Die Revolution der Städte. Henri Lefebvre

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Die Revolution der Städte - Henri Lefebvre eva taschenbuch

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entfaltet sich die Ware: Hier ist ihre Welt. Die Ware, die keine Bleibe an einem eigens für sie bestimmten Ort gefunden hat (Platz, Halle), hat sich über die ganze Straße ausgebreitet. Im Altertum war die Straße nichts als ein Anhängsel von Orten mit besonderen Privilegien: Tempel, Stadion, Agora, Garten. Später, im Mittelalter, besetzte das Handwerk die Straße. Der Handwerker war Produzent und Verkäufer zugleich. Dann wurde der Händler, der nichts als Händler ist, Herr der Straße. Die Straße? Eine Auslage, ein schmaler Gang zwischen den Läden. Die Ware, zum Schauspiel geworden (provozierend, lokkend), läßt den Menschen zum Schauspiel für den Menschen werden. Mehr als anderswo sind hier Austausch und Austauschwert wichtiger als der Gebrauch, dessen Bedeutung auf einen Rest zusammengeschrumpft ist. So sehr trifft das zu, daß die Kritik an der Straße noch weiter gehen muß: Die Straße wird zum bevorzugten Ort einer Unterdrückung, die durch den »realen« Charakter der sich hier bildenden Beziehungen (dadurch also, daß diese schwach sind, entfremden und entfremdet sind) bedingt wird. Durch die Straße, den Raum der Kommunikation, zu gehen, ist ebenso Gebot wie Verbot. Sobald Gefahr droht, ergeht das Verbot, sich auf der Straße aufzuhalten und zu versammeln. Wenn die Straße den Sinn hatte, die Begegnung zu ermöglichen, dann hat sie ihn verloren; sie mußte ihn verlieren, indem sie sich im Rahmen einer notwendigen Reduktion darauf beschränkte, nur Durchgangsort zu sein, sich aufspaltend in Passagen für Fußgänger (gehetzt) und Autos (begünstigt). Die Straße hat sich zum organisierten Netz des Konsums durch/für den Konsum gewandelt. Der (noch geduldete) Fußgänger bewegt sich eben so schnell – seine Geschwindigkeit wird so bemessen –, daß er Schaufenster betrachten und ausgestellte Gegenstände kaufen kann. Die Zeit wird zur »Waren-Zeit« (Kauf- und Verkaufszeit, gekaufte und verkaufte Zeit). Die Straße regelt die Zeit jenseits der Arbeitszeit. Sie unterwirft sie demselben System – dem von Leistung und Profit. Sie ist nur mehr obligatorischer Übergang zwischen Zwangsarbeit, programmierter Freizeit und Wohnraum, der ebenfalls Konsumort ist. Die neokapitalistische Konsum-Organisation demonstriert auf der Straße ihre Herrschaft, die nicht auf politischer Macht, noch auf Unterdrückung allein (offen oder versteckt) beruht. Die Straße, ein Aufeinanderfolgen von Schaufenstern, von zum Verkauf ausgestellten Dingen, zeigt, wie zur Logik der Ware eine (passive) Betrachtungsweise hinzukommt, die Charakter und Bedeutung einer Ästhetik und einer Ethik annimmt. Die Anhäufung von Gegenständen begleitet die Anhäufung von Menschen, die wiederum Folge der Anhäufung von Kapital ist. Sie wandelt sich zur Ideologie, die nach außen hin die Züge des Sichtbaren und des Lesbaren trägt und in Zukunft als Beweis gilt. Man kann deshalb von einer Kolonisierung des städtischen Raumes sprechen, auf der Straße bewirkt durch das Bild, die Werbung, das Schauspiel der Dinge: durch das »System der Dinge«, die zu Symbolen und Schauspiel wurden. Die Vereinheitlichung des Rahmens – sie ist in der Modernisierung alter Straßen sichtbar – führt dazu, daß nur die Dinge (Waren) Farben und Formen besitzen und somit verlockend wirken. Und wenn die Behörde Prozessionen, Maskeraden, Bälle und folkloristische Feste genehmigt, dann wirkt die Besitzergreifung und Wiederinbesitznahme der Straße durch den Menschen wie eine Karikatur. Eine echte Inbesitznahme – die »Demonstration« – wird von den Kräften der Unterdrückung bekämpft, die Schweigen und Vergessen gebieten.

      Gegen das Monument. Das Monument ist seinem Wesen nach repressiv. Es ist Sitz einer Institution (Kirche, Staat, Universität). Wenn es um sich her um einen Raum organisiert, dann, um ihn zu kolonisieren, zu unterdrücken. Alle großen Monumente wurden zum Ruhme von Eroberern, zu Ehren der Mächtigen errichtet. Seltener zu Ehren von Toten oder der toten Schönheit (das Tadsch Mahal ...). Sie waren Paläste und Grabmäler. Es war das Unglück der Architektur, daß sie Monumente erstellen wollte, und daß Behausungen entweder Monumenten nachgebildet oder aber vernachlässigt wurden. Versucht man aber, Behausungen zu Monumenten zu machen, dann ist das immer eine Katastrophe, die allerdings die Betroffenen nicht erkennen. Die Pracht des Monumentes ist ja eine formale. Und da ein Monument stets überaus symbolträchtig ist, bietet es diese Symbole dem sozialen Bewußtsein und der (passiven) Betrachtung an, und zwar zu einem Zeitpunkt, da sie nicht nur bereits überholt sind, sondern ihren Sinngehalt verloren haben. Man denke nur an die Revolutionssymbole auf Napoleons Arc de Triomphe.

      Für das Monument. Es ist die einzige Stätte eines Kollektivlebens (Gesellschaftslebens), die man sich vorstellen kann. Es beherrscht zwar, aber um zu versammeln. Schönheit und Monumentalität gehören zusammen. Die großen Monumente reichten über ihre Funktionen (Kathedralen) und sogar über die Kulturen (Grabmäler) hinaus. Daher rührt ihre ethische und ästhetische Macht. Monumente projizieren ein Weltbild auf den Boden, so wie die Stadt eine Gesellschaftsordnung (die Gesamtheit) auf die Erde projizierte und projiziert. Ins Herz eines Raumes, wo die Merkmale einer Gesellschaft zusammentreffen und zur Banalität werden, bringen Monumente eine Transzendenz, ein Anderswo. Immer schon waren sie u-topisch. In die Höhe oder in die Tiefe, in eine Dimension, die jenseits des städtischen Bereichs liegt, erhoben sie die Stimme der Pflicht oder der Macht oder des Wissens, der Freude, der Hoffnung ...

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