Feuersetzen. Tom Wolf

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Feuersetzen - Tom Wolf Hansekrimi

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reichte als Erklärung nach: »Ihr Geburtsname ist Borngräber, ihr Vater Gerhard hat das Glockengießen beim großen Henrich Schellhorn gelernt.«

      Bartholdi merkte auf:

      »Ist sie eine Schwester des Buchdruckers? Der letztes Jahr mit 54 gestorben sein soll, in Köln?«

      Volpi zuckte die Achseln: »Sie ist auch schon über Fünfzig. Ich weiß nur, dass ihre Mutter Gundel Borngräber, geborene Schellhorn war und nach der Geburt ihres dritten Kindes dreißigjährig am Kindbettfieber starb. Monika kam mit ihrem Vater und einem ihrer beiden Brüder nach Rom. In der ewigen Stadt lernte sie Bartholomeo von Bacchiglione kennen. Da sie seither die Sehnsucht nach der Stadt, in der sie ihre Jugendjahre verbrachte, in ihrem Herzen trägt, soll ich zu ihrer Erbauung das alte Goslar in einem Poem wiedererstehen lassen.«

      Bartholdi lachte. »Eine schöne Aufgabe. Ich wünsche Euch die nötige Muße zu einem solch ehrbaren Unterfangen! Bei der Gelegenheit könnt Ihr all das, was inzwischen nicht mehr steht, wieder aufbauen – das Bergdorf, das Kloster Sankt Peter und das Georgenkloster, die Reepervorstadt und die Grabeskirche.«

      Bartholdis Lächeln wurde hämisch. Ein Poem über Goslar? Der Arme, da wollte er nicht mit ihm tauschen … Auch die Großen hatten es nicht leicht. Beruhigend und erhebend zu wissen.

      »Ich brauche also eine Bleibe für eine gewisse Frist …«, sagte Volpi. »Eine Unterkunft, in der ich einigermaßen ungestört meinen Gedanken nachhängen und dichten kann. Wenn’s geht mit Zugang zu einer Bibliothek wie der Euren.Wie könnte ich je ohne die Bücher sein, ohne die Lichter in meiner Einsamkeit? Gibt es einen belesenen gastfreien Mann am Ort, der bereit ist, mich ab und an mit einem Buch zu unterstützten? Und wenn’s nur etwas Livius wäre … Meiner Heimatstadt größter Sohn, vor mir … Ich vermisse seine Römische Geschichte über die Maßen, auch wenn ich das meiste auswendig kann …«

      Er lachte und war froh, dass Bartholdi einstimmte. Niemand lernte auch nur eines der 142 Bücher Ab urbe condita von Titus Livius auswendig … Bartholdi hatte eine Entscheidung getroffen. Und sie war ihm, wie es aussah, am Ende gar nicht schwer gefallen …

      »Ich schicke Euch zu meinem guten Freund und Worthgildebruder Daniel Jobst ins Unruh-Haus.«

      »Unruhe ist nicht gerade das, was ich suche …«, wandte Volpi ein.

      Bartholdi lächelte. »Das Haus ist bloß nach dem Erbauer so genannt, Jobsts Oheim: Unruh! Es steht zwar an der lautesten Mühle, der Daniel- oder Kehlmannmühle, an der Ecke von Abzucht und Unterer Mühlenstraße, aber es hat dicke Mauern. Jobsts Bibliothek ist weit besser ausgestattet, als meine hier … Er sitzt schon seit 25 Jahren im Rat. Wenn es eine erste Adresse für Euch gibt, Magister Volpi, dann ist es die! Ich werde später einmal kommen und nachsehen, ob meine Wahl für Euch die richtige war …«

      Von der Breite seines Grinsens her schien sich Bartholdi seiner Sache jetzt sehr sicher zu sein.

      »Doktor Volpi, wenn ich bitten darf!«

      Bartholdi nickte eilfertig und verlachte zuinnerst die Eitelkeit der Gelehrten. Von ihm aus auch Doktor …. Gelehrter hin, Gelehrter her – Gelehrter fort war jetzt am besten. Ein neuer Stoß Akten vom Reichskammergericht war gekommen … Dutzende von Mappen, vollgestopft mit beschriebenem Papier, ein heilloses Chaos, Kraut und Rüben … Aus reiner Schikane hatten herzogliche Schergen irgendwo auf dem weiten Weg von Speyer nach Goslar die Sendung durchwühlt. Er, Bartholdi, musste das viele Papier wieder ordnen, die Schriftstücke in Registern erfassen, Blatt für Blatt auffindbar ablegen. Wozu das alles? Das wusste keiner mehr. Der Rechtsstreit war seit Langem bloß ein Klumpfuß für die Verwaltung. Der Streit um den Rammelsberg hatte eine Abraumhalde an beschriebenem Papier hervorgebracht. In Bartholdis Träumen brannte es unentwegt. Das Ratsarchiv in hellen Flammen – das wäre seine Erlösung! Doch es müsste gewissermaßen ein selektiver Brand sein, einer, der nur die nervtötenden Akten dieses unseligen Bergprozesses erfassen, das übrige Archiv und die Bücher aber unangetastet lassen würde … Andererseits … oh nein! Er liebte seine Arbeit ja doch! Was sollte er ohne die Akten tun? Es war schon kurios, dachte er im Fortwackeln, welch unauflösliche Widersprüche das Leben bereithielt.

