Der Tod läuft mit. Peter Gerdes
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Stahnke zuckte zusammen, als Marian ihn anstupste. Doktor Mergner hatte sich vor ihnen aufgebaut und heischte Beachtung – hoffentlich noch nicht allzu lange. Stahnke hob die Augenbrauen und signalisierte Dienstbeflissenheit.
»Tjaa …« Mergner, der mit seinen halblangen, struppigen, leicht ergrauten Haaren und den flaschenbodendicken Brillengläsern eher an einen vom Weltgeist beseelten Philosophen als an einen Naturwissenschaftler erinnerte, breitete die Arme aus, und Stahnke sah seine Hoffnung auf eine klare Diagnose schwinden. »Ganz allgemein gesprochen, haben wir es hier mit Tod durch Herzversagen zu tun. Eine Todesursache, die Sie auf Tausenden von Totenscheinen finden werden. Wenn der Tote alt ist und nicht gerade Geschäftsführer eines bedeutenden Betriebes, gibt man sich ja für gewöhnlich auch damit zufrieden.«
Stahnke nickte. Wie viele perfekte Morde wohl schon mit diesem einen Wort besiegelt worden waren? Die Pflege alter, kranker Angehöriger war eine aufreibende Sache, die ganze Familien bis an die Grenze des Erträglichen belasten konnte, und jahrelang unerfüllte Erbschaftshoffnungen gingen an die Nerven. Am Ende reichte dann ein Kissen, ein verkramtes oder falsch dosiertes Medikament, ein über Nacht offen stehendes Fenster, eine laut knallende Tür. Und letztlich hörte ja bei jedem Tod ein Herz auf zu schlagen.
Krüger jedoch war zwar alt, aber keineswegs pflegebedürftig gewesen. Die Pensionsgrenze hatte er hinter sich gehabt, das aber zählte bei Führungskräften bekanntlich wenig. So hatte ihn der Tod buchstäblich mitten aus dem aktiven Leben gerissen. Nur welcher?
»Eine Vorschädigung des Herzens liegt bei Doktor Krüger nicht vor, sagt sein Hausarzt.« Mergner hatte bereits recherchiert. »Überhaupt war der Mann für sein Alter bemerkenswert gesund. Trieb auch regelmäßig Sport.«
Stahnke entschied, den Seitenblick nicht bemerkt zu haben. »Soll ja auch nicht ganz ungefährlich sein«, sagte er. »Gestern ist Krüger fast elf Kilometer gelaufen und hatte anschließend einen Schwächeanfall. Kann es da einen Zusammenhang geben?«
Mergner schüttelte den Kopf. »Wenn, dann hätte es während des Laufs oder unmittelbar danach, wenn sich der Körper von erhöhter auf normale Belastung umstellt, passieren müssen. Woher wissen Sie das übrigens?«
»Stand praktisch direkt daneben«, sagte Stahnke.
»Ich auch«, ergänzte Marian, der sich kein Wort hatte entgehen lassen.
Mergner stutzte, blickte von einem zum anderen, entschied sich dann jedoch, keine Fragen zu stellen, und fuhr fort: »Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, nämlich das zentrale Nervensystem. Haben Sie sich sein Gesicht mal angesehen? Augen und Mund stehen offen, die Gesichtshaut ist bläulich verfärbt, die Zunge ebenfalls blau. Das deutet auf plötzlich aufgetretene Atemnot hin. Möglicherweise Atmungsversagen.«
»Demnach wäre er auf dem Weg zum Fenster gewesen, um nach Luft zu schnappen«, sagte Stahnke und deutete mit dem Kinn auf die Stelle, wo Krügers mittlerweile abgedeckter Körper lag. »Atemnot tritt aber auch bei Herzinfarkt auf, oder?«
»Richtig«, entgegnete Mergner. »Alles andere als ein klares Bild also. Dazu dann noch diese unnatürlich geröteten Hautpartien, vor allem im Nacken. Passt nicht so recht zusammen.«
»Sonnenbrand vermutlich«, sagte Marian und bewegte vorsichtig seine eigenen versengten Schultern unter dem unangenehm scheuernden Hemd.
Mergner runzelte die Stirn: »Eher nicht. Dafür ist die Rötung zu partiell. Außerdem gibt es auch rote Stellen im Rückenbereich. Und beim Laufen hat er doch wohl ein Hemd getragen.«
»Unnatürliche Todesursache also nicht ausgeschlossen?«, fragte Stahnke.
Mergner nickte. »Nicht ausgeschlossen, weil ich noch keine zwingende natürliche erkennen kann. Aber eben nur deshalb.«
»Also Obduktion?«
»Ja«, sagte Mergner. Stahnke seufzte.
»Was heißt das nun?«, fragte Marian.
»Das heißt: Keine Stellungnahme«, sagte Stahnke. »Sie kennen ja die Regeln.«
»Und was sage ich meinem Chef?«
»Was sage ich meinem?«
Diesmal seufzten sie beide.
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