Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath

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Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen - Annerose Matz-Donath

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       In dem Vorort von Rudolstadt, wo meine Schwester wohnte, hatte sich ja rumgesprochen: ‚Die Erika, das ist gar nicht deren Kind, das ist ja … ’ wie halt in Familien so was erzählt wird. Auf jeden Fall – meine Tochter ist dann in die Schule gekommen, und eines Tages haben die anderen Kinder ihr gesagt: ‚Deine Mutti ist überhaupt nicht krank! Die ist gar nicht im Krankenhaus, die ist im Gefängnis!’ Da kam sie weinend heim und hat erst gar nichts gesagt. Dann hat sie immer nur gefragt und gefragt: ‚Gell, aber meine Mutti hat doch nichts Böses gemacht?’ Mein Schwager hat sie getröstet, dass ihre Mutti wirklich nichts Böses gemacht hat. Aber es war sehr schwierig, ihr das klarzumachen, weil – ja nun, weil es ja immer hieß, wer böse ist, kommt ins Gefängnis. Und wieso war ich dann drin? Viel sagen durften sie ihr nicht, wenn sie sich nicht selber in Gefahr bringen wollten. Etwa, dass die die Bösen wären, die mich da reingesteckt haben! Aber alle Vorsicht hat nicht viel geholfen. Wo sie nur konnten, haben die Behörden meiner Schwester Knüppel zwischen die Beine geworfen.“

      Zum Beispiel, als es um eine etwas größere Wohnung ging für nun, mit der kleinen Nichte, zusammen vier Personen. Der Antrag hatte bescheiden auf zweieinhalb Zimmer gelautet. Doch die Antwort war rüde:

      „‚Wenn Ihnen das Kind zuviel ist, wir haben Heime, wo wir es hintun können!’ Und das war noch nicht ihre letzte Schikane. Schlimm war auch, was sie meinem Neffen angetan haben. Sie hätten ihm fast das Leben zerstört.

       Er war ein sehr guter Schüler. Deshalb sollte er auf eine höhere Schule gehen. Ich weiß nicht, ob es diese EOS, die Erweiterte Oberschule, damals schon gab oder ob noch die alten Gymnasien bestanden. Aber trotz guter Zensuren und aller Fürsprache des Direktors, der ihn kannte, wurde er dort nicht zugelassen, weil meine Schwester ‚ein Verbrecherkind aufgenommen’ hatte! Statt dessen wollten sie den Jungen mit 16 zur Armee ziehen. Nach der Musterung in Weimar – tauglich! – ist er deshalb mit einem anderen abgehauen. Per Anhalter nach Berlin, dann ausgeflogen nach Hamburg. Dort mußte er sich zuerst als Feldarbeiter verdingen. Der Weg, auf dem er dann doch noch Abitur und Studium schaffte, war sehr, sehr lang und sehr schwer.“

      Alice Habers Eltern wohnten in Eisenach. Dahin mußte sie zurück, als sie 1955 entlassen wurde. Ihre Tochter Erika wohnte damals immer noch bei Alices Schwester in Rudolstadt. Dorthin mußte sie fahren, wenn sie sie sehen wollte. Allerdings – so einfach, wie das jetzt klingt, war das nicht:

      „Unerlaubt war das und deshalb jedesmal eine Angstpartie. Es war so: Ohne Ausweis durfte man nicht den Wohnort verlassen. Aber einen Ausweis gaben sie mir lange nicht.

       Beim meinem ersten Besuch in Rudolstadt – meine Schwester hatte dem Kind mein Kommen angekündigt – da lag Erika schon im Bett. Wie sie meine Schritte hört und ich mich über sie beuge, schlägt sie plötzlich ihre Augen auf und sagt strahlend: ‚Du bist meine Mutti! – Aber gell, du heiratest nicht wieder?’ Denn inzwischen hatte man ihr erzählt, warum ich abgeholt worden war.“

      Seit ihrer Entlassung im Sommer 1955 ist Alice Haber nun schon wieder fast 40 Jahre ein freier Mensch. Aber erst 1993 hat sie zum ersten Mal mit ihrer Tochter über die Vergangenheit zu sprechen versucht.

       „Ich habe gesagt, mich wundert, dass sie nie gefragt hat. Da wurde sie ganz blaß. ‚Mutti,’ hat sie gesagt ‚ ‚bitte erzähle mir nichts! Es belastet mich zu sehr, wenn ich weiß, was du mitmachen mußtest! Das ertrage ich nicht!’ – Wer aber fragt und hören will, das sind meine drei Enkel!“

      Ja, und wie war das sonst, als Alice zurückgekommen war? Die Behörden gaben ihr nicht nur keinen Ausweis, sondern auch keine Arbeit. So versuchte sie über alte Bekannte ihr Glück. Schließlich kam sie bei einem alten Apotheker als Aushilfe an.

