Der letzte Prozess. Thomas Breuer

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Der letzte Prozess - Thomas Breuer

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hat die Bewohner, die noch fit genug sind, nach der Mittagsruhe hinunter in den Park gebracht. Das Wetter war ja für diese Jahreszeit ungewöhnlich schön, nicht zu kalt, kein Wind, die Sonne schien, eigentlich ideal. Das war so gegen fünfzehn Uhr. Als unser Pfleger Wolfgang sie dann gegen siebzehn Uhr wieder reinholen wollte, war Herr Kottmann nicht mehr da.«

      »Wie: nicht mehr da?«, hakte Gina Gladow verständnislos nach. »Einfach weg? Können die hier ein- und ausgehen, wie sie wollen? Guckt denn zwischendurch niemand nach den alten Leuten?«

      Lenz hätte sie erwürgen können, als er registrierte, wie Kerstin Finke bleich wurde und betroffen den Blick senkte.

      »Doch, natürlich. Wann Herr Kottmann verschwunden ist, wissen wir nicht genau. Mario hat den Rest des Nachmittags am Empfang gesessen. Dort ist er nicht vorbeigekommen.«

      »Gibt es noch einen anderen Zugang zum Park?«, beeilte sich Lenz mit der Nachfrage, weil Gina Gladow schon wieder den Mund öffnete.

      »Ja, zur Seite des Gebäudes ist noch eine Zufahrt. Aber das Tor dort ist immer abgeschlossen und das war es auch am Dienstag. Ich habe das sofort kontrolliert.«

      »Der alte Mann kann ja nicht verdunstet sein«, stellte Gina Gladow lapidar fest.

      Lenz räusperte sich vernehmlich. Er würde nachher ein erns­tes Wort mit seiner Kollegin wechseln. Offenbar musste die doch noch viel lernen. Vor allem, Anweisungen von Vorgesetzten zu folgen; selbst dann, wenn die nur mimisch ausgedrückt wurden. »Dann möchten wir mit Mario und Wolfgang sprechen«, stellte er an Kerstin Finke gewandt fest.

      »Ja, natürlich.« Die Residenz-Leiterin sprang auf, ging zum Schreibtisch und griff nach dem Telefonhörer. »Gitta? Schickst du mal bitte jemanden runter zum Empfang, damit er Mario ablöst? Und dann sollen Mario und Wolfgang in mein Büro kommen. – Nein, nicht gleich, jetzt sofort! Danke.«

      Lenz gefiel die professionelle Art, in der sie in kürzester Zeit die Fassung wiedergewonnen hatte. Dass er sie bewundernd anstarrte, merkte er erst, als er ihren fragenden Blick auf sich ruhen fühlte. Verlegen lächelte er sie an und konzentrierte dann seine ganze Aufmerksamkeit auf seinen Cappuccino.

      Mario war also der Filz-Heini. Bufdi, das war eine passende Bezeichnung, rein phonetisch und völlig unabhängig von der eigentlichen Bedeutung. Das Bild des hämisch grinsenden Jünglings geisterte vor ihm herum und ließ sich zu seinem Ärger nicht wieder vertreiben. Er blickte zur Seite und stellte fest, dass Gina Gladow die Leiterin mit Genugtuung fixierte, die schweigend und mit gesenktem Kopf an ihrem Schreibtisch lehnte.

      Nach wenigen Minuten klopfte es kurz an die Bürotür und zwei junge Männer traten ein: Filz-Mario in seinem Schlabberlook und ein etwa fünfundzwanzigjähriger muskelbepackter Hüne mit Bürstenschnitt, T-Shirt, Jeans und weißen Crocs. Der Gegensatz hätte kaum deutlicher ausfallen können. Sie blieben nebeneinander mit etwa zwei Metern Abstand vor ihrer Chefin stehen und warteten schweigend.

      »Die Herrschaften von der Polizei haben Fragen zu dem Verschwinden von Herrn Kottmann«, erklärte sie mit belegter Stimme.

      »Setzen Sie sich bitte«, forderte Lenz die jungen Männer auf und deutete auf das Sofa, während er selbst hinüber in den freien Sessel wechselte.

      Als sie der Aufforderung gefolgt waren, wandte er sich zunächst an Mario. »Frau Finke hat angegeben, Sie hätten Herrn Kottmann gegen fünfzehn Uhr hinunter in den Park gebracht. Ist Ihnen dabei etwas aufgefallen? War da jemand im Park, der kein Bewohner ist? Ein Besucher vielleicht oder ein Angehöriger?«

      »Nein, alles war wie immer. Der Kottmann hat sich auf eine Bank in der Sonne gesetzt.«

      »Herr Kottmann«, korrigierte Kerstin Finke.