      »Euch schickt mir der Himmel!«, sagte der feine, dicke Mann zum werweißwievielten Male. Jobsts Freude darüber, dass der Archivar ihm Volpi zugeführt hatte, schien echt und aufrichtig. »Nein, Gerhard, dir allein freilich gebührt der Dank!«, sagte er zu Bartholdi, der sich ebenfalls eingestellt hatte und nun lächelnd den Dank entgegennahm. »Ich wünsche, dass Ihr so lange bleibt, wie Ihr nur immer wollt! Ihr glaubt gar nicht, wie ich das Gespräch mit einem Weitgereisten vermisst habe! Was Ihr mir über Padua erzählt habt, und über die ganze Republik Venedig … Welch ein Gewinn! Hier gibt es auch Weitgereiste, aber deren Reise-Erzählungen kenne ich schon. Und keiner kann sich mit Euch messen! Verzeih, Gerhard, außer dir freilich!«

      Jobst lag sehr daran, seinen Freund Bartholdi nicht zurückzusetzen. Der nahm es dankbar lächelnd zur Kenntnis. Volpi ließ sich das Lob gefallen und schwieg beredt.

      »Ich könnte wohl selbst losziehen, durchaus …«, sinnierte Jobst fort, »… doch ich werde träge. Mag zwar die Gefahr für das eigene Leben ein Gutteil des Reizes beim Reisen ausmachen, so käme in meinem Fall noch die Gefahr für das Zurückbleibende hinzu. Ich will meine Handlung, meine Häuser, meine Bücher und auch meine Gemälde nicht allein lassen. Der Herzog kann schon morgen wieder heranrücken und vor den Toren lungern. Dann wäre alles wieder so wie im Jahr der Bestie … Wir haben so viele Anzeichen wahrgenommen und sollten uns besser rüsten. Doch der Rat ist unschlüssig. Ich weiß nicht, was in den Köpfen meiner Herren Ratskollegen vorgeht. Was muss noch passieren? Derweil tanzen in der Stadt Armut und Hass durch die Gassen. So viele Tote wie im letzten Jahr hat es in unseren Mauern seit damals nicht mehr gegeben …«

      Jobst schloss die Augen. Er dachte an seine Frau Katharina und seinen früheren Gesellen und nachmaligen Kompagnon Gregor Geismar, die beide vor sieben Jahren an den Pocken gestorben waren. Gregors Ehefrau Grete führte ihm seither den Haushalt.

      »Da erschlägt einer seinen Brotherrn, weil der ihm seinen Lohn nicht geben kann. Da ersticht einer einen, den er für reicher hält, doch als er neiderfüllt die Truhen aufbricht, findet er nur ein paar Pfennige. Eine erhängt sich, nachdem sie ihre Kinder ums Leben gebracht hat – weil sie nicht mehr weiß, was werden soll. Ein anderer erschießt einen andern mit einer martialischen Feuerbüchse, und keiner weiß, warum. Die Welt gleicht vollends einem Narrenhaus … Gute Nacht, lieber Doktor! Ab morgen werdet Ihr mir von Euren Fahrten erzählen müssen.«

      Jobst hatte etwas sichtlich Übles abgeschüttelt und aus den untersten Laden seines reichen Vorratsschranks für Mienen ein mattes, aber ehrliches Lächeln hervorgezogen. »Solange Ihr hier seid, sollt Ihr mir erzählen … freilich nur, wenn Euch danach ist! Das wäre der einzige Pachtzins für Eure kleine Gelehrtenkammer, den ich von Euch fordere. Ich hoffe, Ihr findet das nicht unbillig? Außerdem habe ich etwas für Euch – bin gespannt, was Ihr sagen werdet!«

      Volpi konnte die Augen kaum noch offenhalten. Auch setzte ihm das Bier zu, das sie hier brauten. Er nahm entgegen, was Jobst ihm umständlich anvertraute. Es war ein Konvolut Pergamente mit blassen lateinischen Gedichtsspuren.

      Bartholdi sagte erklärend: »Ich fand es bei der Reparatur einer Bibel aus der Bibliotheka Augustana … Raubgut, das sich mit der Entfernung immer mehr legalisiert hat und seit ein paar Jahren in der Goslarer Ratsbibliothek steckt … Im Rücken waren die Streifen verborgen … Vielleicht hilft es Euch beim Einschlafen.«

      Volpi las den Titel: Pervergilium Veneris, übersetzte: Nachtfeier der Venus … und empfahl sich.

      »Oh Jahrhundert!

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