Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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währ­te es lan­ge, sehr lan­ge. Aber die Ko­me­ten leuch­ten nicht im­mer mit dem­sel­ben Glan­ze. Al­les auf Er­den hat sein Ziel. Auch hier konn­te man be­ob­ach­ten, wie der Ei­fer der Ku­chen­schnei­der all­mäh­lich nachließ, wie sie bis­wei­len zu zö­gern schie­nen, wenn ih­nen der Ku­chen­tel­ler ge­reicht ward, wie das einst so be­nei­de­te Amt im­mer we­ni­ger ge­sucht, im­mer we­ni­ger lan­ge be­haup­tet wur­de und der Stolz, es an­zu­neh­men, im­mer mehr nachließ. Um­sonst ver­schwen­de­te Ma­da­me An­ser­re Lä­cheln und Lie­bens­wür­dig­keit; bald woll­te kei­ner mehr aus frei­en Stücken schnei­den. Wer neu hin­zu­kam, schi­en sich di­rekt zu wei­gern, und die al­ten Fa­vo­ri­ten er­schie­nen ei­ner nach dem an­de­ren wie­der im Amte, wie ent­thron­te Fürs­ten, die man für Au­gen­bli­cke wie­der auf den Thron er­hebt. Dann wur­den die Er­wähl­ten sel­ten, ganz sel­ten. Ei­nen Mo­nat lang schnitt Herr An­ser­re – o Wun­der! – selbst den Ku­chen, bis er es schließ­lich über­drüs­sig wur­de und man ei­nes schö­nen Abends Ma­da­me An­ser­re – »die schö­ne Ma­da­me An­ser­re!« – höchst ei­gen­hän­dig ih­ren Ku­chen schnei­den sah!

      Aber das war ihr höchst lang­wei­lig, und am nächs­ten Abend setz­te sie ei­nem ih­rer Gäs­te der­ma­ßen zu, dass er ihre Bit­te nicht aus­schla­gen moch­te.

      In­des­sen war das Sym­bol zu gut be­kannt und man blick­te sich mit ängst­li­chen, rat­lo­sen Ge­sich­tern von un­ten her an. Den Ku­chen zu schnei­den, war ja nicht ge­fähr­lich, aber die Vor­rech­te, un­ter de­nen die­se Gunst bis­her ver­ge­ben wor­den, be­ängs­tig­ten jetzt, so­dass die Aka­de­mi­ker, so­bald die Plat­te nur er­schi­en, sich in wir­rem Knäu­el in das Land­wirt­schaft­li­che Ge­mach flüch­te­ten, wie um sich hin­ter dem be­stän­dig lä­cheln­den Gat­ten zu ver­ste­cken. Und wenn Ma­da­me An­ser­re sich be­stürzt auf der Schwel­le zeig­te, den Ku­chen in der einen Hand hal­tend, das Mes­ser in der an­de­ren, so schi­en sich al­les um ih­ren Gat­ten zu scha­ren, wie um ihn um Schutz zu bit­ten.

      So ver­gin­gen Jah­re. Nie­mand woll­te mehr den Ku­chen schnei­den, aber im­mer noch such­te sie, die man ga­lan­ter Wei­se im­mer noch die »schö­ne Frau An­ser­re« nann­te, aus al­ter Ge­wohn­heit mit fle­hen­den Bli­cken einen Er­ge­be­nen, der das Mes­ser er­grif­fe – und je­des Mal ent­stand die­sel­be Be­we­gung im Um­krei­se: so­bald die ver­häng­nis­vol­le Fra­ge auf ihre Lip­pen trat, be­gann eine all­ge­mei­ne ge­schick­te Flucht vol­ler Lis­ten und Ma­nö­ver.

      Ei­nes Abends nun wur­de ein blut­jun­ger Mensch, ein »rei­ner Tor«, bei Frau An­ser­re ein­ge­führt, dem das Ge­heim­nis des Ku­chens noch un­be­kannt war. Als nun der Ku­chen er­schi­en und Ma­da­me An­ser­re Plat­te und Back­werk aus den Hän­den des Die­ners nahm, blieb er ru­hig in ih­rer Nähe. Vi­el­leicht glaub­te sie, er wüss­te be­scheid und kam lä­chelnd und mit be­weg­ter Stim­me auf ihn zu.

      – Wol­len Sie die Lie­bens­wür­dig­keit ha­ben, lie­ber Herr, und die­sen Ku­chen auf­schnei­den?

      – Aber ge­wiss, gnä­di­ge Frau, mit dem größ­ten Ver­gnü­gen! er­wi­der­te die­ser, ent­zückt über die Ehre, die ihm zu­teil ward, zog die Hand­schu­he aus und be­gann eif­rig zu schnei­den.

      Fern in den Ecken der Gal­le­rie er­schie­nen im Rah­men der Tür, die nach dem Land­wirt­schaft­li­chen Zim­mer ging, ein paar ver­blüff­te Ge­sich­ter. Dann, als man sah, dass der Neu­ling un­ver­zagt drauf los­schnitt, kam al­les schnell nä­her.