      »Und ich bin dann gleich wieder rein, um die anderen zu holen«, fuhr Mario ungerührt fort.

      Lenz fixierte den Filz-Bufdi kalt. »Später hatten Sie Dienst am Empfang?«

      Mario nickte.

      »Hat während Ihres Dienstes jemand das Haus betreten, der hier nicht wohnt oder arbeitet?«

      »Keine Ahnung. Nachmittags kommen häufig Angehörige oder die Sozialtanten von der Caritas. Da achten wir nicht so drauf. Angesprochen hat mich jedenfalls keiner.«

      »Welche ›Sozialtanten von der Caritas‹?«, hakte Lenz bei Kerstin Finke nach und machte dabei schon durch seine Betonung deutlich, dass er den verfilzten Mario für einen Kotzbrocken hielt.

      »Er meint die Damen, die sich um unsere alten Leute kümmern, sich mit ihnen unterhalten, ihnen etwas vorlesen und so.« Sie wandte sich dem Bufdi zu und blitzte ihn grimmig an. »Ich habe dir schon mehrfach gesagt, Mario, dass deine Ausdrucksweise unangemessen ist. Wenn du nicht ab sofort respektvoller mit anderen Leuten umgehst, werde ich deinen Bundesfreiwilligendienst hier bei uns beenden!«

      »Jaja«, machte Mario. »Ich werd’s mir merken.«

      Lenz zwinkerte der Leiterin anerkennend zu. »Und Sie?«, fragte er dann den Pfleger. »Wann haben Sie sich um Herrn Kottmann gekümmert?«

      »Ich bin um vier Uhr in den Park gegangen und habe nachgesehen, ob alles in Ordnung ist. Sobald die Sonne weg ist, ist es ja noch ziemlich kalt draußen. Da hat Herr Kottmann mit Herrn Merschhaus und Frau Körting an einem der Gartentische gesessen und sich unterhalten. Um fünf habe ich angefangen, die Herrschaften wieder in ihre Zimmer zu begleiten. Da wurde es dunkel und ab halb sechs gibt es Abendessen.«

      Lenz stellte fest, dass die respektvollere Ausdrucksweise Wolfgang keinerlei Schwierigkeiten bereitete und auch nicht aufgesetzt klang. Der junge Mann hat ein anderes Format als Gammel-Bufdi Mario, dachte er. »Als Sie in den Park kamen, um Herrn Kottmann zu holen, war er nicht mehr da?«, fuhr er fort.

      »Nein. Ich habe zunächst angenommen, dass er alleine raufgegangen ist. Herr Kottmann gehört zu unseren agilsten Bewohnern, obwohl er schon vierundneunzig ist. Aber als er weder in seinem Zimmer noch im Aufenthaltsraum war, habe ich Frau Finke Bescheid gesagt.«

      Sie nickte. »Wir haben das ganze Haus abgesucht und ihn nicht gefunden. Ich habe sofort Mario und Wolfgang in die Stadt geschickt. Es kommt schon mal vor, dass der eine oder andere unserer dementen Bewohner unbemerkt am Empfang vorbeikommt und durch die Stadt läuft. Herr Kottmann ist zwar nicht dement, aber es hätte ja sein können, dass er bei Rossmann oder Combi etwas einkaufen wollte. Aber auch da hat ihn niemand gesehen. Also habe ich die Polizei informiert.«

      »Ist Ihnen irgendetwas komisch vorgekommen, als Sie im Park waren?«, fragte Lenz den Pfleger. »Leute, die da nicht hingehörten, zum Beispiel?«

      »Nein, alles war wie immer. – Entschuldigen Sie, ist irgendetwas passiert? Ich meine, Sie sind doch nicht hier, weil Sie uns all das noch einmal fragen wollen, was Ihre Kollegen auf der Wache schon gefragt haben.«

      Kluger Junge, dachte Lenz. Super-Mario ist offenbar schlichter gestrickt und hat nicht so weit gedacht. Oder sollte der Aushilfs-Marley schon wissen, was passiert war? Aufmerksam behielt Lenz den Unsympathen im Auge, als er die jungen Männer über den Leichenfund und die Möglichkeit informierte, dass es sich bei dem Toten um Anton Kottmann handeln konnte. Wenn er auf verräterische Zeichen gewartet hatte, wurde er nun enttäuscht. Beide Männer waren gleichermaßen überrascht und bestürzt.

      Für einen Moment verschlug es Mario sogar den Atem. Er keuchte schwer und flüsterte: »Mein Gott.«

      Entweder ist er ein guter Schauspieler,

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