Der letzte Prozess. Thomas Breuer
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Mit mir nicht, Bürschchen, dachte der. »Kripo Paderborn«, reagierte er in unangemessen autoritärem Tonfall und hielt dem Schnösel seinen Dienstausweis entgegen. »Kriminalhauptkommissar Lenz und Kriminalkommissarin Gladow. Wir möchten mit der Leitung des Hauses sprechen.«
»Da steht aber nicht Paderborn«, wandte der Knabe altklug ein, »da steht Hamm. Sind Sie hier überhaupt zuständig?«
»Sieh mal an«, sagte Lenz erstaunt zu seiner Kollegin. »Der Wackeldackel kann lesen.«
Die Kommissarin zwinkerte dem jungen Mann schelmisch zu.
»Dann werde ich Sie mal anmelden.« Wieder kein Blick zu Lenz, nur dieses balzende Lächeln in Gina Gladows Richtung. Aber immerhin griff der Jüngling zum Telefon. »Frau Finke, hier sind zwei Leute von der Polizei für Sie. Eine äußerst attraktive junge Dame und ein …« er taxierte Lenz abschätzend von Kopf bis Tresenoberkante, »… eher unscheinbarer älterer Herr. – Ja, ist gut.« Er legte auf und kündigte an: »Frau Finke kommt sofort.« Lächeln, balzen, Filzsträhnen präsentieren.
Gina Gladow lachte und schüttelte leicht den Kopf.
Arschloch, dachte Lenz. Er atmete erst auf, als eine Frau von etwa Anfang bis Mitte vierzig die Treppe herunterkam und ihn aus dem nervigen Geknister erlöste. Sie trug helle Freizeitkleidung, was Lenz, der automatisch in solchen Einrichtungen immer mit Krankenschwesternkitteln rechnete, erfreut zur Kenntnis nahm. Auch die sportliche Art, mit der sie ihnen entgegenfederte, gefiel ihm.
»Kerstin Finke«, stellte sich die Frau mit Handschlag vor. »Ich bin die Leiterin dieses Hauses. Kommen Sie wegen Herrn Kottmann?«
»Richtig, Frau Finke. Mein Name ist Stefan Lenz, das ist meine Kollegin Gina Gladow.« Lenz drehte dem Bob Marley für Arme betont den Rücken zu. »Können wir uns in Ihrem Büro weiter unterhalten?«
»Natürlich. Kommen Sie.« Sie federte ihnen voraus die Treppe hinauf und bog nach links in einen Flur ab, an dessen Glastür in schwarzen Klebebuchstaben Verwaltung stand.
Auch das Büro der Residenz-Leiterin hatte so gar nichts von dem üblichen Krankenhaus- oder Altersheim-Ambiente, wie Lenz es aus dem Ruhrgebiet kannte. Es war hell und farbenfroh und atmete eher die Atmosphäre eines CEO-Büros in einem aufstrebenden Internet-Startup. Vor dem Fenster breitete sich ein Schreibtisch mit einer Glasplatte aus, auf der ein stylischer Apple-PC coole Eleganz repräsentierte. Großformatige, hochglänzende Architektur-Fotos hinter Glasrahmen hingen an den Wänden. Die linke Seite des Raumes wurde von einer schwarzen Ledergarnitur mit Glastisch eingenommen. Dorthin wies Frau Finkes einladende Hand. Offenbar handelte es sich bei der Seniorenresidenz Friedenstal um eine exklusive und sicher sehr teure Einrichtung.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten? Cappuccino, Wasser?«
»Ein Cappuccino wäre nett«, antwortete Lenz erfreut und nahm auf dem Sofa Platz.
»Für mich bitte ein Glas Wasser.« Gina Gladow setzte sich in einen der beiden Sessel und schlug sofort die Beine übereinander.
Lenz, der sich mit körpersprachlichen Signalen auskannte, nahm erfreut zur Kenntnis, dass sich seine Kollegin zwischen Frau Finke und ihm nicht wohlfühlte und hinter einer Mauer verschanzte. Sogar die Arme verschränkte sie nun vor ihrer Brust. Prima, den Moment würde er auskosten. Wer konnte schon wissen, wie oft er noch Gelegenheit dazu bekommen würde?
