Das Raunen und Tuscheln der Wüste. Bell Gertrude Lowthian

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Das Raunen und Tuscheln der Wüste - Bell Gertrude Lowthian Die kühne Reisende

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gefürchtete Ha’il (im heutigen Saudi-Arabien). Zwanzig Jahre lang war kein Europäer mehr dort gewesen, nicht alle früheren Reisenden waren lebend zurückgekehrt. Die 2.500 Kilometer-Strecke durch die Wüste war so gefährlich, dass weder die Osmanen noch die Engländer bereit waren, sie zu schützen. Sie beschloss, auf eigene Gefahr zu reisen, entging dem Tod mehrmals nur knapp und kam auch an die Grenzen ihres Frauseins: »Es ist mühsam, Frau zu sein, wenn man in Arabien ist.« Diese tollkühne Expedition dauerte sechs Monate und war unter Archäologen und Ethnologen bald legendär.

      Als sie im Mai 1914 körperlich völlig erschöpft nach England zurückkehrte, brachte sie kostbare Informationen über die Machtverhältnisse in Arabien mit. Dieses Wissen sowie ihre genaue Kenntnis der Clanstrukturen, die sie in den zehn Jahren ihres Reisens zusammengetragen hatte, sollten in den folgenden Jahren den gesamten Nahen Osten prägen.

      Auf dieser Reise hatte sie neben dem normalen Journal ein Tagebuch für Richard Doughty-Wylie geführt. Sie war dem britischen Konsul und seiner Frau 1907 in Konya begegnet, doch erst 1912, bei einer erneuten Begegnung, verliebten sie sich ineinander. Sie wechselten leidenschaftliche Briefe, aber mit Rücksicht auf seine Karriere konnte oder wollte er sich nicht scheiden lassen.

      Nach vier gemeinsam verbrachten Tagen Ende 1914 schrieb sie ihm: »Ich kann nicht schlafen, ich kann nicht schlafen. Es ist ein Uhr am Sonntagmorgen. Ich habe versucht zu schlafen, mit jeder Nacht wird es unmöglicher. Du, Du, Du stehst zwischen mir und jeder Ruhe; aber fern von Deinen Armen gibt es keine Ruhe. Du nennst mich Leben, Du nennst mich Feuer. Ich entflamme, und ich werde verzehrt.« Auch diese Liebe endete unglücklich. Doughty-Wylie fiel im April 1915 bei der Schlacht von Gallipoli. Bell war 46 Jahre alt. So weit bekannt, hatte sie weder mit ihm noch einem anderen Mann jemals eine sexuelle Beziehung.

      Das Osmanische Reich war im Ersten Weltkrieg ein Verbündeter des Deutschen Kaiserreichs und somit ebenfalls Kriegsgegner Großbritanniens und Frankreichs. Diese beiden Staaten hatten starke Interessen in der Gegend, die Engländer wollten neben Syrien auch Mesopotamien – den späteren Irak – kontrollieren, um den Weg nach Indien frei zu halten und den Zugriff auf das persische Öl zu sichern, dessen künftige Bedeutung sie klarer einschätzten als die Franzosen. Es stellten sich zwei Fragen: War es möglich, die deutschen und türkischen Truppen in einen Aufstand der Araber gegen Konstantinopel zu verwickeln und so zu schwächen? Und was würde mit Arabien geschehen, falls das Osmanische Reich zusammenbrach?

      England begann 1915 die Möglichkeiten eines arabischen Aufstands zu sondieren und aktiv zu unterstützen. Es dämmerte den Zuständigen schon bald, dass sie Bell als Beraterin brauchten, um die Araber gegen das Osmanische Reich zu einigen. Sie kannte alle wichtigen arabischen Stammesfürsten persönlich, stand mit allen gut. Sie hatte die entlegensten Wüstenregionen bereist, einige der Landkarten stammten von ihr.

      1915 wurde sie im Rang eines Majors nach Kairo geschickt, der erste weibliche Offizier im britischen Nachrichtendienst. Dort begann ihre Zusammenarbeit mit dem zwanzig Jahre jüngeren T. E. Lawrence, der zu Lebzeiten als Lawrence of Arabia zum Mythos werden sollte. Als sie sich 1911 bei Grabungen im Süden der Türkei kennenlernten, war Bell schon berühmt; ihr erstes Urteil über ihn lautete: »Ein interessanter Junge. Wird ein Reisender.« Beide waren 1,65 m groß, formidable Reiter, Wüstenfanatiker, die Paradiesvögel unter den Briten in Kairo. Sie wurden Freunde.

      Lawrence war Verbindungsmann zu den Aufständischen und entwickelte mit ihnen Taktiken des Angriffs, Bells Aufgabe war es, die einflussreichen Personen des Nahen Ostens dazu zu bewegen, sich dem Aufstand anzuschließen. Eine Frau in ihren Reihen schätzten die Militärs nicht, einer schrieb, offenbar kurz vor dem Herzinfarkt: »Zur Hölle mit dieser aufgeblasenen dummen Quasselstrippe, dieser eingebildeten, überschwänglichen, flachbusigen, mannweibischen, herumzigeunernden, hinternwackelnden, Blödsinn blökenden Ziege.« Aber sie lernten, sie zu respektieren, denn »Miss Gertrude Bell weiß über die Araber und Arabien mehr, als praktisch jeder andere lebende Engländer oder auch Engländerin.«

      1917/18 siegte die arabische Rebellion dank massiver britischer Unterstützung; im Herbst 1918 gingen England und Frankreich daran, das osmanische Herrschaftsgebiet unter sich aufzuteilen. Die regionalen Unabhängigkeitsbestrebungen waren zu stark, um die Bildung neuer Kolonien in Betracht ziehen zu können, es mussten andere Lösungen gefunden werden, die den Einfluss von Frankreich und England nicht gefährdeten.

