Der letzte Prozess. Thomas Breuer
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Wolfgang kam wieder aus dem Beratungsraum der alten Leute und stellte sich neben Gina Gladow, die augenblicklich einen großen Schritt von ihm weg machte.
»Sind die Zimmer alle gleich aufgebaut?«, setzte Lenz seine Befragung fort.
»In Trakt B ja«, antwortete die Residenz-Leiterin.
»Haben Sie selbst Frau Gerken aufgefunden?«
»Nein, Wolfgang hatte Dienst und war dafür zuständig, die Bewohner in diesem Trakt bei ihrer Morgentoilette zu unterstützen.«
Lenz wandte sich dem Pfleger zu. »Beschreiben Sie uns bitte, wie Sie Frau Gerken aufgefunden haben.«
»Na ja, sie lag ganz normal im Bett, als ich hereinkam. Ich dachte zuerst, sie würde noch schlafen, auch wenn das ungewöhnlich war. In diesem Trakt sind fast alle Bewohner Frühaufsteher. Ich habe versucht, sie zu wecken, und dabei festgestellt, dass sie nicht mehr lebte.«
»Was heißt ›ganz normal‹? Lag sie auf dem Rücken oder auf der Seite?«
»Auf dem Rücken.«
»Und die Hände?«
»Die hatte sie auf der Bettdecke … wie sagt man? … verschränkt.« Wolfgang legte seine Hände wie zum Gebet zusammen und zeigte sie Lenz.
»Hm. Haben Sie noch selbst etwas unternommen oder gleich Frau Finke informiert?«
»Ich habe den Notknopf betätigt und der Stationsleiterin gesagt, sie soll sofort die Notärztin alarmieren. Die kam dann auch kurz darauf und hat den Tod festgestellt.«
»Können Sie sich sonst an irgendetwas Ungewöhnliches erinnern?«
»Nein, wie gesagt: Alles war wie immer.«
»Lag vielleicht etwas auf dem Nachttischchen? Oder auf dem Boden?«
Wolfgang dachte einen Moment nach. »Da waren nur Frau Gerkens Herztabletten auf dem Nachttischchen und ein halb ausgetrunkenes Glas Wasser, sonst nichts.«
»Frau Gerken hatte doch Herzprobleme?«
»Na ja, das haben doch die meisten in dem Alter. Wahrscheinlich war einfach die Tanzveranstaltung am Abend vorher zu viel für sie. Aber dazu kann Ihnen Frau Dr. Reuther Näheres sagen.«
»Wie kommt Herr Merschhaus auf die Idee, dass es sich um einen nicht natürlichen Tod gehandelt hat?«
»Keine Ahnung. Es ist eben einfach schwer, zu sehen, wie in diesem Alter ein Weggefährte nach dem anderen stirbt. Wenn da irgendetwas faul gewesen wäre, hätte Frau Dr. Reuther das gemerkt.«
»Danke«, schloss Lenz die Befragung. »Sie können jetzt gehen.«
Gina Gladow hatte die ganze Zeit über wie unbeteiligt danebengestanden. Nun blickte sie Lenz herausfordernd an.
»Ich denke, wir kommen hier jetzt nicht weiter«, sagte der und wandte sich Kerstin Finke zu. »Die Kollegen von der Spurensicherung werden sich heute noch Herrn Kottmanns Zimmer ansehen. Sorgen Sie bitte dafür, dass niemand es bis dahin betritt. Sobald der DNA-Abgleich gemacht wurde und wir Klarheit haben, melde ich mich bei Ihnen.« Er reichte ihr noch einmal die Hand und nickte ihr freundlich zu. Dann folgte er seiner Kollegin, die schon die Treppe hinablief, ohne sich von der Leiterin zu verabschieden.
Unten in der Halle winkte Gina Gladow Mario lächelnd zu.
»Bis bald?«, rief der Marley-Darsteller hinter ihnen her.
»Vielleicht!« Die Kommissarin lachte.
Als Lenz auf dem Beifahrersitz Platz nahm und sie sich hinter das Steuer schwang, sagte der Hauptkommissar grimmig: »So etwas will ich nicht noch einmal erleben!«
»Was genau meinen Sie?«, hakte die Kommissarin unbeeindruckt nach, startete den Motor und wendete den Wagen routiniert in einem einzigen Anlauf.