Kerstin Finke bediente einen Kapselautomaten und während rauschend und zischend nacheinander zwei Cappuccino-Tassen vollliefen, öffnete sie eine Flasche Mineralwasser und stellte sie mit einem Glas vor Gina Gladow auf den Tisch. Nachdem auch Lenz versorgt war, setzte sie sich mit ihrer Tasse in beiden Händen in den anderen Sessel und blickte ihn fragend an.
»Tja, Frau Finke«, begann er vorsichtig. »Wir haben heute Morgen einen alten Mann in Wewelsburg aufgefunden. Ob es sich dabei um Ihren Bewohner Anton Kottmann handelt, wissen wir leider nicht.«
Die Residenzleiterin blickte ihn verständnislos an. »Konnten Sie ihn nicht fragen? Ist etwas mit ihm passiert? – Was heißt überhaupt ›aufgefunden‹?«
»Nun, der Mann ist tot.«
Frau Finkes Cappuccino schwappte in der Tasse, als sie sie hart auf der Glasplatte absetzte. Mit heiserer Stimme fragte sie: »Was ist passiert?«
»Das wissen wir noch nicht. Fest steht bislang nur, dass es kein natürlicher Tod war.«
»Das heißt …«
»Jemand hat den Mann ermordet.«
»Ermordet?« Kerstin Finke schüttelte leicht den Kopf, während sie versuchte, das Gehörte langsam zu verarbeiten. »Und wie? Ich meine …«
»Er wurde mit einem Stein erschlagen«, kam es hart von Gina Gladow, während Lenz noch nach einer rücksichtsvollen Formulierung suchte.
»Erschlagen? Mit einem Stein?« Ungläubig wanderte Kerstin Finkes Blick zwischen Lenz und seiner Kollegin hin und her.
»Nachdem er zuvor ausgepeitscht und gefoltert worden ist«, ergänzte die Kommissarin kalt. »Und der Stein war auch eher ein Felsbrocken. War kein schöner Anblick. Das Gesicht ist nicht mehr zu erkennen.«
Lenz blitzte sie an. Es war nun wirklich nicht nötig, derart ruppig mit der armen Frau umzugehen. Schlimm genug, dass es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um einen ihrer Schützlinge handelte. Diese Details hätte man der Frau doch wohl ersparen können.
Konnte man nicht, fand seine junge Kollegin offenbar und zeigte Kerstin Finke zwei Tatortfotos auf ihrem Handy. Entsprechend schockiert zuckte die Residenz-Leiterin in ihrem Sessel zurück.
Gina Gladow zog mit zwei Fingern ein Foto auf. »Erkenne Sie vielleicht, ob es sich bei der Kleidung um die von Herrn Kottmann handelt?«
»Nein«, antwortete die Residenzleiterin wie paralysiert. Schließlich stand sie auf und ging ein paarmal schnell im Raum auf und ab. Zweimal blieb sie vor Lenz stehen, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, konnte das dann aber nicht und nahm ihren Weg wieder auf. Während Lenz der Tigerei besorgt folgte, drückte Gina Gladows Gesicht so etwas wie Belustigung aus, aber sie enthielt sich zu Lenz’ Erleichterung eines Kommentars.
Als Kerstin Finke endlich wieder saß und mit zittrigen Fingern abwesend an ihrem Cappuccino nippte, signalisierte der Hauptkommissar seiner Kollegin mit drohend erhobenen Augenbrauen, dass sie sich nun zurückhalten sollte, und erntete dafür ein Stirnrunzeln. »Hat Herr Kottmann irgendwelche besonderen Merkmale, die uns Sicherheit bringen könnten?«, fragte er.
»Besondere Merkmale? Nein.«
»Hat er vielleicht eine Narbe an der Innenseite des linken Oberarmes?«
Die Residenzleiterin sah ihn verständnislos an und hob und senkte die Schultern. »Da müsste ich unser Personal fragen. Allerdings bezweifle ich, dass Ihnen jemand diese Frage beantworten kann. Herr Kottmann benötigt nämlich keine Unterstützung bei der täglichen Pflege.«
»Tja, dann kann uns nur noch eine DNA-Probe weiterhelfen«, stellte Lenz fest, »vielleicht ein Kamm oder seine Zahnbürste. Um keine Zeit zu verlieren, möchten wir uns außerdem schildern lassen, wie Herr Kottmann aus Ihrer Residenz verschwunden ist. Die genauen Umstände und zeitlichen Abläufe könnten für uns gegebenenfalls bei der Suche nach dem Täter von Bedeutung sein.«
»Ja,