Queer*Welten. Aşkın-Hayat Doğan
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In seiner neuen Dunkelheit sah der Tänzer nicht, wie der Schatten mit seinem Schatz verschwand. Er lauschte dem Wind in den Föhren und dem Atem seiner Herrin. Als alles Eis fortgeflossen war und sein Körper wieder warm, umarmte er die Schlafende, drückte sein leeres Gesicht in ihren Nacken und schwieg bis zum Morgen.
Dass es so bleiben möge.
* * *
„An-Sha!“ Wie die Brandung toste der Schlachtruf durch die Menge. Mutter!
„An-Sha Wah!“
Mutter des Krieges. Tochter ihres Vaters. Herrin seines Banners, seit ihrem fünfundzwanzigsten Jahr. Erbin seiner Herrschaft, seit ihrem dreißigsten Jahr. Mutter des Krieges und von nichts und niemandem sonst. Ansha Wah.
Nur ein Mann hatte sie jemals schön genannt. Ihr Tänzer. Ihr Gatte. Hatte sie angesehen und lächeln müssen.
Wo seine Augen gewesen waren, waren keine Wunden, keine Narben. Nur glatte Haut, wo früher die Heide im Winter, Kaninchenfell und alle Sicherheit gewesen war, die sie unter ihrer Rüstung brauchte.
Er hatte nicht gewollt, dass sie fortging. Ansha Wah starrte über die weiße Ebene, fahl wie Knochen unter den Sternen, über die das Volk von Eis und Schatten schwärmte wie Krebse und schnell ziehende Wolken. Ihr Heer stand geordnet und schrie vor Angst und Wut. Aber die Mutter des Krieges dachte nur an ihren Tänzer. Er hatte sie festgehalten, als sie ihre Wut über die Mauern brüllte, als sie das Volk der Heide zum Krieg rief, um wiederzuholen, was gestohlen worden war. Der Tänzer wollte blind bleiben, wollte seine Augen aufgeben, wollte sie nicht loslassen.
„Ich brauche sie nicht“, flüsterte er, während sie weinte und schrie. „Wir werden weiter tanzen, weiter lachen. Ich werde dich und die Heide riechen, deine Arme um mich spüren und alle Schönheit dieser Welt in deiner Stimme hören. Ich brauche sie nicht.“
„Ich brauche sie! Durch sie bin ich heil.“ Sie bedeckte die glatte Haut unter seinen Brauen mit ihren Händen. „Du bist mein Gatte! Dein Leib ist mein eigen.“
Da lachte der Tänzer. „Jawohl, schöne Herrin, das ist er.“
Sie konnte nicht schreien, wenn er lachte, aber sie lachte nicht mit ihm. „Niemand bestiehlt mich, mein Tänzer. Ich will meine Augen zurück.“
Als die Truppen versammelt waren, im tiefen Herbst, und Ansha Wah nach Banner und Zügel griff, griff der Tänzer nach ihren Händen und vergrub seinen Kopf an ihrer Schulter.
„Dein Leib ist mein eigen, schöne Gattin.“
Sie küsste sein leeres Gesicht. „Ich bringe ihn wieder, schöner Gatte. Dann tanzen wir weiter.“
* * *
In der Mitte der Nacht vergaß Ansha Wah die Künste des Krieges. Ihr Pferd war längst tot, ihre Rüstung zerrissen, die Truppen brüllten ihren Namen. Ansha Wah hetzte über eine fleckige, feuchte Ebene im Sternenlicht und schrie nach ihren eigenen Dämonen. Den Dieb suchte sie, den Räuber, den einen Fetzen, der sich in die Heide gewagt hatte, um der Mutter des Krieges ihre wertvollsten Schätze zu stehlen.
Zur gleichen Zeit strich der Tänzer durch die Säle der Festung. Sang die Lieder, die er sie gelehrt hatte, lauschte auf die fernen Echos. Aber es war nur seine eigene Stimme. Leer stand die Burg seiner Herrin, das Lachen fortgeschlichen, um nie mehr wiederzukehren. Er wusste es in seinem Herzen und glaubte nicht daran.
Dass es wieder werde, wie es war. So vergeblich wie der erste Wunsch, und noch törichter.
Die Sterne am Himmel erbleichen.
Ein schweigender Morgen bricht an.
Da sieht sie es zwischen den Leichen
Und es schlägt sie in seinen Bann.
Es ist wie ein Traum alter Zeiten,
Wie hat sie dies Leuchten vermisst.
Sie kann mit diesem nicht streiten.
Er trägt ihren Schatz im Gesicht.
Er selbst ist aus Schatten geschnitten,
Das Schwert in der Hand ist aus Eis.
Frost knirscht ihm unter den Schritten.
Das Wappen am Schild ist schlicht weiß.
Doch sie sieht einzig die Augen.
Sie vergisst ihr Schwert und den Speer,
Vergisst, das Böse zu glauben
Und der Schatten brauchte nicht mehr.
Wie man manche Wege nicht gehen kann, nur tanzen, gefangen und gehalten vom Ritual der Schritte, kann man manches nicht berichten. Die Verse der Sänger weisen den Weg, den ein Tänzer beschreiten kann.
Er steht auf den Zinnen
Wacht Zeit seines Lebens
Mit allen seinen Sinnen.
Die Wacht bleibt vergebens.
Sie zog mit dem Heer
Sie kehrt niemals wieder.
Die Heide steht leer
Der Wind pfeift dort Lieder.
Oft hebt Er die Hand
Er glaubt, Sie zu hören
Kein Hufschlag im Sand
Es rauscht in den Föhren.
Dies ist kein Lied für den Norden. Der Tänzer hat es nie gehört. Es ist ein Lied für den Süden, der vom Krieg träumt und vergessen hat, was der Krieg frisst.
Über Rafaela Creydt
Rafaela Creydt wurde 1982 am Rande Göttingens geboren. Nach Abitur und der Erkenntnis im ersten Semester Germanistik, dass nicht jeder zum Theoretiker geboren ist, fand sie im Studium der Landschaftsarchitektur genau die richtige Mischung aus Kreativität und Wirklichkeit.
Sie hat in fünf verschiedenen Städten in drei Bundesländern gewohnt, interes- siert sich für viel zu vieles von Rollenspiel bis Design, und lebt zurzeit als Land- schaftsarchitektin in Nürnberg.
Veröffentlichungen:
„Die Stadt am Kreuz“ bei In Farbe und Bunt, 2015
„Der letzte Winter der ersten Stadt“ bei In Farbe und Bunt, 2018