Bayerische Hinterhand. Dinesh Bauer

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Bayerische Hinterhand - Dinesh Bauer

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kurz und eilte zur Remise, zu den Pferden. Der Schreiber Sweth wagte kaum zu atmen. In der Gaststube war es so still, dass man nur das Ticken der Wanduhr hörte: »Tick-tack, Tick-tack!« Sweth beschlich das beklemmende Gefühl, dass ihre Zeit abgelaufen war. Die bayerischen Truppen waren ihnen dicht auf den Fersen. Jeden Moment konnte der Wachtposten draußen Alarm schlagen. Doch statt eines grimmig dreinblickenden Landsturmmanns trat die Schankmaid in die Stube. Die Steingutflasche kam vor Hofer zum Stehen: »Vergelt’s Gott!« Ein schüchternes Lächeln ließ ihre Wangen aufs Neue aufflammen: »Zum Wohlsein, Vater Hofer! Wirst sehen, Tirol geht nit unter. Vor den batzlaugerten Boarenfacken und den froschmaulerten Katzelmachern fürcht sich ein Tiroler Madl ned.« Diesmal gelang ihr der Knicks bedeutend besser und im Gehen ließ sie eine Reihe schneeweißer Zähne aufblitzen. Hofer sah ihr mit wehmütigem Blick hinterher, füllte sein Glas und stürzte es wie ein Verdurstender hinunter. Bedächtig wischte er sich mit dem haarigen Handrücken über den Mund, dann sah er eindringlich von einem zum anderen. Sein vom Kerschgeist getrübter Blick schärfte sich, so als ob er im Stande wäre, in den Gesichtern zu lesen, ob sich ein Verräter, ein zweiter Judas unter ihnen befand: »Unser Brüder Herz, es blutet. Seid indes getrost – ich lass enk ned im Stich!« Der Anführer der aufständischen Tiroler erhob sich mit einer solch ruckartigen Bewegung, dass er heftig gegen den Tisch stieß. Eines der Schnapsgläser fiel herab und zerbarst klirrend. Das Geräusch riss Sweth aus seinen Gedanken. War dies ein böses Omen? In seinem Schädel dröhnten das Klirren der Klingen, das Singen der Schwerter, der Knall der Stutzen und Musketen. Hörte das jemals auf? Hatten sie den bitteren Kelch nicht schon bis zur Neige geleert? Tief im Inneren wusste der Schreiber, dass er, Hofer und all die anderen hier einer verlorenen Sache dienten.