      Im Rahmen dieser Umwälzungen zog Bell 1917 nach Bagdad, ihre Lieblingsstadt; hier lebte sie zum ersten Mal in ihrem Leben in einem eigenen Haus, legte einen Garten an, umgab sich mit Tieren. Sie beriet die englische Regierung bei der Gründung des Iraks, verhandelte mit den Stammesfürsten, empfahl mögliche Regierungsmitglieder, baute Faisal zum irakischen König auf. Und sie skizzierte den Grenzverlauf des neuen Staates. Winston Churchill, damals Kolonialminister, berief 1920 in Kairo eine Konferenz ein, bei der England diese und weitere Details des künftigen irakischen Staatsgebildes festlegte. Bell war auch hier wieder die einzige Frau, ein berühmtes Foto zeigt die Konferenz-Teilnehmer auf Kamelen vor der Sphinx, Bell zwischen Churchill und Lawrence.

      Mit dem Abstand von einem Jahrhundert fallen in Bells Büchern, Briefen und Journalen zwei Dinge auf: Ihr idealisiert-romantisches Bild vom Beduinen als edlem Wüstenkrieger, und ihre Überzeugung, dass Englands Regierungsform allen anderen weit überlegen und somit für alle Völker dieser Erde erstrebenswert sei. Bell und Lawrence teilten diese Ansichten, sie wollten eine arabische Unabhängigkeit bei unbedingter Sicherung der englischen Hegemonie. Weil die Briten die kurdische Provinz Mossul als Puffer gegen die Türkei und Russland brauchten, zwangen die Beschlüsse von Kairo die ehemaligen osmanischen Provinzen Bagdad, Mossul und Basra und die dort lebenden, seit Jahrhunderten verfeindeten Schiiten, Sunniten und Kurden in einen Staat. Nicht nur der Nahe Osten leidet bis heute unter den Folgen dieser unheilvollen Entscheidung.

      Als die Staatsgründung vollbracht war, kehrte Gertrude Bell zur Archäologie zurück: Sie wollte, dass die Zeugnisse der jahrtausendealten mesopotamischen Zivilisation im Land blieben. Darum gründete sie das Irakische Nationalmuseum (damals das Archäologische Museum Bagdad) und entwarf ein Antikengesetz, das die Ausfuhr von Grabungsfunden streng kontrollierte. Das Museum wurde im Juni 1926, wenige Wochen vor Bells Tod, eröffnet.

      Die Bagdader Jahre waren hektisch. Sie lebte so rastlos, wie sie es immer getan hatte, arbeitete zu viel, magerte ab, das Klima machte sie krank. Bell war in Bagdad eine geachtete, ja verehrte Persönlichkeit, jetzt aber empfand sie das Leben als einzige Frau unter Männern als sehr fordernd. Deprimiert schrieb sie an ihren Vater: »Es ist zu einsam, mein Leben hier, ich kann nicht weiterhin immer allein sein. Vor allem die Nachmittage, nach dem Tee, lasten schwer auf mir.« Nach der Staatsgründung spürte sie, dass sie entbehrlich wurde. Es gab keine neuen Ziele, und eine Umsiedlung nach England kam nicht in Frage. Sie wusste, dass die Londoner Gesellschaft sie trotz ihrer großen Verdienste nicht respektierte – für sie war und blieb Gertrude Bell eine Außenseiterin, genauer: eine exzentrische alte Jungfer.

      Es kamen weitere Schläge: sie hatte mehrmals schwere Lungenentzündungen, das Bell-Vermögen war aufgrund der Wirtschaftssituation so geschrumpft, dass sie sich Sorgen um die Finanzierung ihres Alters machen musste, ihr jüngster Bruder starb an Typhus.

      Am 12. Juli 1926, zwei Tage vor ihrem 58. Geburtstag, fand ihr Dienstmädchen sie morgens tot im Bett. Sie starb an einer Schlafmittelvergiftung. Die irakische Regierung ordnete ein Staatsbegräbnis an, in einem langen Trauerzug folgten hohe Vertreter Großbritanniens und des Iraks ihrem Sarg, der mit den Flaggen beider Staaten bedeckt war. Sie wurde auf Bagdads britischem Friedhof beigesetzt.

      Im Archäologischen Museum Bagdad gab es eine Bronzebüste von Gertrude Bell, die seit der Plünderung des Museums im Jahre 2003 verschwunden ist, eine Plakette würdigte auf Arabisch und Englisch ihre Verdienste. Der Text beginnt mit den Worten:

      GERTRUDE BELL

      Derer die Araber immer mit Achtung und Zuneigung

      gedenken

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