Das Raunen und Tuscheln der Wüste. Bell Gertrude Lowthian

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Das Raunen und Tuscheln der Wüste - Bell Gertrude Lowthian Die kühne Reisende

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teils brillant, teils erbärmlich, von Tränen glänzend und von vielen Enttäuschungen matt. Der Westwind drehte mein Pferd, schicke es im Galopp über den Kamm des Berges, zur Straße hinunter, die sich durch Judäas Wildnis schlängelt.

      Am Fuße des ersten Abstiegs liegt eine Quelle, die Araber nennen sie Ain esh Shems, Sonnenbrunnen, die Christen haben sie Apostelbrunnen getauft. Wer im Winter dort vorbeikommt, wird fast immer russische Bauern sehen, die auf ihrem beschwerlichen Weg den Jordan hinauf hier rasten. Jahr für Jahr strömen sie zu Zehntausenden ins Heilige Land, überwiegend alte Männer und Frauen, die ein Leben lang geknausert und gespart haben, bis sie etwa dreißig englische Pfund zusammen hatten, die sie nach Jerusalem führen würden. Von den entlegensten Ecken des russischen Reiches gehen sie zu Fuß an das Schwarze Meer und reisen von dort als Deckpassagiere auf schmutzigen russischen Kähnen. Ich bin mit 300 von ihnen von Smyrna nach Jaffa gereist und war der einzige Passagier mit Kabine. Es war mitten im Winter, stürmisch und kalt für alle, die an Deck schliefen, auch wenn sie Schaffellmäntel und gefütterte Stulpenstiefel trugen. Aus Gründen der Sparsamkeit hatten meine Mitreisenden ihren Proviant mitgebracht, einen Laib Brot, ein paar Oliven, eine rohe Zwiebel, daraus bestand ihr tägliches Mahl. Morgens und abends versammelten sie sich zum Gebet vor einer Ikone, die an der Kombüse hing, der Klang ihrer Litanei stieg, zusammen mit dem Stampfen der Schraube und dem Klatschen der Gischt, gen Himmel. Die Pilger erreichen Jerusalem vor Weihnachten und bleiben bis nach Ostern, um ihre Kerzen am heiligen Feuer entzünden zu können, das am Morgen der Auferstehung aus dem Heiligen Grab hervorbricht. Sie wandern zu Fuß an alle heiligen Stätten und übernachten in großen Herbergen, die die russische Regierung für sie erbaut hat. Viele sterben an Unterkühlung, Erschöpfung oder wegen des ungewohnten Klimas; aber in Palästina zu sterben, ist die größte Gnade, die der Himmlische Vater ihnen gewähren kann, denn dann ruhen ihre Gebeine friedlich im Heiligen Land und ihre Seele fliegt direkt ins Paradies. Man begegnet diesen sehr einfachen Reisenden auf jeder Landstraße, geduldig trotten sie unter brennender Sonne und eisigen Winterregen, bekleidet mit Pelzen aus ihrer Heimat, in der Hand einen Stab aus Rohr vom Jordanufer. Sie fügen dieser Landschaft, die so voll schwermütiger Poesie ist, einen grellen Klang von Pathos hinzu. Ich habe in Jerusalem eine Geschichte gehört, die das Wesen dieser Pilger besser beschreiben kann als seitenlange Schilderungen. Ein Einbrecher war auf frischer Tat ertappt und nach Sibirien geschickt worden, wo er viele Jahre Sträfling war. Als seine Zeit vorüber war, kehrte er geläutert zu seiner alten Mutter zurück und sie reisten zusammen ins Heilige Land, damit er für seine Sünden Buße tun konnte. Nun muss man wissen, dass sich zur Pilgerzeit das Gesindel aus Syrien in Jerusalem einfindet, um sie in ihrer Einfalt zu betrügen und zu Almosen zu nötigen. Einer dieser Vagabunden bettelte den russischen Büßer an, aber der hatte selbst nichts. Der Syrer, zornig über die Weigerung, schlug den andern zu Boden und verletzte ihn so schwer, dass er drei Monate im Spital bleiben musste. Als er genesen war, kam der russische Konsul zu ihm und sagte: »Wir haben den Kerl, der dich fast getötet hat; vor deiner Abreise musst du gegen ihn aussagen.« Aber der Pilger antwortete: »Nein, lasst ihn gehen. Auch ich bin ein Verbrecher.«