      Herz Sieben

      Die »Linde« zu Grainbach war einer jener magischen Orte, um rituelle Schlachtfeste zu zelebrieren und den Ahnen zu opfern. Was für einen Japaner der Shinto-Schrein und der Sake, waren für einen Bayern das Fass und die Maß. In den Wirtsgärten beschworen die Adepten der überkommenen Bräuche und Traditionen nicht nur die Geister der guten, alten Zeit, sondern frönten auch rein weltlichen Vergnügungen. Diesseits und Jenseits gehörten hierzulande zusammen wie die Sau und der Speck, wie der Mensch und der Dreck. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Beim Wetter allerdings musste man im Oberland mit allem rechnen. Mit Schnee im August wie mit Föhnstürmen im Februar. Vorige Woche hatte ein heftiger Flockenwirbel das frische Grün glasiert. Raureif hatte Feld und Flur überzuckert. Endlich war die Eiszeit passé, der Frühling eingekehrt. Ein laues Lüftchen ließ die ersten Blätter in Bäumen und Büschen rascheln. Die Luft war von samtener Konsistenz, das Licht flauschig und flaumig. Kreidegriffel kratzten Zaubersprüche auf die Schiefertafeln: »Biergarten geöffnet«. Auf den Balkonen stapelten sich die Blumenkästen, bald würde darin das Scharlachrot der Geranien erblühen. Lichtgirlanden schlängelten sich wie Riesenschlangen von Ast zu Ast. Aus den Lautsprecherboxen jodelte alpenländische Folklore, Boarische oder Zwiefacher. Die ersten Starkbier-Striezi suchten sich ein Sonnenplätzchen. Die Haut fahl und fleckig, die Speckschicht stattlich. Der Winter hatte deutliche Schmauchspuren hinterlassen. Die kraftstrotzenden Naturburschen in den alten Heimatfilmen à la »Jäger von Fall« sahen anders aus. Da entsprach der Lindenwirt schon eher dem Archetyp des strammen Mannsbilds: breitschultrige, kräftige Statur, muskelbepackte Oberarme, dazu ein fein gezwirbelter Schnurrbart, der die kantigen Züge perfekt zur Geltung brachte. Wie es sich für einen urtümlichen Gamsbart-Gastronomen geziemte, war er in Loden und Leder gewandet. Mit Adleraugen kontrollierte er, ob vor Ort alles picobello war. Die Inspektion fiel zu seiner vollsten Zufriedenheit aus, sodass er am Rückweg seiner Stamm-Kellnerin Irmi gravitätisch zunickte: »Fesch bist beinand, zum Anbeißen!« Irmi hatte sich auch alle Mühe gegeben: die weiße Bluse, das grüne Dirndl, den rosafarbenen Rock mit Blümchenmuster aus dem hintersten Winkel des Bauernschranks gezerrt. Sogar ein gelbes Bändchen hatte sich Irmi in das zum Zopf gebundene Haar geflochten. Das Bier würde nur so aus den Zapfhähnen schießen, der Appetit auf Schweinshaxen und Zigeuner-Spießchen riesig, das Trinkgeld dementsprechend üppig sein. Noch hatte Irmi Zeit, um die Boazn-Bagage, die sich in ihren speckigen Garnituren um den Stammtisch geschart hatte, auf Touren zu bringen. Das mit animalischen Grunzlauten unterlegte Geknurre mochte bei einem des bayerischen Idioms unkundigen Beobachter den Eindruck erwecken, dass eine Horde Neandertaler die letzte Eiszeit unbeschadet überstanden hatte. Aus heiserer Kehle krächzte der Buchwieser Wigg: »I sog oiwei gegga an Misthaufen kannst ned ostinga!« Der zweite im Bier-Bunde, der Unterleitner Rudl, nuckelte an seinem Glas: »Es ist doch so: Gschlampert macht wampert, das ist ein Gesetz der Natur!« Angesichts dieser tiefgründigen Stammtisch-Weisheiten mochte Trachtenträger Nummer Drei, der Glaserer Gustl, nicht zurückstehen: »Wie beim berühmten Satz des Pythagoras, von nix kummt nix.« Der Vierte in der Zecher-Runde, ein vierschrötiges Mannsbild vom Format des Riesen Goliath, meckerte wie ein Ziegenbock: »Das ist eine Sentenz von Sokrates. Dich haben s’ auch mit Semmelbröseln aus’m Woid rausgelockt.« Unterleitner hatte unterdessen sein Glas geleert und kniff die Kellnerin ungeniert ins gut gepolsterte Hinterteil: »Ah, du Hirnbeiß! Das ist das Paradoxon des Diogenes! Sei so guad und bring mir noch ein Helles!« Irmi rüffelte den ungehobelten Lackel: »Nimm deine dreckerten Pratzen weg, alter Saubär!« Irmi schlug einen geschäftsmäßigen Ton an: »Noch was? Dann muas i ned zwoamoi roaffen!« Die Antwort kam wie aus einer Kehle: »Zwei Halbe Dunkle und ein Weißbier!« Der Riese mit dem Körperbau eines Gorillas, der Wachtveitl Hias, feixte vergnügt: »Dei Vater war a Bräuross ha, i moan bei dem broaden Oarsch?« Die Malz-Matz war nicht auf den Mund gefallen. Mit gekonntem Hüftschwung zeigte sie den Boaznbrüdern ihre rückwärtigen Reize: »Red du nur, du aufgestellter Mausdreck! Erbsen, Bohnen, Linsen – lassen des Oaschal grinsen!« Drei der Stammtischbrüder glucksten, als ob jemand einen zotigen Witz gerissen hätte. Der Wachtveitl Hias murrte griesgrämig in seinen Prinzregenten-Gedächtnisbart: »Weiber sterben is koa Verderben, Vieh verrecka, des ko schrecka!« Es war wie mit Yin und Yang, Tag und Nacht. Eine ewige Polarität, die die Funken fliegen ließ. Ein Scheitl allein im Kamin aber brannte schlecht.

