Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Aber das war ihr höchst langweilig, und am nächsten Abend setzte sie einem ihrer Gäste dermaßen zu, dass er ihre Bitte nicht ausschlagen mochte.
Indessen war das Symbol zu gut bekannt und man blickte sich mit ängstlichen, ratlosen Gesichtern von unten her an. Den Kuchen zu schneiden, war ja nicht gefährlich, aber die Vorrechte, unter denen diese Gunst bisher vergeben worden, beängstigten jetzt, sodass die Akademiker, sobald die Platte nur erschien, sich in wirrem Knäuel in das Landwirtschaftliche Gemach flüchteten, wie um sich hinter dem beständig lächelnden Gatten zu verstecken. Und wenn Madame Anserre sich bestürzt auf der Schwelle zeigte, den Kuchen in der einen Hand haltend, das Messer in der anderen, so schien sich alles um ihren Gatten zu scharen, wie um ihn um Schutz zu bitten.
So vergingen Jahre. Niemand wollte mehr den Kuchen schneiden, aber immer noch suchte sie, die man galanter Weise immer noch die »schöne Frau Anserre« nannte, aus alter Gewohnheit mit flehenden Blicken einen Ergebenen, der das Messer ergriffe – und jedes Mal entstand dieselbe Bewegung im Umkreise: sobald die verhängnisvolle Frage auf ihre Lippen trat, begann eine allgemeine geschickte Flucht voller Listen und Manöver.
Eines Abends nun wurde ein blutjunger Mensch, ein »reiner Tor«, bei Frau Anserre eingeführt, dem das Geheimnis des Kuchens noch unbekannt war. Als nun der Kuchen erschien und Madame Anserre Platte und Backwerk aus den Händen des Dieners nahm, blieb er ruhig in ihrer Nähe. Vielleicht glaubte sie, er wüsste bescheid und kam lächelnd und mit bewegter Stimme auf ihn zu.
– Wollen Sie die Liebenswürdigkeit haben, lieber Herr, und diesen Kuchen aufschneiden?
– Aber gewiss, gnädige Frau, mit dem größten Vergnügen! erwiderte dieser, entzückt über die Ehre, die ihm zuteil ward, zog die Handschuhe aus und begann eifrig zu schneiden.
Fern in den Ecken der Gallerie erschienen im Rahmen der Tür, die nach dem Landwirtschaftlichen Zimmer ging, ein paar verblüffte Gesichter. Dann, als man sah, dass der Neuling unverzagt drauf losschnitt, kam alles schnell näher.
Ein alter, spaßhafter Dichter schlug dem Neubekehrten lustig auf die Schulter.
– Bravo, junger Mann! sagte er ihm ins Ohr.
Alles blickte ihn neugierig an; selbst der Gatte schien überrascht. Und er selbst wunderte sich über die besondere Beachtung, die ihm plötzlich von allen Seiten zuteil wurde; vor allem konnte er sich nicht erklären, warum ihn die Herrin des Hauses durch ausgesprochene Zuvorkommenheit, augenscheinliche Gunstbezeugungen und eine Art stummer Dankbarkeit auszeichnete. Schließlich aber hat er es doch begriffen.
Wann und wo ihm diese Offenbarung kam, ist unbekannt; aber als er am nächsten Abend wieder erschien, machte er einen etwas betretenen, fast verschämten Eindruck und blickte unruhig um sich. Als die Teestunde schlug und der Diener erschien, ergriff Madame Anserre mit holdem Lächeln die Platte und suchte ihren jungen Freund mit den Augen. Er war aber so schnell entflohen, dass er nicht mehr zu sehen war. Da stand sie auf und ging ihm entgegen. Sie fand ihn bald in der äußersten Ecke des Landwirtschaftlichen Zimmers. Er hatte seinen Arm in den ihres Gatten gelegt und drang ängstlich in ihn, welche Mittel zur Vertilgung der Reblaus die besten wären.
– Mein lieber Herr, kam Madame Anserre an, würden Sie so liebenswürdig sein, diesen Kuchen zu schneiden?
Er wurde rot bis an die Ohren, stotterte ein paar Worte und verlor den Kopf. Herr Anserre erbarmte sich seiner und wandte sich zu seiner Frau.
– Meine Teuerste, sagte er, es wäre sehr schön, wenn du uns nicht stören wolltest: wir sprechen über Landwirtschaft. Lass den Kuchen doch von Baptist schneiden.
Seit dem Tage schnitt kein Mensch mehr den Kuchen im Hause Anserre.
*
Der Schäfersprung
Die Küste von Dieppe bis Le Havre bildet ein ununterbrochenes Steilufer von etwa hundert Meter Höhe, das senkrecht wie eine Mauer zum Meere abfällt. Von Zeit zu Zeit wird diese starre Felslinie plötzlich unterbrochen, und ein kleines, enges Tal mit steilen Hängen, die mit kurzem Gras und Meerbinsen bedeckt sind, kommt von der bebauten Hochfläche herab und mündet schluchtartig, wie das Bett eines Gießbachs, in das Ufergeröll. Diese Täler sind von der Natur selbst geschaffen. Ihre Ränder sind von den Gebirgsbächen gehöhlt, welche die Reste des stehenden Hochufers fortgespült und den Wassern ein Bett bis zum Meere gegraben haben, das den Menschen jetzt als Weg dient. Bisweilen klemmt sich ein Dorf in den engen Talkessel, in dem der volle Seewind sich fängt.
Ich habe einen ganzen Sommer in einem dieser Küsteneinschnitte verbracht; ich wohnte bei einem Bauern, dessen Haus der See zugekehrt lag, sodass ich von meinem Fenster aus zwischen den grünen Talhängen ein großes Dreieck dunkelblauen Wassers erblickte, das oft von weißen Segeln wimmelte, die von der Sonne getroffen in der Ferne vorüberzogen.
Der Weg zum Meere lief auf der Sohle der Schlucht und versank dann plötzlich zwischen zwei senkrechten Mergelwänden wie ein tiefeingeschnittenes Geleise, um alsdann auf einen schönen Kiesplatz zu münden, dessen Steine durch das Jahrhunderte lange Spiel der Wogen kugelrund abgeschliffen und poliert waren. Diese tiefe Hohle