»Dass Sie so mit Zeugen umgehen, wie Sie das mit Frau Finke gemacht haben.«
»Die hat Ihnen gefallen, was?«
»Jetzt werden Sie nicht auch noch unverschämt! Frau Finke ist für die Bewohner der Senioren-Residenz verantwortlich. Da ist es ja wohl ganz normal, dass sie Schuldgefühle entwickelt, wenn einer mir nichts, dir nichts verschwindet und drei Tage später ermordet aufgefunden wird.«
»Von Schuldgefühlen habe ich bei der Dame nichts bemerkt«, widersprach Gina Gladow. »Obwohl die ja wirklich angebracht wären. Im Übrigen muss man schon verdammt abgebrüht sein, wenn man alte Nazis beherbergt.«
»Nein, als Leiterin eines Altersheimes muss man sehen, dass man die Kosten deckt. Da sind alle zahlungskräftigen Kunden ein Segen. Und was die Alten angeht: Wenn die sich etwas hätten zuschulden kommen lassen, wären sie nach 1945 verurteilt worden.«
Nun lachte Gina Gladow laut auf. »Wo leben Sie eigentlich? Glauben Sie etwa auch noch an den Klapperstorch? Von denen ist doch kaum einer vor Gericht gekommen. Und wenn doch, dann wurden die Verfahren verschleppt. Die gesamte Justiz und selbst die Adenauer-Regierung waren braun verseucht. Die alten Kameraden haben schon dafür gesorgt, dass keinem von ihnen etwas passiert.« Sie schüttelte den Kopf und schnaufte grimmig. »Das ist ja selbst heute noch nicht anders. Sehen Sie sich doch die Prozesse der letzten Jahre an. Welcher der alten Verbrecher wird denn noch nennenswert verurteilt? Sogar Neonazis können jahrelang ungehindert und gedeckt durch unsere Verfassungsschutzorgane morden. Und wenn sie dann vor Gericht stehen, wie Beate Zschäpe, dauert so ein Prozess Jahre, weil der Rechtsstaat den Tätern die Füße leckt. Wir machen uns doch lächerlich!«
»Was vor Gericht passiert, liegt nicht in unserer Verantwortung«, sagte Lenz so gleichmütig wie möglich. »Wir sind für die Strafverfolgung zuständig. Und Frau Finke hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Deshalb ein für alle Mal: So einen Auftritt wie heute erlauben Sie sich nicht noch einmal. Habe ich mich da klar ausgedrückt?«
»Glasklar, Chef.« Gina Gladow grinste ihn spöttisch von der Seite an. »Von jetzt an kusche ich und mache Männchen, wenn Sie den Raum betreten.«
Lenz hatte Mühe, nicht laut zu werden, als er sich ihr nun ganz zuwandte. »Sie behandeln Ihre Vorgesetzten ab sofort respektvoll und akzeptieren die dienstliche Hierarchie. Sonst werde ich persönlich dafür sorgen, dass Ihre Karriere bei der Kriminalpolizei ein schnelles Ende findet. Und das täte mir aufrichtig leid, denn Sie scheinen im Grunde eine sehr gute Polizistin zu sein.«
Gina Gladow starrte von nun an stur geradeaus, während Lenz aus seinem Seitenfenster blickte und die Landschaft an sich vorbeiziehen ließ, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Er brauchte Zeit, bis seine Wut verraucht war. Was war nur mit ihm los, dass er sich derart aus der Reserve locken ließ?
Die letzte Szene in der Empfangshalle der Senioren-Residenz drängte sich wieder in sein Gedächtnis. Marios Grinsefresse tauchte vor ihm auf und er dachte über die unterschiedlichen Reaktionen seiner jungen Kollegin auf ihn während der Hinfahrt und auf Filz-Mario nach. Daraus sollte mal einer schlau werden. Das ließ sich tatsächlich allenfalls durch den Altersunterschied erklären.
»Sie können ruhig laut denken«, ätzte Gina Gladow vom Fahrersitz aus. »Ich durchschaue Sie sowieso.«