Der Bund der Rothaarigen. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Der Bund der Rothaarigen - Arthur Conan Doyle страница 5
»Fort ging es, und ich überlegte eben, ob ich ihnen nicht folgen sollte, als ich einen hübschen, kleinen Viersitzer das Gäßchen heraufkommen sah. Der Fahrer hatte kaum vor der Türe gehalten und war noch nicht damit fertig, die Knöpfe seines Rockes zu schließen, als sie schon eilig aus der Haustür schlüpfte und selbst den Schlag aufriß. ›Nach der Kirche St. Monica, John‹, rief sie, ›und einen halben Sovereign, wenn du in sieben Minuten dort bist‹.
»Ich sah sie nur ganz flüchtig, doch es genügte, um jede Torheit eines Mannes begreiflich zu finden. – Die Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen, Watson. Glücklicherweise fand ich ein Fahrzeug in der Nähe, das mich aller Zweifel enthob, auf welche Weise ich dasselbe Ziel erreichen konnte. Der Fahrer wußte nicht recht, was er aus seinem schäbigen Fahrgast machen sollte, aber, ehe er noch Zeit zu irgendwelchen Einwendungen fand, saß ich schon im Wagen. ›Ein halber Sovereign, wenn Sie die Kirche von St. Monica in sieben Minuten erreichen!‹ Es fehlen noch zehn und eine halbe Minute an zwölf Uhr, und es lag klar auf der Hand, was vor sich gehen sollte. Mein Wagen fuhr sehr rasch, aber sie waren doch früher zur Stelle. Als ich ankam, hielten die beiden Wagen schon vor der Kirchtür. Ich bezahlte meinen Fahrer und ging schnell hinein. Außer den beiden Gesuchten und einem sehr bestürzt aussehenden Geistlichen, der eifrig auf sie einsprach, war keine Seele weiter dort zu sehen. Alle drei standen in einer dichten Gruppe vor dem Altar. Ich schlenderte mit der Miene eines Müßiggängers, der zufällig in eine Kirche geraten ist, durch das Seitenschiff. Zu meiner großen Überraschung richteten plötzlich die drei ihre Aufmerksamkeit auf mich, und Godfroy Norton schritt rasch auf mich zu.
»Gott sei Dank«, rief er, »Sie können uns einen sehr großen Dienst erweisen. Kommen Sie schnell, schnell!«
»Was soll ich denn?« fragte ich.
»Kommen Sie nur, kommen Sie nur, es fehlen nur noch zwei Minuten, sonst ist die Sache ungültig.«
»Ich wurde halb zum Altar geschleppt, und bevor ich recht wußte, was geschah, hörte ich mich Antworten murmeln, die in mein Ohr geflüstert wurden, und Dinge bezeugen, von denen ich keine Ahnung hatte, kurzum ich assistierte bei der feierlichen Verbindung von Jungfrau Irene Adler mit dem Junggesellen Godfroy Norton. Im Augenblick war alles vorüber, und dann dankte mir ein Herr rechts und eine Dame links, während mir der Prediger von vorn seine Zufriedenheit ausdrückte. Ich sage dir, ich habe mich nie in einer alberneren Lage befunden, und es war die Erinnerung daran, die mich vorhin so zum Lachen brachte. Mit dem Trauschein hatte es sicher einen Haken, und der Geistliche weigerte sich außerdem ganz entschieden, die Zeremonie ohne Zeugen vorzunehmen. Wäre ich nicht zufällig dort gewesen, so hätte sich der Bräutigam seinen Trauzeugen von der Straße holen müssen. Die Braut schenkte mir einen Sovereign, den ich zum Andenken an meiner Uhrkette tragen werde.«
»Das ist ja eine sehr unerwartete Wendung«, sagte ich. »Was nun?«
»Ja, mein Vorhaben wurde jetzt ernstlich bedroht. Es hatte den Anschein, als wollte das Paar sofort abreisen, und da galt es meinerseits die schnellsten und energischsten Maßregeln zu treffen. Doch an der Kirchentür trennten sie sich, er fuhr nach dem ›Temple‹ und sie nach ihrer Wohnung. ›Um fünf Uhr fahre ich wie gewöhnlich in den Park‹, rief sie ihm zu. Mehr hörte ich nicht. Sie entfernten sich nach verschiedenen Richtungen, und ich machte mich auf den Weg, um mich meinen eigenen Angelegenheiten zu widmen.«
