Feuersetzen. Tom Wolf

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Feuersetzen - Tom Wolf Hansekrimi

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Leichentuch …

      Das war der Moment gewesen, in dem ihn sein aufgepeitschtes Gemüt hatte aufwachen lassen. Ein Alp! So gegenwärtig, dass Volpi glaubte, den höllischen Anhauch des Ungetüms noch riechen zu können. Der Schlaf wollte ihn schon wieder einfangen, und er sehnte sich auch danach, denn er wollte dieser beängstigenden Vermutung keinen Raum bieten, als er eine Glocke schlagen hörte. Bim-bim-bim-… Monoton. Aufgeregt. Stundenschläge waren das nicht … Dann waren Stimmen zu hören: Rufe, Schreie. Die kamen von der Straße. Ein Aufruhr? Einbruch der Herzoglichen? Auch das Unruh-Haus machte seinem Namen jetzt alle erdenkliche Ehre.

      Eine Magd hämmerte gegen die Tür und rief: »Ihr müsst aufstehen, Herr! Ihr müsst Euch ankleiden und mit hinausgehen! Bei der Schwalbe wüten die Teufelszungen! Hört Ihr! Wacht auf! Kommt mit raus!«

      Endlich begriff er, was los war: In der Nachbarschaft brannte es!

      Keinen Steinwurf entfernt quoll dichter Rauch aus einem Hausdach. Flammen blakten wie hinter dunkelgrauen Schleiern. In den Gröpern hieß die Straße. Sie verlief parallel zur Straße an der Abzucht, in gerader Linie hoch zum Markt. Das Haus gehörte einer Witwe namens Stobeken, die allseits nur als die Schwalbe bekannt war – auch ihr Haus trug diesen Namen. Im Falle des Hauses hatten die Schnitzereien an den Knaggen zur Benennung inspiriert, da waren Schwalbenschwänze zu sehen. Im Falle der Witwe war es der Lebenswandel, denn sie stand im Ruf, seit ihr Gatte im letzten Aufbegehren der Schmalkalder bei Mühlberg auf dem Feld geblieben war, mit leichten Schwingen von einem zum anderen Liebhaber zu fliegen …

      Auf der Straße war reichlich Volk versammelt, als Volpi hinzukam, doch er sah wenig Anstrengung, dem Feuer zu wehren. Zwei Männer schleppten eine halbvolle Bütte mit Wasser heran. Die große Menge der Schaulustigen aber war paralysiert vom Anblick der ins Schwarz hinaufzüngelnden Dachbefeuerung. Hörte man Wehklagen? Wie hatte die Magd sie genannt? Feuerzungen! Nein – Satanszungen. Oder?

      »Zurück!«, ging plötzlich der Ruf.

      Krachend kamen kleinere Dachschwellen herunter und lagen schwarz und rauchend am Boden, dann folgten teils verkohlte, teils brennende Holzschindeln. Ihr Herabprasseln trieb die untätig Herumstehenden zurück.

      »Toren! Was steht ihr da und haltet Maulaffen feil!«, schrie Daniel Jobst, als er ein paar Augenblicke später erschien. »Schafft mehr Wasser her! Wir sollten die Wände der Schwalbe einreißen! Das Feuer darf nicht übergreifen! Schützt die Nachbarhäuser, indem ihr die Dächer und Mauern gegen die Flammen verteidigt! Mit Wasser, mit Sand, mit Feuerpatschen! Wo ist Vera Stobeken? Sie wird nichts dawider einwenden können – kann ihr Haus ohnehin nicht mehr retten! Wo bleiben die Stangen mit den Haken –, die Feuerkruken? Rasch, her damit! Die Steine müssen fallen … Die Balken … Ist das etwa alles, was ihr an Wasser vorrätig habt?«

      Mit einem Blick hatten er und Volpi sich verständigt. Der Gelehrte wusste um die Größe der Gefahr. Er war zweimal selbst vom Feuer heimgesucht und in Padua um all sein Hab und Gut gebracht worden. So ein Feuer konnte eine ganze Stadt in Schutt und Asche legen. Jobsts gewichtiges Wort brachte langsam Leben in die Gaffer. Aber Volpi ahnte bereits, dass es zu spät war … Er dachte an das, was ihm einmal einer sagte, der schon viele Feuer erlebt und zu löschen unternommen hatte: In der ersten Minute löschst du ein Feuer mit einem Krug voll Wasser. In der zweiten Minute mit einem Eimer Wasser. In der dritten Minute mit einem Anker Wasser. Und danach? Versuchst du einfach, dein Bestes zu geben …

