Queer*Welten. Aşkın-Hayat Doğan
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Traditionen
Über Sarah Burrini
Sarah Burrini arbeitet als freiberufliche Comiczeichnerin und Illustratorin in Köln. Von 2009 bis 2020 zeichnete sie den semi-autobiographischen und absurden Webcomic „Das Leben ist kein Ponyhof“ für den sie 2018 den Max-und Moritzpreis als bester deutscher Comic-Strip gewann. Als eine der ersten deutschen Künstlerinnen, die das Format Webcomic und Crowdfunding-Plattformen wie Patreon nutzen, ist sie gern gesehener Gast in Panel-Diskussionen, Podcasts und Medienformaten. Ihre Comics erscheinen regelmäßig auf https://sarahburrini.com.
Held*innengeschichte
von Aşkın-Hayat Doğan
„Ich werde nie wieder einen Apfel essen.“
„Na, na, Äpfel sind gesund, und du befindest dich noch im Wachstum, mein Kind!“
Sophie verzog säuerlich das Gesicht. „Ich will doch nicht vergiftet im Schlaf liegen, Opi! Und warum nimmt sie überhaupt von einer unbekannten Frau einen Apfel? Hat man sie nicht vor Fremden gewarnt? Schneewittchen ist doof! Und dann auch noch Jungs küssen! Bäh! Das ist doch eklig!“
Ihr Opi verschluckte sich am Rauch seiner Pfeife, als er unerwartet lachen musste. „In ein paar Jahren denkst du vermutlich anders darüber“, sagte er und versuchte hustend wieder einen freien Hals zu bekommen.
„Und der Prinz ist jetzt der Held, nur weil er sie geküsst hat? Echt jetzt?“, fuhr Sophie aufgebracht fort. „Was ist denn das für ein blödes Märchen? Wenn Prinzessinnen nur verflucht werden und schlafen, will ich keine Prinzessin sein.“
„Du kannst die Art von Prinzessin sein, die du dir wünschst, Schatz“, versuchte Opi sie zu beruhigen und griff nach der Teetasse. „Oder eben gar keine, wenn du es nicht willst.“
„Ich will den Drachen besiegen, das Reich vom Fluch befreien und den bösen Wesir entlarven – und nicht in einem gläsernen Sarg schlafen und den Haushalt für sieben Jungs führen“, schnaubte Sophie. „Kann ich dann überhaupt noch laufen, wenn ich so lange bewegungslos rumgelegen habe? Habe ich dann nicht auch so was am Bein, wie du?“
„Was, Kind? Meinst du Muskelschwund?“
„Hmmh!“
„In Märchen ist es anders, Liebes – da funktioniert alles mit Magie.“
„Blöde Magie! Über solche Prinzessinnen werde ich ganz bestimmt nicht schreiben.“
„Hast du über die Ausschreibung nachgedacht, die ich dir gestern gezeigt habe, Spätzchen?“ erwiderte ihr Opi und hoffte, sie auf andere Gedanken zu bringen. „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ würde er ihr nie wieder vorlesen – das stand fest.
Sophie kreuzte die Arme und schmollte. „Ich darf da nicht mitmachen“, murmelte sie kaum hörbar vor sich hin.
Ihr Opi wurde wacher. Seine Augenbrauen verzogen sich zu verärgerten Knicken. „Wer sagt das?“ fragte er etwas zu scharf.
„Die suchen Geschichten über Helden, keine Hel-din-nen“, klärte Sophie ihn frustriert auf. „Ich wollte über Panthergirl, Hexerella oder Uberta von den Dalâuen schreiben. Die kann ich aber nicht abschicken.“
Ihr Opi beugte sich mit wohlwollendem Blick zu ihr herunter. „Mach das nicht davon abhängig, Schatz.“ Die gewohnte Milde hatte sich wieder in seiner Stimme breit gemacht. „Die haben ganz sicher nicht daran gedacht als sie die Ausschreibung angekündigt haben.“
„Das sollten sie aber!“, regte sich Sophie erneut auf. „Ich fühle mich nicht angesprochen und will meine Heldinnen auch nicht für ein Buch hergeben, das ‚Heldengeschichten‘ heißt.“
„Vielleicht ist es gerade dann ratsam, eine Heldinnengeschichte zu schreiben“, fuhr ihr Opi sanft fort. „Oder eine Held*innengeschichte, mit Sternchen. Wie wäre es mit einem Märchen über Sternchen-Held*innen, die das Gendersternchen eingeführt haben? Wäre das nicht süß?“
Sophie rollte nicht gänzlich überzeugt mit den Augen. „Schon … aber das werden sie doch sicher nicht nehmen. Sie drucken doch nichts, das sie selbst schlecht dastehen lässt.“
„Unterschätze nie die Lernwilligkeit der anderen, mein Kind“, sprach ihr Opi mit Überzeugung. „Wer weiß, vielleicht besitzen die Herausgeber*innen und der Verlag mehr Courage, als du ihnen zugestehst. Vielleicht nehmen sie deine Geschichte ja auch gerade um zu zeigen, dass sie zuhören, lernen und es besser machen wollen. Wäre das nicht schön? Auch für alle anderen, für die du stellvertretend diese Geschichte schreibst?“
Sophie runzelte die Stirn und dachte ein paar Augenblicke nach, bevor sie ihren Entschluss fasste. „Du hast Recht, Opi! Ich werde meine Geschichte schreiben und abschicken. Und wenn sie sie nicht nehmen, veröffentliche ich sie einfach auf meinem Blog.“
„Das ist mein Mädchen.“ Ihr Opi lächelte stolz. „Jetzt deck deinen alten Opi zu und lass ihn ein wenig dösen, der Sandmann ruft.“
„Solltest du dann nicht lieber ins Bett?“, fragte Sophie.
„Psst, meine kleine Heldin. Das ist sehr bequem gerade hier auf dem Sessel, und Opis dürfen mal faul sein. Und kein Wort zu Opa … sonst schimpft er später mit mir.“
„Gut, Opi!“ Sophie zwinkerte ihm verschwörerisch zu und zog die Decke über seine Beine. „Großes Heldinnenehrenwort.“
„Danke, meine kleine große Schriftstellerin“, sagte Opi und schloss die Augen. „Mögen die Musen dich umschwärmen.“
Sophie schaute ihrem Opi noch eine Weile zu, bis er im Schein des Kaminfeuers eingeschlummert war und sein Bauch sich sanft auf und ab wölbte. Nach einer Weile griff sie nach ihrem Einhornbleistift und begann zu schreiben: Eine wahre Held*innengeschichte – wie ich herausfand, dass meine Omi eigentlich mein Opi ist.
Über Aşkın-Hayat Doğan
Aşkın-Hayat Doğan kam 1980 in Berlin auf die Welt und verbrachte größte Teile seiner Kindheit in Ankara und Istanbul. Später studierte er Turkologie und Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin und verdingt sich als Übersetzer für Deutsch-Türkisch, Diversity-Trainer, Sensitivity Reader sowie Autor und Redakteur. Seit über einem Jahrzehnt setzt er sich mit Feminismus, Islamfeindlichkeit, Queerness, Gender und Rassismus auseinander und war von 2017 bis 2019 festangestellter Redakteur beim Uhrwerk Verlag für das Rollenspiel Splittermond. Auf Twitter findet man ihn unter @AskDoan1, seine Webseite ist www.ask-dogan.de. Die Anthologie „Urban Fantasy: Going Intersectional!“, die er zusammen mit Patricia Eckermann herausbringt, erscheint im Winter 2020 im Ach je Verlag.
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