      Ein al­ter, spaß­haf­ter Dich­ter schlug dem Neu­be­kehr­ten lus­tig auf die Schul­ter.

      – Bra­vo, jun­ger Mann! sag­te er ihm ins Ohr.

      Al­les blick­te ihn neu­gie­rig an; selbst der Gat­te schi­en über­rascht. Und er selbst wun­der­te sich über die be­son­de­re Be­ach­tung, die ihm plötz­lich von al­len Sei­ten zu­teil wur­de; vor al­lem konn­te er sich nicht er­klä­ren, warum ihn die Her­rin des Hau­ses durch aus­ge­spro­che­ne Zu­vor­kom­men­heit, au­gen­schein­li­che Gunst­be­zeu­gun­gen und eine Art stum­mer Dank­bar­keit aus­zeich­ne­te. Schließ­lich aber hat er es doch be­grif­fen.

      Wann und wo ihm die­se Of­fen­ba­rung kam, ist un­be­kannt; aber als er am nächs­ten Abend wie­der er­schi­en, mach­te er einen et­was be­tre­te­nen, fast ver­schäm­ten Ein­druck und blick­te un­ru­hig um sich. Als die Tee­stun­de schlug und der Die­ner er­schi­en, er­griff Ma­da­me An­ser­re mit hol­dem Lä­cheln die Plat­te und such­te ih­ren jun­gen Freund mit den Au­gen. Er war aber so schnell ent­flo­hen, dass er nicht mehr zu se­hen war. Da stand sie auf und ging ihm ent­ge­gen. Sie fand ihn bald in der äu­ßers­ten Ecke des Land­wirt­schaft­li­chen Zim­mers. Er hat­te sei­nen Arm in den ih­res Gat­ten ge­legt und drang ängst­lich in ihn, wel­che Mit­tel zur Ver­til­gung der Re­blaus die bes­ten wä­ren.

      – Mein lie­ber Herr, kam Ma­da­me An­ser­re an, wür­den Sie so lie­bens­wür­dig sein, die­sen Ku­chen zu schnei­den?

      Er wur­de rot bis an die Ohren, stot­ter­te ein paar Wor­te und ver­lor den Kopf. Herr An­ser­re er­barm­te sich sei­ner und wand­te sich zu sei­ner Frau.

      – Mei­ne Teu­ers­te, sag­te er, es wäre sehr schön, wenn du uns nicht stö­ren woll­test: wir spre­chen über Land­wirt­schaft. Lass den Ku­chen doch von Bap­tist schnei­den.

      Seit dem Tage schnitt kein Mensch mehr den Ku­chen im Hau­se An­ser­re.

      *

      Die Küs­te von Diep­pe bis Le Ha­vre bil­det ein un­un­ter­bro­che­nes Steilufer von etwa hun­dert Me­ter Höhe, das senk­recht wie eine Mau­er zum Mee­re ab­fällt. Von Zeit zu Zeit wird die­se star­re Fels­li­nie plötz­lich un­ter­bro­chen, und ein klei­nes, en­ges Tal mit stei­len Hän­gen, die mit kur­z­em Gras und Meer­bin­sen be­deckt sind, kommt von der be­bau­ten Hoch­flä­che her­ab und mün­det schlucht­ar­tig, wie das Bett ei­nes Gieß­bachs, in das Ufer­ge­röll. Die­se Tä­ler sind von der Na­tur selbst ge­schaf­fen. Ihre Rän­der sind von den Ge­birgs­bä­chen ge­höhlt, wel­che die Res­te des ste­hen­den Ho­chu­fers fort­ge­spült und den Was­sern ein Bett bis zum Mee­re ge­gra­ben ha­ben, das den Men­schen jetzt als Weg dient. Bis­wei­len klemmt sich ein Dorf in den en­gen Tal­kes­sel, in dem der vol­le See­wind sich fängt.

      Ich habe einen gan­zen Som­mer in ei­nem die­ser Küs­ten­ein­schnit­te ver­bracht; ich wohn­te bei ei­nem Bau­ern, des­sen Haus der See zu­ge­kehrt lag, so­dass ich von mei­nem Fens­ter aus zwi­schen den grü­nen Tal­hän­gen ein großes Drei­eck dun­kelblau­en Was­sers er­blick­te, das oft von wei­ßen Se­geln wim­mel­te, die von der Son­ne ge­trof­fen in der Fer­ne vor­über­zo­gen.

      Der Weg zum Mee­re lief auf der Soh­le der Schlucht und ver­sank dann plötz­lich zwi­schen zwei senk­rech­ten Mer­gel­wän­den wie ein tie­fein­ge­schnit­te­nes Ge­lei­se, um als­dann auf einen schö­nen Kies­platz zu mün­den, des­sen Stei­ne durch das Jahr­hun­der­te lan­ge Spiel der Wo­gen ku­gel­rund ab­ge­schlif­fen und po­liert wa­ren. Die­se tie­fe Hoh­le

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