Bayerische Hinterhand. Dinesh Bauer
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Rabensteiner jauchzte schadenfroh: »Feine Farbe. Schon blöd ha? Dein Freunderl aus Tirol ist frei – und ich hau ein Pfund nei!«
Ehgartners Gesicht war eine Grimasse wilder Entschlossenheit. »Ich ziehe euch Schafbeidlwaschern die Lederhosen stramm!« Beim Schafkopf ging es ums Ganze, um Gedeih oder Verderb, um Leben oder Tod.
Der Kampf der Titanen ging in die entscheidende Phase. Sie hatten 56 Augen am Konto. Fünf Augen noch – und der Sieg wäre ihrer! Ein Solo mit vier Laufenden plus Stoß – beim bloßen Gedanken daran wurde ihm schummerig. Der Parade-Patriot hatte sich verbissen gegen das drohende Debakel gestemmt und seine Trumpf-Flöte ausgespielt. Fünf Stiche in Folge gemacht, doch noch war er gerade mal Schneider frei. Ehgartner war ein Alpha-Tier, das gern groß auftrumpfte. Andererseits war er ein schlauer Fuchs, der wusste, wie man ein Hühnchen rupfte. Der letzte Stich würde der alles entscheidende sein. Hatte der Tiroler noch ein As im Ärmel? Im Eifer des Gefechts hatte Sonnleitner den Überblick komplett verloren. An sich unverzeihlich – doch in dieser Ausnahmesituation verständlich. Am Tisch war es totenstill wie im Leichenschauhaus bei der Autopsie. Es war so still, dass man eine Sektionsnadel hätte fallen hören. Sepp suchte in den Mienen seiner Mitspieler zu lesen wie eine Hellseherin im Kristallglas. Rabensteiner kaute unschlüssig auf seiner Unterlippe herum. Fichtners Gesichtsmuskeln zuckten unkontrolliert. Ehgartners Batzelaugen glänzten gierig. »Rück den Herz Zehner raus! Euch Bratwürste röste ich auf dem Kugelgrill.« Fichtners Finger krampften sich um die letzte Karte. »Kreuz Kruzifix, dieser oreidige Unterweltler sticht mir den Zehner ab!«
Um Ehgartners Froschmaul spielte ein schurkisches Lächeln, als er die Spielkarte mit den vier roten Herzen aufdeckte. »Die Herzsau, die Herren, und die sticht …«
Ein dumpfer, eigentümlich verzerrt klingender Knall. Ein Sirren, als ob Pfeile von einer Sehne schwirrten. Dann ein Ploppen, als ob man einen Korken aus dem Hals einer Bardolino-Buddel zog. Er war Jäger, er wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Harter Stahl traf auf weiches Fleisch, ließ Knorpel und Knochen splittern. War dies das Ende, würde er gleich in den Hades hatschen? Müsste er nicht einen brennenden Schmerz verspüren? Müsste er nicht wie ein Ochs am Spieß brüllen, wenn sich die Kugel in ihn bohrte? Noch etwas machte ihn stutzig: Ein aus einem Gewehrlauf abgefeuertes Projektil legte 800 bis 1.000 Meter pro Sekunde zurück. Folglich musste das Geschoss ein anderes Ziel gefunden haben. Diesen vermaledeiten Tiroler Kaspressknödelfresser etwa? Ein unterdrücktes Stöhnen ließ ihn herumfahren. Ehgartner! Sein massiger Körper drehte sich wie ein Kreisel um die eigene Achse. Sein Gesicht war wie aus Wachs gegossen, die Lippen blutleer und bleich, die Augäpfel seltsam verdreht. Aus dem schwarzen Loch in seiner Brust quoll Blut. In einem verzweifelten Versuch, das Unvermeidliche hinauszuzögern, presste er beide Hände auf die Wunde: »Was passiert da mit mir? Um mich dreht sich alles …« Sonnleitner war wie paralysiert, unfähig, dem Sterbenden Trost zuzusprechen. Ehgartner hauchte: »Ganz entrisch ist’s mir zu Mut …« Ein konvulsivisches Zucken lief durch den schweren Leib, das Herz, die Atmung setzten aus. Der seidene Faden zerriss, das Röcheln erstarb. Sonnleitner war zur Salzsäule erstarrt. Um ihn herum lief alles wie in Zeitlupe ab. Stühle fielen um, geisterhafte Schatten huschten davon. Es war wie im Film, wie in einem Western, in irgendeinem Saloon. Das Klaviergeklimper erstarb, ein Stetson flog in den Staub, der Falschspieler kippte kopfüber auf den Poker-Tisch. Eine gezinkte Karte rutschte aus dem Ärmel seines grau melierten Jacketts. Ein Pik As. Ehgartner hatte verspielt. Der Boandlkramer die besseren Karten.
