Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Gegen Mittag ging er dann mit dem ruhigsten Gesicht von der Welt wieder hin und brachte seinem Reittier Hafer und Wasser in den unterirdischen Gang, wo es angebunden war, und fütterte es gut, denn es musste ihm viel leisten.
An einem der Abende jedoch setzte sich einer der Angegriffenen rechtzeitig zur Wehr und schlug dem alten Bauern mit dem Säbel ins Gesicht.
Er hatte indessen beide getötet und war noch bis zu seinem Kalkofen gekommen, hatte dort sein Pferd untergestellt und seine unscheinbare Kleidung wieder angelegt. Dann hatte er sich nach Hause geschleppt, war aber unterwegs von einer Schwäche befallen worden, und hatte nur noch den Stall, nicht mehr das Haus erreicht.
Dort hatte man ihn blutüberströmt auf der Streu gefunden.
*
Als er seine Erzählung beendet hatte, erhob er plötzlich den Kopf und blickte die preußischen Offiziere stolz an.
Der Oberst zog an seinem Schnurbart und fragte:
– Weiter habt Ihr nichts zu sagen?
– Nein, weiter ist’s nichts. Die Rechnung stimmt. Ich habe sechzehn getötet, keinen mehr, keinen weniger.
– Ihr wisst, dass Euch der Tod bevorsteht?
– Ich habe Sie nicht um Gnade gebeten.
– Seid Ihr Soldat gewesen?
– Zu meiner Zeit, ja. Außerdem habt Ihr meinen Vater getötet, er war Soldat unter dem ersten Kaiser. Und meinen jüngsten Sohn François, den habt Ihr vergangenen Monat bei Evreux getötet. Was ich Euch schuldig war, ist nun bezahlt. Wir sind jetzt quitt.
Die Offiziere blickten sich an.
– Acht für meinen Vater, fuhr der Alte fort. Acht für meinen Sohn. Nun sind wir quitt. Ich habe den Streit mit Euch nicht gesucht. Ich kenne Euch nicht. Ich weiß nicht einmal, wo Ihr her seid. Ihr seid zu mir gekommen und schaltet in meinem Hause, als ob es bei Euch wäre. Ich habe mich für alles gerächt. Ich bereue nichts.
Der Alte richtete seinen steifen Körper auf und kreuzte die Arme, wie ein schlichter Held.
Die Preußen sprachen lange mit gedämpfter Stimme. Ein Hauptmann, dessen Sohn im letzten Monat gleichfalls gefallen war, verteidigte diesen armen Teufel.
Da stand der Oberst auf, trat auf Vater Milon zu und sprach mit milderer Stimme:
– Hört mich an, Alter, vielleicht gibt es noch ein Mittel, Euch das Leben zu retten, wenn Ihr…
Aber der hörte nicht. Er starrte dem Offizier des siegreichen Heeres fest in die Augen, während der Wind in seinem dünnen Haarflaum spielte, und schnitt eine schauderhafte Grimasse, dass sein zerhauenes Gesicht sich furchtbar verzerrte. Dann blies er die Brust auf und spie dem Preußen mit aller Gewalt ins Angesicht.
Der Oberst erhob wütend die Hand, aber da spie er schon wieder…
Die Offiziere waren sämtlich aufgesprungen und brüllten Kommandos durcheinander.
Ehe noch eine Minute verging, war der wackere Kerl, der noch immer ungerührt schien, an die Mauer gestellt und erschossen. Seinem ältesten Sohne, seiner Schwiegertochter und den beiden Kleinen, die verzweifelt zusahen, hatte er noch zugelächelt.
*
Am Frühlingsabend
Jeanne sollte ihren Vetter Jacques bald heiraten. Sie kannten sich schon von Kindheit an, und darum hatte die Liebe zwischen ihnen nicht jenes zeremonielle Gepräge angenommen, wie es sonst bei Brautleuten beobachtet wird. Sie waren zusammen groß geworden, ohne zu ahnen, dass sie sich liebten. Das junge Mädchen, das etwas gefallsüchtig war, hatte zwar ein paar unschuldige Tändeleien versucht; sie fand den jungen Mann überdies recht nett und hielt ihn für brav, und jedes Mal, wenn sie sich wiedersahen, küsste sie ihn recht von Herzen. Aber sie küssten sich doch ohne jeden Schauder, der den Körper von den Fingern bis zu den Zehen durchrieselt…
Er dachte ganz einfach: sie ist ein nettes Ding, meine kleine Cousine; und wenn er an sie dachte, so geschah dies mit jener instinktiven Zärtlichkeit, die jeder Mann einem hübschen jungen Mädchen gegenüber empfindet. Weiter gingen seine Gedanken jedoch nicht.
Doch da hatte Jeanne eines Tages durch Zufall gehört, wie ihre Mutter zu ihrer Tante sagte – Tante Alberta, denn Tante Lison war ledig geblieben –: »Ich kann dir versichern, sie werden sich sofort lieben, diese Kinder; das sieht man ja. Und Jacques ist ganz der Schwiegersohn nach meinem Herzen.«
Von diesem Tage an hatte Jeanne ihren Vetter Jacques angebetet. Seither errötete sie bei seinem Anblick und ließ ihre Hand in der des jungen Mannes zittern, Ihre Augen senkten sich schamhaft, wenn ihre Blicke sich begegneten, und wenn er sie küsste, tat sie, als ob sie sich sträubte, – und dies alles so gut, dass er’s merkte… Er hatte verstanden, und in einem holden Augenblicke, wo ihn die geschmeichelte Eitelkeit nicht weniger hinriss, als die wahre Neigung, hatte er seine Cousine fest in die Arme geschlossen und ihr ein »Ich liebe dich! Ich liebe dich!« ins Ohr gehaucht.
Seither herrschte ein zärtliches Girren und artiges Tändeln in allen Tonarten der Liebe; die vertraute Bekanntschaft von Kindheit an machte ihr Benehmen doppelt zwanglos und ungebunden. Im Wohnzimmer küsste Jacques seine Zukünftige ungeniert vor den drei alten Damen, seiner Mutter und ihren beiden Schwestern, Tante Alberta und Tante Lison. Tagelang ging er mit ihr allein in den Wald, am Flüsschen entlang oder durch die Wiesen, deren Grasteppich schon von den ersten Frühlingsblumen durchwirkt war. So erwarteten sie den festgesetzten Tag ihrer endlichen Vereinigung ohne allzu große Ungeduld; vielmehr schwammen sie in eitel Seligkeit und genossen den prickelnden Reiz der verhaltenen Liebkosungen, der warmen Händedrücke und langen, glühenden Blicke, in denen ihre Seelen zu verschmelzen schienen… Das unbestimmte Verlangen nach innigeren Umarmungen quälte sie mit