offen liegen und Nachforschungen möglich sind, beginnt sich der Nebel zu lichten.

      Unter sowjetischem Regime wurden die Neugeborenen in der Regel nicht von den Müttern getrennt. Mehr als 29 Babys und Kleinkinder waren so schließlich in Sachsenhausen zusammengekommen. Die Baracke, in der die Mütter mit ihren Kleinen hausten, war das gleiche Elendsquartier wie alle anderen Hütten des ehemaligen Nazi-KZs. Auch die Ernährung der Kinder war knapp und mangelhaft. Doch so schlecht auch die äußeren Umstände waren, von der Liebe und Zuwendung ihrer Mütter wurden die Kleinen nicht getrennt. Auch kein Russe in Sachsenhausen hätte ihnen je Böses getan oder Grausames gegen sie ersonnen. Das sollte sich ändern, als im Frühjahr 1950 alle SMTer „zur weiteren Verbüßung ihrer gerechten Strafe“ an die DDR übergeben worden waren.

      Zwei der in den späten 40er Jahren im Gefängnis Geborenen, Tina Semmler und Edeltraud Thoma, haben sich über der Suche nach den Spuren ihrer Kinderzeit wiedergefunden. Doch die Klärung der eigenen Erinnerung reicht nicht aus, die Vergangenheit zu überwinden. Was damals staatlich angeordnet und von willigen Helferinnen in Taten umgesetzt wurde, muß heute – endlich – offen beim Namen genannt werden. Den Betroffenen fällt es nicht leicht, davon zu sprechen.

      Wie schwer, verrät Edeltraud Thomas Miene. Nur scheinbar kühl und gefaßt entnimmt sie ihren Unterlagen Stück um Stück die Belege über ihr Leben. Langsam steigt ihr, je länger sie spricht, eine fiebrige Röte in Stirn und Wangen. Mit nervösem Hüsteln unterbricht sie sich immer wieder:

      „Dass ich ein Zuchthauskind bin, im Roten Ochsen in Halle zur Welt gekommen, davon habe ich jahrelang nichts geahnt. Auch an meine frühe Kinderzeit – vor der Schulzeit – habe ich keine Erinnerungen. Wenn Schuloder Arbeitskameradinnen von ihren Kindheitserlebnissen erzählten, war ich immer still. Ich hatte ja nichts, was ich hätte erzählen können. Wenn ich zurückzudenken versuchte, war da nur so etwas Kaltes, Dunkles, so, als ob ich immer weinen müßte, ohne doch recht zu wissen, warum.

      Das einzige Bild, an das ich mich deutlich erinnerte – ich sehe es bis heute noch vor mir – nein, davon mochte ich den anderen, Glücklicheren nun auch nicht erzählen: Wie ich mit anderen kleinen Kindern wartend auf dem Leipziger Hauptbahnhof stehe. Viele Leute liefen da herum, Frauen mit Hüten und schönen Kleidern, ganz fein angezogen. Ich habe die Augen zugemacht und mir ganz fest gewünscht, dass jetzt eine von diesen schönen Frauen auf mich zukommen, mich an der Hand nehmen und mit mir fortgehen würde. Plötzlich hörte ich eine Stimme, die zu mir sagte: ‚Du bist Edeltraud, meine Tochter!‘ – Ich fühl ’s noch wie heute – vor Enttäuschung bin ich ganz steif und stumm geworden. Es war keine von den Schönen, die mich angesprochen hatte! Ach, sie war ja eine so magere, abgehärmte Frau! Dass sie gerade aus dem Zuchthaus Hoheneck entlassen worden war, wußte ich ja nicht – und ich hätte mir darunter auch gar nichts vorstellen können.

       Auch vom Schicksal meiner Mutter habe ich jahrelang nichts gewußt. Als ich es erfuhr, war ich schon längst erwachsen! Es war so: Wir hatten eine Fahrt nach Buchenwald gemacht. Wie grausam die Nazis mit Menschen umgegangen waren, hatte ich natürlich in der Schule schon gehört. Aber richtig vorstellen kann ein junger Mensch sich das vom bloßen Erzählen wohl nicht. Jetzt kam ich voller Entsetzen nach Hause und mußte einfach davon erzählen – da fing meine Mutter bitterlich zu weinen an.“

      Es war nicht viel, was die Mutter über Vergangenes je erzählte. Im August 1948 war sie verhaftet worden. Im Trubel eines großen Volksfests hatten die deutschen Büttel zugegriffen, die Verhaftete dann – unverzüglich – der sowjetischen Besatzungsmacht überstellt. Damals war die junge Frau schon im achten Monat schwanger.

      Wie weiter? Einzelhaft, Hunger, Ungeziefer, keinerlei ärztliche oder andere Betreuung, kein menschliches Wesen außer den groben und zynischen Vernehmern. Als die Wehen kamen, beschrie die junge Erstgebärende in ihrer schmerzgeschüttelten Hilflosigkeit die Wände ihrer Einzelzelle. Da endlich wurde eine andere Gefangene zu ihr geschlossen, schließlich auch ein Arzt, Untersuchungshäftling wie alle Deutschen dort.

      So

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