Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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quä­len­den Ein­druck hin­ter­lässt, so liegt das wohl dar­an, dass die bit­te­re Wahr­heit stets in die him­melblaue Schön­heit feins­ter Styl­kunst ge­taucht ist, und dass Mau­passant ne­ben den Dis­so­nan­zen des Men­schen­le­bens auch die wun­der­vol­len Ak­kor­de der Na­tur er­klin­gen lässt, die er wie kein zwei­ter zu schil­dern weiß. Im­pres­sio­nis­ti­sche Na­tur­bil­der, wie sie in der No­vel­le »Ein kor­si­ka­ni­scher Ban­dit« ent­rollt wer­den, oder die Schil­de­rung des re­gungs­lo­sen Tei­ches in der Herbst­nacht, oder der Zau­ber ei­nes Mond­auf­gan­ges am feuch­ten Früh­lings­abend ge­hö­ren zu den Per­len Mau­passant’­scher Kunst und ste­hen den be­rühm­ten Schil­de­run­gen der Afri­ka­ni­schen Rei­se nicht nach.

      Na­tür­lich ste­hen auch in die­ser Samm­lung die Wei­ber im Brenn­punkt des In­ter­es­ses. Wir se­hen sie alle, von der Aben­teue­rin, de­ren Toch­ter aus Gram über den leicht­fer­ti­gen Wan­del der Mut­ter in den Tod geht, und der klei­nen Pa­ri­ser Be­am­ten­frau, die einen Mi­nis­ter des zwei­ten Kai­ser­rei­ches nas­führt, von der jun­gen Frau, die der un­ge­lieb­te Gat­te aus blin­der sinn­lo­ser Ei­fer­sucht fast um­bringt und sie ge­ra­de da­durch zu Miss­trau­en und Un­treue er­zieht – bis zu der lie­be­be­dürf­ti­gen schö­nen See­le, die an einen lang­wei­li­gen kor­rek­ten Pe­dan­ten ge­ket­tet ist und in ei­ner zau­be­ri­schen Mond­nacht am Gen­fer See ihr Herz ver­liert, bis zu der al­tern­den Frau, die in dem weh­mü­ti­gen Ge­dan­ken: »Wie kurz ist doch ein Men­schen­le­ben!« an die fröh­li­chen und sorg­lo­sen Tage ih­rer glück­li­chen Ju­gend zu­rück­denkt und un­ter al­tem Ge­rüm­pel von den Bil­dern der Ver­gan­gen­heit weh­mü­tig be­fal­len wird, und bis zu der rüh­ren­den Ge­stalt der al­ten Jung­fer, die in der Früh­lings­nacht weint, als sie, das arme, nie ge­lieb­te Mäd­chen, das lie­ben­de, schä­kern­de Braut­paar be­wa­chen soll…

      Ich möch­te an die­ser Stel­le eine tech­ni­sche Schluss­be­mer­kung nicht un­ter­drücken. Es ver­steht sich von selbst, dass die­ses Buch nicht nach be­lieb­ter Ma­nier »frei nach Mau­passant« er­fun­den ist, son­dern sich eng an das Ori­gi­nal an­schließt. Wenn ich trotz­dem an ge­wis­sen Stel­len nicht bis zur Gren­ze des Er­laub­ten ge­gan­gen bin, so glau­be ich mich trotz­dem nicht am Ur­text ver­sün­digt zu ha­ben, der mir hei­lig ist. Die fran­zö­si­sche Spra­che hat – ganz ab­ge­se­hen da­von, dass es fran­zö­si­sche Art ist, al­les viel frei­er, nai­ver und un­ge­schmink­ter her­aus­zu­sa­gen, als es bei uns an­stän­dig wäre – eine Fül­le von Wor­ten, die al­les mög­li­che be­deu­ten kön­nen, wäh­rend die Äqui­va­len­te bei uns – sehr ein­deu­tig sind. Man lese z. B. einen Ro­man von Zola auf Fran­zö­sisch, und man wird ver­hält­nis­mä­ßig we­nig di­rekt An­stö­ßi­ges dar­in fin­den; man lese ihn in »rea­lis­ti­scher« Über­set­zung, und man wird vor­zie­hen, ihn nicht zu Ende zu le­sen. Es heißt dar­um nicht, einen Au­tor fäl­schen, wenn man ihn in ei­ner sol­chen Ab­tö­nung wie­der­gibt, dass die Wir­kung, die er her­vor­ruft, in bei­den Spra­chen die­sel­be bleibt.

      Ber­lin, im Juli 1899.

       Fried­rich von Op­peln-Bro­ni­kow­ski.