      »Wo sind die Bütten aus den anderen Häusern? Holt eure Eimer und stellt euch in einer Reihe auf, Leute: Wir müssen eine Kette bis zur Abzucht bilden! Wo ist der nächste Pipen-Brunnen? Beim Heldt im Hof? Also eine zweite Kette dorthin!«

      Man rannte, holte Gerät, rief sich kleine Befehle zu. Jetzt endlich zögerte keiner mehr. Inzwischen waren auch die Anwohner aus weiter entfernten Straßen hinzugekommen und gliederten sich in die Ketten ein, die Wasser heranbrachten, nachdem die Tropfen aus den Vorratsbütten nutzlos auf dem brennenden Dach verpufft waren. Volpi erkannte Bartholdi und nickte ihm zu. Dann lenkte ihn der Anblick eines hageren, uralten Mannes in einem roten Kapuzenmantel ab. Viele bekreuzigten sich, und es wurde gemurmelt: »Der Feuerreiter!«

      Der Rote saß auf einem Schimmel und ritt gravitätisch die Straße vorm brennenden Haus hinunter.

      »Lasst das Wehklagen! Um Gottes Willen – sonst ist es vergebens! Lasst um Herrgotts Willen das Klagen!«, forderte er und deklamierte mit Falsettstimme im Fortreiten, nach Priesterart ständig das Kreuz schlagend:

      »Sei willkommen, du feuriger Gast,

       Greif nicht weiter, als was du hast!

       Das zähl ich dir, Feuer, zur Buß!

       Im Namen Gottes, des Vaters,

       Des Sohnes und des Heiligen Geistes!

       Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit!

       Im Namen der allerheiligen Dreieinigkeit!«

      Der Schimmel fiel in Trab, der Rote ritt die Straße In den Gröpern hinauf, um bei erster Gelegenheit links einzubiegen, wo es zu den Töpferöfen ging.

      »Was soll das? Und wer ist das?«, fragte Volpi.

      »Groenewold, der Türmer!«, sagte Bartholdi. »Hockt auf dem Südturm der Stephani-Basilika und spielt gern den Feuerreiter, denn er sieht es ja auch meistens als Erster. Es ist ein alter Brauch – das Feuer besprechen und es dabei umreiten. Dreimal insgesamt …«

      Jobsts Stimme donnerte wieder, während er das Anlegen der Leitern beaufsichtigte. Eine fragile Konstruktion wurde herangefahren.

      »Die hat Damian Baader, unser verrückter Wundarzt gebaut!«, sagte Bartholdi. »Angeblich nach einer Zeichnung des großen Leonardo, die er irgendwo gesehen hat … «

      »Sieht mir ganz und gar nicht wie das Produkt eines Verrückten aus …«, staunte Volpi, der gerade noch sah, wie durch das Drehen an einer Kurbel ein Holm mit Tritt-Sprossen ausgefahren wurde, auf dem man lotrecht in die Höhe klettern konnte.

      Keiner hatte die Hausbesitzerin gesehen. Jobst, dieser kernige, untersetzte Mann mit der gesunden Gesichtsfarbe und den schon fast weißen Haaren, wurde aschfahl und fragte:

      »Ist sie etwa noch da drin?«

      Volpi umging die Barriere der qualmenden Trümmer und rüttelte an der Tür – sie war von innen verriegelt. Unschlüssig blickte er zu der kleinen Fensteröffnung linkerhand. Absurder Gedanke, da hindurchkriechen zu wollen, selbst für den kleinen Mann neben ihm war das zu eng. Da hätte einer schon wirklich eine Schlange sein müssen … Volpi hämmerte gegen das Holz. Nachdruck war in seinen Schlägen, doch die Tür rührte sich nicht.

      »Wenn der breite Holzriegel vorliegt, könnt Ihr Euch lange mühen!«, rief Bartholdi und besah sich die grüne Tür.

      »Da müssen wir schon stärkere Geschütze auffahren … Vorsicht!«

      Die Menschen hinter ihnen wichen schreiend zurück, während Volpi Bartholdi ruckhaft mit nach vorne riss, sodass er selbst an seiner rechten Schulter schmerzhaft spürte, wie fest die Tür in ihren Angeln saß. Eine donnernd auf die Erde schlagende Saumschwelle verfehlte sie nur um Haaresbreite.

      »Die kommt uns gerade recht! Fasst mit an, aber Vorsicht mit der Glut!«, schrie Bartholdi. »Das ist genau der Rammbock, den wir brauchen! Verzeiht, aber allein … schaffe ich es nicht …«

      Endlich überwanden sie die Furcht – die nächsten Nachbarn

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