»Und die sind?«
»Etwas kaltes Roastbeef und ein Glas Bier dazu«, antwortete er, indem er klingelte. »Ich habe bis jetzt keine Zeit gehabt, an Essen und Trinken zu denken, und der Abend wird mir wahrscheinlich noch mehr Arbeit bringen. Ich möchte übrigens um deine Unterstützung bitten, Doktor.«
»Mit Vergnügen.«
»Du hast doch keine Angst, einen Verstoß gegen das Gesetz zu begehen?«
»Nicht im geringsten.«
»Ebensowenig fürchtest du dich, gegebenen Falls eingesteckt zu werden?«
»Für eine gute Sache nie.«
»Oh, die Sache ist vortrefflich.«
»Also bestimme über mich.«
»Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen könnte.«
»Was hast du denn vor?«
»Wenn Frau Turner alles hereingebracht hat, will ich dir's erzählen. Verzeih«, sagte er, sich hungrig dem einfachen Mahl zuwendend, das unsere Wirtin bereit gehalten hatte, »ich muß schon während des Essens meinen Vortrag halten, mir bleibt nur wenig Zeit übrig. In zwei Stunden müssen wir uns auf dem Schauplatz unserer Tätigkeit befinden, denn Fräulein, oder vielmehr Frau Irene kehrt um sieben von ihrem Ausflug zurück. Wenn wir sie treffen wollen, müssen wir deshalb nach Briony Lodge.«
»Und dann?«
»Alles weitere überlaß mir. Ich habe schon alle Vorkehrungen getroffen. Doch auf etwas muß ich bestehen, was auch immer kommen mag, du darfst dich in keiner Weise einmischen. Verstanden?«
»Ich soll also neutral bleiben?«
»Vollständig. Wahrscheinlich wird es zu einigen Mißhelligkeiten kommen; kümmere dich nicht darum. Wenn ich, was die Hauptsache ist, ins Haus geschafft werde, hört jeder Streit auf. Vier bis fünf Minuten später wird das Fenster des Wohnzimmers geöffnet werden. Du mußt dich in der Nähe dieses offenen Fensters halten.«
»Ja.«
»Du kannst mich von draußen erblicken und darfst mich nicht aus den Augen lassen.«
»Ja.«
»Sobald ich nun meine Hand erhebe, wirfst du den Gegenstand ins Zimmer, den ich dir geben werde, und schreist zur selben Zeit: Feuer! Merkst du dir auch alles?«
»Aufs genaueste.«
»Es ist nichts Gefährliches«, sagte er und zog eine lange, zigarrenförmige Rolle aus der Tasche. »Es ist nur eine gewöhnliche Rauchrakete, wie sie die Bleiarbeiter bei uns gebrauchen, an beiden Enden mit Zündhütchen versehen, welche die Selbstentzündung verursachen. Darauf beschränkt sich deine ganze Aufgabe. Dein Feuerruf wird rasch verbreitet werden. Du gehst dann ruhig die Straße hinunter, und in ungefähr zehn Minuten bin ich wahrscheinlich bei dir. Hoffentlich habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
»Ich muß neutral bleiben, mich dem Fenster nähern, dich beobachten, auf dein Zeichen dies hineinwerfen, dann Feuer schreien und dich an der Straßenecke erwarten?«
»Ganz richtig.«
»Du kannst dich völlig auf mich verlassen.«
»Vortrefflich. Doch nun ist's wohl Zeit, mich auf meine Rolle vorzubereiten.«
Er begab sich in sein Schlafzimmer und kehrte nach wenigen Minuten als ein liebenswürdiger, schlicht aussehender Methodisten-Prediger zurück. Sein breiter, schwarzer Hut, seine weiten Beinkleider, die weiße Perücke, das milde Lächeln und der eigentümliche, stets damit verbundene Ausdruck im Verein mit wohlwollender Neugier konnten kaum treffender dargestellt werden. Aber Holmes wechselte nicht nur seinen Anzug. Seine Züge, sein Benehmen, ja sein ganzes Wesen schien ebenfalls mit jeder neuen Rolle zu wechseln.
Zehn Minuten vor sieben waren wir in der Serpentine Avenue. Es war