      Seit ei­nem Mo­nat flammt die Son­ne mit Macht über der Land­schaft. Leuch­tend ent­fal­tet sich das Le­ben un­ter die­sem Feu­er­re­gen. Blau spannt sich der Him­mel bis an die Rän­der der Welt. Die nor­man­ni­schen Höfe, die über die Ebe­ne ver­streut sind, se­hen von fer­ne wie klei­ne Wal­dun­gen aus, die ein ho­her Bu­chen­gür­tel um­schlingt. Kommt man nä­her und öff­net das ver­wit­ter­te Hof­tor, so glaubt man in einen Rie­sen­gar­ten zu tre­ten, denn all die al­ten Ap­fel­bäu­me, die so knor­rig wie die Bau­ern des Lan­des sind, ste­hen in Blü­te. Ihre al­ten schwar­zen, ge­krümm­ten und ge­wun­de­nen Stäm­me ste­hen rei­hen­wei­se im Hofe und ent­fal­ten ihre wei­ßen und rosa Blü­ten­wip­fel un­ter dem blau­en­den Him­mel. Der süße Blü­ten­duft mischt sich in die fet­ten Gerü­che der of­fe­nen Stäl­le und die Aus­düns­tun­gen des gä­ren­den Dün­ger­hau­fens, auf dem es von Hüh­nern wim­melt.

      Es ist Mit­tag, die Fa­mi­lie sitzt im Schat­ten des Birn­baums vor der Tür, Va­ter, Mut­ter, vier Kin­der, zwei Mäg­de und drei Knech­te. Ge­spro­chen wird nicht, nur ge­ges­sen. Erst die Sup­pe, dann wird die Fleisch­schüs­sel auf­ge­deckt, auf der Kar­tof­feln mit Speck lie­gen. Von Zeit zu Zeit steht eine Magd auf und geht in den Kel­ler, um den Äp­fel­wein­krug zu fül­len.

      Der Mann, ein statt­li­cher Vier­zi­ger, dreht sich nach dem Hau­se um und blickt auf ein Wein­spa­lier, das noch ziem­lich kahl ist und sich wie eine Schlan­ge un­ter den Lä­den weg um die Mau­er win­det. End­lich tut er den Mund auf. »Va­ter sein Wein« sag­te er, »schlägt dies Jahr früh aus. Vi­el­leicht wird er was tra­gen.«

      Die Frau dreht sich gleich­falls um und blickt hin, ohne ein Wort zu sa­gen.

      Die­ser Wein ist ge­ra­de an der Stel­le ge­pflanzt, wo der Va­ter er­schos­sen wur­de.

      *

      Es war im Krie­ge 1870. Die Preu­ßen hat­ten das gan­ze Land be­setzt. Ge­ne­ral Faid­her­be stand ih­nen mit der Nor­dar­mee ge­gen­über.

      Das preu­ßi­sche Stab­s­quar­tier be­fand sich just in die­sem Hofe. Va­ter Mi­lon, der Be­sit­zer, mit Vor­na­men Pier­re, hat­te den Feind gut auf­ge­nom­men und nach bes­ten Kräf­ten un­ter­ge­bracht.

      Die preu­ßi­sche Avant­gar­de lag seit ei­nem Mo­nat hier in Beo­b­ach­tungs-Stel­lung. Die Fran­zo­sen stan­den zehn Mei­len ent­fernt, ohne sich zu rüh­ren, und doch ver­schwan­den all­nächt­lich Ula­nen.

      Alle ein­zel­nen Rei­ter, die auf Pa­trouil­le ge­schickt wur­den, auch wenn sie zu zweit oder zu dritt rit­ten, ka­men nie wie­der.

      Man fand sie am nächs­ten Mor­gen im Fel­de, am Ran­de ei­nes Ge­höfts oder Gra­bens tot. Selbst ihre Pfer­de la­gen an den Stra­ßen hin­ge­streckt; ein Sä­bel­hieb hat­te ih­nen die Keh­le zer­schnit­ten.

      Die­se Mord­ta­ten schie­nen im­mer von den­sel­ben Leu­ten ver­übt zu wer­den, die man nicht ent­de­cken konn­te.

      Das Land wur­de ein­ge­schüch­tert, Bau­ern auf ein­fa­che De­nun­zia­ti­on hin er­schos­sen, Wei­ber ge­fan­gen ge­setzt. Aus den Kin­dern such­te man durch Dro­hun­gen et­was her­aus zu pres­sen. Es kam aber nichts her­aus.

      Doch da lag ei­nes Mor­gens Va­ter Mi­lon im Stall auf der Streu und hat­te einen klaf­fen­den Hieb im Ge­sicht.

      Zwei Ula­nen mit auf­ge­schlitz­tem Lei­be la­gen etwa drei Ki­lo­me­ter vom Hofe ent­fernt. Der eine hielt sei­ne blu­ti­ge Waf­fe noch in der Faust; er hat­te sich ge­wehrt und ge­kämpft.

      So­fort wur­de ein Kriegs­ge­richt auf dem Hofe un­ter frei­em Him­mel ab­ge­hal­ten und der Alte vor­ge­führt.

      Er war achtund­sech­zig Jah­re alt, von klei­ner Sta­tur, ma­ger, et­was ge­beugt, und hat­te große Hän­de wie Krebs­sche­ren.

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