So macht MANN das. Bernhard Fanger
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1 »Edeka«
Ich bin sauer. Verbittert. Frustriert und machtlos. Und ziemlich überflüssig.
So fühle ich mich während der letzten Tage meines Arbeitsverhältnisses bei einem internationalem Telekommunikationsunternehmen. Gekündigt nach über einem Jahrzehnt im Unternehmen per Aufhebungsvertrag. Nach Tausenden von unbezahlten Überstunden und einem Burnout ersetzt, noch während der Krankschreibung. Gewinner vor dem Arbeitsgericht, geschätzt von Kollegen, Lieferanten und Geschäftspartnern – und dennoch ein Loser. Zumindest fühle ich mich so.
»Edeka« hat das mal ein Kollege von mir genannt und meinte mit dieser Formel das »Ende der Karriere«. Ja, so empfinde ich das und kann noch nicht sehen, dass es auch ein Anfang von etwas anderem, etwas Neuem, etwas Besserem sein kann.
Ich werde zu einem Verwaltungsvorgang, zu einer Nummer. Fülle Formulare aus, gebe Autoschlüssel und Firmenausweis ab. Plötzlich sind Vorgesetzte nicht mehr zu sprechen, stattdessen erhalte ich Schreiben von Anwälten, die sich noch nicht einmal in den Fall eingearbeitet haben. Kein nächster Karriereschritt. Keine Abschiedsfeier. Keine Notiz im Intranet. Auf meine Frage, weshalb er mir aus dem Weg gehe, antwortet der Vorgesetzte meines Chefs etwas hilflos mit: »Ich dachte, das Thema wäre schon kommerziell gelöst.« Ich bin also ein »Thema«, das »gelöst« werden soll. Ich bin also kein Mensch mehr, viel eher ein Störfaktor.
Gleichzeitig spüre ich eine große Euphorie: Ich bin frei und mit einem finanziellen Polster ausgestattet. Ich muss keine taktischen Rücksichten mehr nehmen und bekomme Zuspruch von vielen Mitarbeitern, die mich als Chef und Kollegen schätzen. Doch: What's next? Von meiner beruflichen Neuausrichtung habe ich nur eine diffuse Vorstellung: Consulting, Training, Burnout-Prävention, Executive Coaching, Auszeit für Führungskräfte – das und noch viel mehr schwirrt mir durch den Kopf. Irgendwie alles und für jeden und am besten sofort! Gleichzeitig habe ich wenig Ahnung, wie ich das umsetzen werde nach Jahrzehnten im Angestelltendasein, trotz viel Erfahrung und Führungspositionen im In- und Ausland.
Dazu kommen immer wieder Zweifel, Ängste und auch Alpträume. Mit über 50 Jahren noch mal neu anfangen? Ich verstehe immer mehr, dass ein solcher Abschied aus einem Unternehmen – auch wenn es eine teilweise durchaus toxische Umgebung war – eine tiefe Kränkung darstellt. Und ich kann auf keine positiven Vorbilder zurückgreifen, die eine solche Situation für sich genutzt und ihre Verunsicherung und ihre Zweifel überwunden haben. Ich fühle mich sehr allein und suche mentale Unterstützung. Immer wieder lerne ich über Kollegen, durch Freunde meiner Frau, im eigenen Freundeskreis und per Internet Menschen kennen, die einen Neustart in der Lebensmitte gewagt haben. Einige wurden – wie ich – dazu gezwungen, andere planten diesen Schritt schon lange und bei wieder anderen war es schlicht eine günstige Gelegenheit, die sie beim Schopf ergriffen.
Gerade die ehemaligen Manager und Führungskräfte, die aus relativ gesicherten und angesehenen Positionen kamen, interessieren mich. Ich komme mit ersten ins Gespräch und sie alle erzählen mir, dass ihr Wunsch, sich zu verändern, fast nie spontan in ihr Leben trat, sondern meist schon lange Zeit in ihnen wuchs. Bis durch einen Rausschmiss oder eine andere Chance der entscheidende Moment da war und sie sich für eine Weiterentwicklung Richtung Selbstständigkeit entschieden.
