Spreewaldkohle. Franziska Steinhauer
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Читать онлайн книгу Spreewaldkohle - Franziska Steinhauer страница 7
Nachtigall hielt einen lang gestreckten Wochenkalender und ein schmales schwarzes Büchlein hoch.
Die Witwe nickte.
Klapproth kehrte zu Nachtigall zurück.
»Sein Bruder Eric van Worten wohnt nur zwei Häuser weiter! Warum haben Sie das weder gestern Abend noch heute auch nur einmal erwähnt?«, fragte sie in aggressivem Ton, der ihr einen mahnenden Blick des Kollegen eintrug.
Doreen schüttelte stumm den Kopf. Abwehrend.
»Vielleicht hat er etwas bemerkt. Einen Verfolger zum Beispiel«, schob Nachtigall sanfter nach.
»Und warum Eric van Worten und nicht Eric Stein?«, wollte Klapproth wissen.
»Eric! Van Worten ist sein Pseudonym. Er ist Lyriker. Und bemerkt hat er sicher nichts. Eric hat einen Vogel und gut! Mehr muss man dazu nicht sagen.«
Die Ermittler warfen sich in stillem Einverständnis einen kurzen Blick zu.
Es wäre wohl besser, die Witwe nicht weiter zu behelligen.
»Unsere Nummern haben Sie. Sollten Sie Hilfe benötigen oder Ihnen etwas Wichtiges einfallen, melden Sie sich bitte sofort bei uns. Wir brechen jetzt auf.«
»Können Sie mir bitte die Mädchen schicken? Besser, sie erfahren gleich von mir, was passiert ist, als später von irgendwelchen mitfühlenden Nachbarn, die die Fakten nur aus den Nachrichten kennen.«
»Ich warte im Auto«, erklärte Maja entschieden und nahm dem Kollegen Kalender und Adressbuch ab. »Kinder sind nicht mein Ding!«
Nachtigall ging über die Treppe ins Obergeschoss.
Hinter einer der Türen hörte er laute Stimmen. Ah, das Video!, fiel ihm wieder ein. Er klopfte sanft an, öffnete die Tür einen Spaltbreit.
Vier fragende Augen tobten über sein Gesicht.
»Wir dürfen das ansehen! Mama hat es erlaubt!«
»Ja. Ich habe das gehört. Aber nun möchte eure Mutter, dass ich euch zu ihr hinunterschicke. Sie möchte etwas Wichtiges mit euch besprechen. Man kann doch sicher irgendwo auf Pause schalten?«
Als er leise das Haus verließ, hörte er Frau Stein sagen: »So, meine beiden, wir haben etwas zu besprechen. Ihr müsst mir gut zuhören …«
Er beneidete die Mutter nicht um diese Aufgabe, huschte nach draußen, zog die Tür geräuschlos hinter sich zu.
7
Eric trällerte fröhlich.
Er war schon immer ein großer Fan von Queen.
Eigentlich seit dem Moment, in dem er zum ersten Mal Musik bewusst gehört hatte.
Deshalb lief bei ihm grundsätzlich den ganzen Tag über gute Musik seiner Lieblingsband – nicht dieses seichte Gedudel, auf das seine Schwägerin so stand. Klar, sphärisch war seltsam entspannend. Aber die Musik von Queen war eine mit Anspruch! Einem echten Anliegen! Musik ohne Text war seiner Meinung nach eben nur Musik. Die Aussage Interpretationssache. Wie schon bei den klassischen Stücken, Sinfonien, Fugen, Tänzen. Der Hörer brauchte eine schriftliche Begleitanalyse, um sie herauszufiltern.
Queen dagegen: deutlich, kraftvoll, unmissverständlich.
So wie Erics eigene Texte.
Freddy sah das genauso.
Er wippte im Rhythmus mit, machte einen sehr zufriedenen Eindruck.
Eric schnippelte Gemüse und Obst fürs zweite Frühstück.
Eine Tradition, die ihnen beiden gefiel. Und gesund war das Ganze auch.
Als er am Fenster vorbeikam, spiegelte sich sein Gesicht in der Scheibe, und er zuckte unwillkürlich zurück.
Ja, dieses Gesicht war gewöhnungsbedürftig.
Schon in der Schule hatte es ihm nur Probleme und Hänseleien eingebracht. Prügel auf dem Heimweg waren normal.
Heute würde man sagen er sei gemobbt worden.
Die eine Hälfte des Gesichts hatte nichts mit der anderen gemein. Während die rechte ganz passabel aussah, war die linke gröber, sprang hervor. Das Auge auf dieser Seite war glubschig, quoll dem Betrachter entgegen, weit aufgerissen, als sei das Oberlid zu kurz, um es zu bedecken. Und die Pupille war fehlfarben. Also zumindest dann, wenn man davon ausging, dass zwei Augen in einem Gesicht dieselbe Farbe haben sollten. Das normale Auge war blau, das glubschige fast orange und es starrte selbst Eric aus spiegelnden Flächen an wie das Auge eines Fremden, das sich in sein Leben biss und darin herumspionierte, sich an seinen Fehlern ergötzte und triumphierte, wenn etwas gründlich misslang. Früher hatte er versucht, es mit einer Tolle zu verdecken. Doch das war sinnlos. Er spürte sein Starren zu jeder Zeit, durch die Locken, durch eine tiefgezogene Mütze, durch eine Augenklappe. Es war ein Alien in seinem Körper.
Schnell sah er zur Seite.
Diesem Blick konnte niemand lange standhalten.
Nur Freddy hatte kein Problem damit.
Als es klingelte, warfen sie sich einen schnellen Blick zu, Eric legte seinen Zeigefinger über die Lippen, Freddy nickte verstehend, und so beschlossen die beiden, dass sie nicht zu Hause waren. Störungen um diese heilige Zeit des Tages waren unerwünscht.
Wenn man etwas Wichtiges von ihnen wollte, würde der Klingler sich später noch einmal herbemühen müssen.
Nach schnellem Seitenblick, der ihr gegenseitiges Einverständnis besiegelte, schnitt Eric ein Stück Birne klein.
Damit war die Angelegenheit beendet.
Waren die beiden überzeugt.
Doch unerwartet fiel ein spektakulärer Schatten auf den Tisch!
Erschrocken wandten Eric und Freddy sich zur Terrasse um.
Erstarrten!
Dort stand ein riesiger schwarzer Mann!
8
Fabian Klapproth, Majas Bruder, besprach mit seinem Freund und Betreuer die letzten Details ihres Ausflugs.
»Und was genau ist dieser Drehpunkt Göritz?«
»Eine Art Wendepunkt für die großen Bagger in der Kohle. Um diesen Punkt herum drehten sich die riesigen Kohleförderanlagen. Im Grunde ist es ein Industriedenkmal. Es wird als Restaurant betrieben, man kann die Räume für Feierlichkeiten oder Vorträge mieten.«
»Wie heute Abend! Ich bin schon sehr gespannt. Es werden Welten aufeinanderprallen – und erfahrungsgemäß geht das nicht ohne Beschädigungen auf allen Seiten ab.« Fabian rieb sich erwartungsfroh