      „Na, und dann kam der 1. Mai ran. Da kommt einer und sagt zum Apotheker: ‚Sie haben hier eine eingestellt, die gesessen hat. Die soll mitmarschieren am 1. Mai und das Transparent tragen!’ Dann sollte ich eine rote Nelke kaufen. Da war ich so wütend! Transparent tragen? Ich habe gesagt: ‚Wissen Sie was? Ich habe einen kaputten Rücken. Das ist Transparent genug!’ Den Rückenschaden hatte ich von der Arbeit in der Haft. Sogar ein Arzt in der DDR hatte mich deshalb als zu 80 Prozent schwerbeschädigt eingestuft.

       Plötzlich, Anfang Mai, mußte ich jedenfalls schleunigst fort. Das kam so: Gegenüber der Apotheke war die Polizei. Eines Tages kommt eine von drüben und sagt: ‚Sie müssen verschwinden. Sie haben einen Fehler gemacht!’ Es ging um das Transparent. ‚Sie haben sich geweigert…’ ‚Geweigert?’, sage ich, ‚ich habe mich nicht geweigert! Ich habe gesagt, ich kann es nicht tragen, weil mein Rükken kaputt ist. Ich muß mich ja schon bei der Arbeit dauernd setzen! Fragen Sie mal meinen Chef.’ Da sagt sie: ‚Ich besorge Ihnen einen Paß.’ Aber über Berlin – es gab noch keine Mauer – das würde ich ja nicht schaffen, meinte sie. Deshalb würde sie mir eine Bescheinigung geben, mit der ich drei Tage nach Bebra – im Westen – fahren könnte, um meine früheren Schwiegereltern zu besuchen. Dafür wollte sie allerdings etwas aus der Apotheke. Mein Chef hat zu mir gesagt, ‚Nehmen Sie es, Sie wissen, wo es liegt. Ich weiß von nichts!’ und ist rausgegangen. Nun, da habe ich der gegeben, was sie wollte, und die hat mir den Paß gebracht. Am gleichen Nachmittag bin ich dann noch fort.“

      Von fünfundzwanzig Jahren Urteil „nur“ fünf Jahre „abgesessen“. Danach eine neue glückliche Ehe und ein liebevoller zweiter Vater für Erika, dessen Fürsorge sie ihm mit Anhänglichkeit vergalt – soweit könnte Vergangenes vergessen sein. Wenn nicht der tägliche, brennende Schmerz des kranken Rückens wäre! Schon lange kann sich Frau Haber nur noch an Krücken fortbewegen.

      Leidende Mütter – und die Kinder? Erwachsene finden Worte für ihre Schmerzen. Aber Kinder? Wer hat die Kinder dieser „Verbrecherinnen“ je danach gefragt, was sie empfunden, was sie erlitten haben?

      Ilse Erben hatte deren fünf, das kleinste drei Monate alt, als sie verhaftet wurde, der älteste, Lothar, zwölf Jahre. Frau Erbens Mann, Berufsoffizier, Major, war in den letzten Tagen des Krieges noch gefallen. Nach ihrer Verhaftung nahm sich die Fürsorge der verlassenen Kinder an, suchte Pflegeeltern. Nur zwei der vier kleinen Mädchen zogen dabei ein erträgliches oder glückliches Los. Doch die drei anderen …

       „Gerda? Die hatte es vielleicht am schlimmsten getroffen. Von allen Geschwistern getrennt und dann … Narben auf der Seele! Manchmal spricht sie noch heute davon: ‚Was habe ich für Schläge gekriegt! Und für nichts und wieder nichts. Oder – wenn ich mal so ein bißchen Sehnsucht hatte und habe mich an meine Pflege-Mutti anlehnen wollen, dann fuhr sie mich an: ‚Ach nee, laß das mal! Das kannst du ja machen, wenn deine Mutter zurückkommt …’

       Zehn war sie damals so etwa. – Ja, und es hat mehr als neun Jahre gedauert, bis ich zurückkam. Als ich sie endlich in die Arme nehmen konnte, war sie kein Kind mehr. Es schmerzt mich noch heute, wenn ich daran denken: Ein Kind – mein Kind! – für das keiner ein gutes Wort, keiner eine herzliche Geste hatte! Da ging es ja uns im Zuchthaus fast besser, denn wir hatten einander! – Naja, Ihre Pflegemutter war eine Erzkommunistin und eine … in der Partei irgend so eine Erste, Vorsitzende.“

      Die beiden Ältesten, Lothar und Gisela, hatte ein Architekten-Ehepaar ins Haus genommen. Eigentlich hatten diese jedoch nur ein Kind zu sich nehmen wollen, ein größeres Mädchen. Aber die Geschwister hatten sich mit allen Kräften und schließlich erfolgreich gegen eine Trennung gewehrt. Alle fünf Kinder waren übrigens anfangs, gleich nach dem Verschwinden der Mutter, erst einmal in ein Kinderheim gekommen.

       „Da gab’s auch so eine Geschichte! Das Heim war schlecht geleitet. Mit der Gesundheit der Kinder ging es immer weiter bergab. Schließlich kam heraus, dass das Pflegepersonal sich jahrelang

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