      Hinter der Quelle war die Straße leer, und obwohl ich sie gut kannte, berührte mich ihre unglaubliche Trostlosigkeit auch dieses Mal wieder. Kein Leben, keine Blumen, die nackten Stängel der letztjährigen Disteln, die kahlen Berge, die steinige Straße. Und doch hat Judäas Wildnis den Feuereifer der Menschen geschürt. Von dort kamen grimmige Propheten, die einer Welt, die sie weder kannten noch verstanden, mit Untergang drohten; die Täler sind voll von Höhlen, in denen sie hausten; in einigen leben noch heute hungernde, abgemagerte Asketen, die an einer Art von Frömmigkeit festhalten, gegen die der gesunde Menschenverstand wenig auszurichten vermag. Vor Mittag erreichten wir die Karawanserei, auf halben Weg nach Jericho, der Legende nach ist dies der Ort, wo der Gute Samariter den Mann am Wegesrand fand. Ich ging hinein, um vor dem tobenden Wind geschützt zu essen. In der Gaststube saßen drei Deutsche, offenbar Handlungsreisende, schrieben Ansichtspostkarten und feilschten mit dem Herbergswirt um den Preis nachgemachter Beduinenmesser. Ich lauschte ihrem unsinnigen, vulgären Reden, es würde für viele Wochen das letzte Mal sein, dass ich eine europäische Sprache hörte, aber ich trauerte der Zivilisation nicht nach, die ich nun verließ. Östlich der Karawanserei fällt die Straße ab und überquert ein trockenes Flussbett, das Schauplatz vieler Tragödien war. Früher warteten dort, von der Uferböschung verborgen, Beduinen auf die vorüber ziehenden Pilger, um sie auszurauben und zu ermorden. Vor fünfzehn Jahren war die Straße von Jericho ebenso gesetzlos wie das Land jenseits des Jordans heute. In den letzten zehn Jahren hat sich der sichere Streifen um einige Meilen nach Osten erweitert. Endlich erreichten wir den Gipfel des letzten Hügels, vor uns lagen das Tal des Jordans und das Tote Meer, dahinter die dunstigen Moabiter Berge, das Grenzgebiet zur Wüste. Zu unseren Füßen lag Jericho, ein unromantisches Dorf mit baufälligen Hotels und Hütten, in denen die einzigen Araber hausen, die der Tourist je zu Gesicht bekommt, eine niedere Rasse, halb Araber, halb Negersklaven. Ich ließ mein Pferd bei den Maultiertreibern, die wir am Hang eingeholt hatten – »Möge es Gott gefallen, dass es Euch wohlergeht« – »Ehre sei Gott! Wenn es Eurer Exzellenz wohlergeht, sind wir zufrieden« – und ging den Hügel hinunter ins Dorf. Aber Jericho konnte an diesem ersten, wunderbaren Reisetag nicht unser Ziel sein. Ich wollte Touristen, Hotels und Ansichtskarten unbedingt hinter mir lassen. Zwei weitere Stunden und wir wären am Jordanufer, an der Holzbrücke, die vom Okzident hinüber führt in den Orient. Dort könnten wir an einem geschützten Platz lagern, an kleinen Lehmhügeln, in einem Dickicht aus Schilfrohr und Tamarisken. Ein kurzer Halt, um Futter für die Pferde und die Maulesel zu kaufen, dann ritten wir durch den schmalen Streifen Ackerland, der Jericho umgibt, in den Ghor, das Tal des Jordan.

      Die Straße nach Jericho ist ausgesprochen karg, das Jordantal aber hat eine Unmenschlichkeit, die bösartig anmutet. Hätten die Propheten des Alten Testaments ihren Bannfluch so gegen das Jordantal geschleudert, wie sie Babylon oder Tyros verfluchten, es gäbe keinen besseren Beweis für ihre Prophezeiungen; aber sie schwiegen, und unsere Fantasie muss zu den flammenden Visionen von Sodom und Gomorra Zuflucht nehmen, zu den düsteren Legenden von Laster, die nicht nur durch unsere Kindheit spukten, sondern auch die Kindheit der semitischen Stämme heimsuchten. Auf diesem tiefsten Punkt der Erdoberfläche lastet eine schwere, stickige Atmosphäre, über uns stürmte der Wind in Gegenden, wo Menschen frische Luft atmeten, in diesem Tal aber war es so luft- und leblos wie am Grund des tiefen Meeres. Wir bahnten uns den Weg durch das niedrige Buschwerk des dornigen Sidrbaumes, der Christusdorn, dessen Zweige der Sage nach zur Dornenkrone geflochten wurden. Es gibt zwei Arten des Sidrbaums, die Araber nennen sie zakum und dom. Aus dem zakum gewinnen sie ein Heilöl, der dom trägt eine kleine, dem Holzapfel ähnliche Frucht, die zu einem einladenden Rotbraun reift. Sie ist die Frucht des Toten Meeres par excellence, sie ist schön anzusehen und hinterlässt auf den Lippen einen Geschmack sandiger Bitterkeit. Die Sidrs wurden weniger, bis sie schließlich ganz verschwanden, dann war vor uns nur noch eine ausgetrocknete Lehmfläche, auf der nichts Grünes mehr wuchs. Sie ist von gelber Farbe und hat giftig grau-weiße Salzflecken: das Auge begreift augenblicklich, fast unbewusst, ihre Lebensfeindlichkeit. Als wir dort entlang ritten, gerieten wir in einen schweren Regenguss. Die Maultiertreiber blickten ernst, selbst Mikhails Gesicht wurde lang, denn vor uns lagen die Erdharzgruben der Genesis, die Pferde und Maulesel nur bei absoluter Trockenheit durchqueren können. Der Regen war nach wenigen Minuten vorbei, doch das hatte genügt. Plötzlich hatte der harte Lehm die Konsistenz von Butter, die Pferde sanken bis zum Fesselgelenk ein, mein Hund Kurt wimmerte, wenn er die Pfoten aus dem gelben Leim zog. Dann kamen wir zu den Harzgruben, dem befremdlichsten Merkmal dieser unheimlichen Landschaft. Eine Viertelmeile westlich des Jordans – auf der Ostseite des Flusses ist dieser Streifen erheblich schmaler – löst sich die flache Ebene plötzlich in eine Reihe steiler, durch schmale Rinnsalen getrennte, Schlammbänke auf. Sie sind nicht hoch, dreißig, höchstens vierzig Fuß, aber die Kämme sind so scharf und die Seiten so steil, dass der Reisende beim Weg über sie hinweg und um sie herum äußerste Vorsicht walten lassen muss. Durch den Regen waren die Seiten glatt wie Glas, selbst zu Fuß war man ständig in Gefahr zu straucheln. Mein Pferd stürzte, als ich es führte; zum Glück geschah das zwischen zwei Hügeln, es konnte sich unter den erstaunlichsten Verrenkungen wieder aufrichten. Als ich meine Karawane aus den Harzgruben herauskommen sah, entfuhr mir ein rasches Dankgebet; hätte es weiter geregnet,

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