Das Thema fasziniert mich so sehr, dass ich überlege, ein Buch dazu zu schreiben. Für dieses beginne ich »Spurwechsler«, wie ich sie bald nenne, zu interviewen. Diejenigen, die aus meinem bisherigen Umfeld kommen, lerne ich dabei noch einmal ganz neu kennen. Als sehr sympathische Menschen, denen Geld und Statussymbole mit der Zeit nicht mehr so wichtig waren. Ihre Position im Unternehmen und das damit verbundene Ansehen tauschten sie gegen innere und äußere Freiheit und eine deutlich höhere Lebensqualität. Und auch wenn sie sich immer wieder kleinen und großen Herausforderungen gegenübersehen, sind sie alle glücklicher als zuvor in der Corporate World. Etwa Lars Schepp, ein ehemaliger Marketing Direktor eines internationalen Konzerns. Er vertreibt heute gesundes Convenience-Essen. Bal Dobe, früher Finanzvorstand eines britischen Bankhauses, ist heute Meditationslehrer und Petr Štajner, ein bekannter tschechischer Telekommunikationsmanager, führt neben seinem Job ein Boutiquehotel in der südmährischen Weingegend. Alex Edwards, der ehemalige COO einer innovativen Internetplattform, hat sein Glück in Neuseeland gefunden. Er bietet dort Touren mit Pferden für Besucher und Touristen an. Und Werner Aigner, vorher zwei Jahrzehnte lang im Textil-Einzelhandel aktiv, arbeitet heute als Holzbildhauer.
Insgesamt habe ich über 20 Spurwechsler interviewt und mich dabei ganz bewusst auf Männer fokussiert. Denn während viele Frauen ab etwa 40 Jahren noch mal richtig Gas geben und neu durchstarten, weil ihnen die mittlerweile fast erwachsenen Kinder neue Freiheiten gewähren, resignieren Männer oft und gehen in die innere Emigration. Sie bleiben in der Rolle des Versorgers und teilweise auch des Opfers stecken. Oftmals fehlt ihnen der Mut, in der Lebensmitte etwas Neues zu wagen und altbekanntes Terrain zu verlassen. Sie fürchten bei einem Neustart insbesondere, ihren Status zu verlieren und sozial abzusteigen. Sind sich unsicher, ob ihre Partnerin und die Familie ihre Entscheidung mittragen würde. Gleichzeitig blockieren sie finanzielle Verpflichtungen. Etwa abzuzahlende Hypotheken für das Haus oder die zusätzlichen Kosten für die Ausbildung der Kinder. Der selbstgeschaffene goldene Käfig.
Es gibt viele Programme und Netzwerke speziell für Frauen. Das ist gut und richtig. Immer noch sind Frauen in Führungspositionen und auch in technischen (MINT-)Bereichen deutlich unterrepräsentiert. Aber sie holen auf, sie vernetzen und unterstützen sich gegenseitig, während Männer oft als einzelkämpferische Alpha-Tiere unterwegs sind. Von außen betrachtet sicher und entscheidungsstark, innerlich aber oftmals verzweifelt und erstarrt. Eingeschnürt in ein Korsett aus Verpflichtungen und gefühlten Verantwortungen, haben sie nicht gelernt, Hilfe zu suchen oder anzunehmen. Läuft es dann einmal nicht mehr ganz rund, weil die Karriere ins Stocken gerät oder familiäre Probleme auftauchen, ist es oft nur ein kleiner Schritt, der zu einem Absturz oder einer Erkrankung führt.
Viele sind auch unzufrieden mit ihrem Job und durch den sich permanent erhöhenden Anforderungsdruck Burnout-gefährdet. Denn das Rad dreht sich immer schneller. Wir stehen erst am Anfang der vierten industriellen Revolution: Gekennzeichnet durch Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz, nimmt ein immer agiler und globaler werdender Wettbewerb gerade