      An Tisch Nummer fünf ging es beileibe nicht so zünftig und fidel zu wie bei den Boaznbrüdern nebenan. Vier Männer saßen schweigend da, ihre Mienen so unergründlich wie die bayerische Seele. Verstohlene Blicke suchten in den Gesichtern ihrer Mitspieler zu lesen. Kryptische, wie von einer Codiermaschine verschlüsselte Sätze waren zu vernehmen: »Auf die Bumms!«, »Den pack i dant!«, »Mit der Oidn, bist gut ghoitn!«, »Hau a Pfund nei!« Das Schafkopf-Vokabular war nur jenen vertraut, die in die Mysterien von Ober und Unter eingeweiht waren. Schafkopf war kein Kinderspiel, nein! Hier wurde die hohe Kunst des Kartelns zelebriert. Jeder der vier suchte zu ergründen, wie es um das gegnerische Blatt bestellt war, welche Trümpfe der Vordermann in der Hinterhand hatte. Den Blauen, den »Alten« gar? War er farbfrei, in Schellen, in Eichel? Dem Habichtsblick eines erfahrenen Zockers entging nichts, kein Zucken im Mundwinkel, kein Zeichen des Zögerns und Zauderns. Es galt die Absichten des Gegners zu erahnen, im richtigen Moment einzustechen, um mit einem Stich möglichst viele »Augen« einzustreichen. Eine Sau zählte 11, der Zehner 10, der König 4, ein Ober 3, ein Unter 2 Augen. Die »Luschen«, also Neuner, Achter und Siebener waren »Nullen«. 120 Augen respektive Punkte waren im Spiel, mit 61 war der Sack zu. Und allein darum ging es.

      Fair Play war am Kartentisch verpönt, da ging es derb und deftig zu. »So eine Sudsau, so eine verreckte!«, »Abgestochen hätte die Sau gehört!«, »Die Farbe musst du nachspielen, du Trottel!« Das Meckern, Schimpfen und Granteln gehörte einfach zum bayerischen Naturell. Sepp Sonnleitner war ein Parade-Bayer und ein ausgebuffter Kartenfuchser dazu. Schafkopf und Tarock waren für Sonnleitner das, was für Okkultisten und Nekromanten das Tarot war. Mit Argusaugen verfolgte er das Spielgeschehen. Sein Bordcomputer lief auf Hochtouren. Ein eingefleischter Kartler wusste stets, wie viele Punkte bereits vergeben waren. Sein Nebenmann stupste ihn unter dem Tisch an. Ein sicheres Zeichen, dass sein alter Spezl Vitus »Veitl« Rabensteiner ein mieses Blatt hatte. Bei ihm sah es indes nicht besser aus. Fortuna war ihm nicht gewogen. Er lugte zu Rabensteiner hinüber, der wie aus dem Landei gepellt war: kuhbraune Lederhose, blau-weiß kariertes Hemd, samtschwarzes Gilet mit rot paspelierten Taschen, fichtengrüner Trachtenhut mit Band und Kordel. Von der Statur her glich Rabensteiner einem Sumo-Schwergewichtler. Mit seinen Bären-Pranken, den muskulösen Oberarmen und dem Brustkorb eines Zugochsen

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