Gras Sieben
Die Gerstensaft-Genossen am Stammtisch spitzten die Luchsöhrchen. Vier Augenpaare spähten suchend umher. Rudl, Wigg, Gustl und Hias wechselten hastige Blicke. Auf ihren Gesichtern lag ein verwirrter, konsternierter Ausdruck. Die Gefahrenlage war offensichtlich. Rudl reagierte als Erster: »Sakrament, die schießen scharf. Obacht, obi!« Gustl schrie aus Leibeskräften: »Runter, macht’s die Schildkröte!« Die »Jägermeister« reagierten prompt. Mit einer Behändigkeit, die man den Zechköpfen so kaum zugetraut hätte, gingen sie im Schutz des Stammtisches in Deckung.
»Was hat der vor?«, zischelte Wigg.
»Dabei san ma grod so gemütlich z’sammghockt«, entrüstete sich Hias.
»Unsere Scheißpolitiker müssen ja auch das ganze Muslim-Gschmeiß reinlassen«, suchte Gustl die Schuld in Berlin zu orten.
Rudl hatte eine andere Tätergruppe im Auge: »Das ist gewiss so ein Bio-Puritaner, der uns die Schweinshaxen ned vergönnt!«
»Das Bier wollen s’ uns verbieten, diese Bionade-Zuzler«, stimmte Wigg in das Lamento ein. Um nicht unter die Rubrik »Kollateralschäden« zu fallen, verfolgte das Quartett die Geschehnisse aus der Krötenperspektive.
Die schmucke Kellnerin war von anderem Kaliber als die hasenherzigen Hopfenheroen. Ihr erster Gedanke galt dem zerbrechlichen Gefahrgut in ihren Händen, erst der zweite der persönlichen Unversehrtheit. Das mit Gläsern beladene Tablett kam leise klirrend auf der Anrichte zum Stehen, dann huschte Irmi hinter die nächstbeste Kastanie. Im Biergarten regte sich nichts. Kein Psycho lief mit abgesägter Schrotflinte Amok. Keine Schmerzensschreie gellten durchs Grün. Irmi dachte nach – es waren einige Schüsse gefallen. Drei oder vier. Danach war unter den Kastanien die Stille des Todes eingekehrt. Hatte der Attentäter den Rückzug angetreten? War die Gefahr gebannt? Eine unbändige Wut kroch in Irmi hoch. Diese schießwütige Schlammsau hatte ihr das Feierabendgeschäft vermasselt – und zwar gründlich.
Sepp Sonnleitner quälten ähnliche Fragen wie Irmi und die Zecher-Crew: Was führte dieser bleiwütige Irre im Schilde? Spielte er Katz und Maus mit ihnen? Sepp kauerte in seltsam verkrümmter Körperhaltung unterm Tisch. Lauerte dort draußen der Tod? Keine zwei Armlängen entfernt hielt Ehgartner Zwiesprache mit Petrus an der Himmelspforte. Sein Körper war in sich zusammengesackt, die Gliedmaßen unnatürlich verrenkt. Noch immer tröpfelte Blut von der Tischkante und formte einen kupferfarbenen Klecks im Kies. Kein erbaulicher Anblick. Er musste hier weg, musste die Initiative zurückgewinnen. Der Lindenwirt hatte hoffentlich die 110 gewählt und die Einsatzzentrale verständigt. Sein Handy lag dummerweise dort, wo es immer lag, wenn er es brauchte: im Handschuhfach seines Ladas. Wie er es in der Grundausbildung gelernt hatte, robbte er bäuchlings über den Boden.
Rabensteiner deutete wild gestikulierend zum Kirchberg hinauf: »Der Schütze hockt dort droben, am Friedhof! Da verwette ich meine geblümten Unterhosen drauf!«
»Da sitzt er doch wie auf dem Präsentierteller. An seiner Stelle hätte ich mich jedenfalls längst verzupft.«
Rabensteiners Kantkopf bewegte sich ruckartig hin und her: »Andererseits wartet er vielleicht nur darauf, dass wir unvorsichtig werden.« Sonnleitner dachte angestrengt nach, eine tiefe Furche teilte seine Stirn. Der Eintrittswinkel des Geschosses ließ nur einen Schluss zu: Der Schütze hatte sich oberhalb von ihnen befunden, hatte sich auf einem Dach oder einem Hügel postiert. »Was meinst«, raunte Veitl, »Entfernung 250 Meter?« Luftlinie wohlgemerkt.
»An die 300«, korrigierte er. Es war klar, was zu tun war. Schließlich waren sie erfahrene Waidmänner und keine heurigen Hasen. Sie würden einen Haken schlagen und von der ungeschützten Flanke her angreifen. Hätte es sich bei dem Opfer um einen Urlaubsgast oder gar einen Isar-Preißen gehandelt, hätte Sonnleitner dem Attentäter höchstens ein Glückwunschtelegramm geschickt. In diesem Fall aber hatte der Dreckrammel eine rote Linie überschritten. Erwin Ehgartner war von »ihrem Stamm«, ein Inn-Indianer – und seine Stammesbrüder würden ihn rächen.