Der Arzt vom Tegernsee Staffel 4 – Arztroman. Laura Martens
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Читать онлайн книгу Der Arzt vom Tegernsee Staffel 4 – Arztroman - Laura Martens страница 36
Er legte den Arm um sie. »Du hast nie von deiner Familie erzählt, von deinem Beruf. Wenn ich dich gefragt hätte, hättest du mir die Wahrheit gesagt?«
»Ja«, erwiderte Melanie spontan. »Ich hätte dich nicht anlügen können.«
»Das ist alles, was ich wissen will.« Jörg nahm sie in die Arme. »Du hast nichts Unrechtes getan. Manche Leute sparen, um eine Reise rund um die Welt zu machen, oder kaufen sich eine Parzelle auf dem Mond. Ich bin froh, daß du dich zu einem Aufenthalt im »Luisenhof« entschieden hast, denn sonst hätten wir uns nie
kennengelernt.« Leidenschaftlich küßte er sie, und Melanie vergaß, wieviel Angst sie vor ihrem Geständnis gehabt hatte. Jörg liebte sie, was jetzt noch kam, konnte sie nicht mehr schrecken.
*
Es geschah nicht oft, daß Dr. Baumann dazu kam, eine längere Wanderung zu machen, doch am Mittwochnachmittag beschloß er, zwei, drei Stunden mal alles hinter sich zu lassen und mit Franzl ein Stück in Richtung Neureuth zu marschieren. Er hatte keine Sprechstunde und auch keine Patienten zur Akupunktur oder Neuraltherapie bestellt.
Katharina Wittenberg hatte dafür gesorgt, daß weder er noch Franzl auf der Wanderung verhungern konnten. »Deinetwegen muß ich mich so plagen«, meinte er, nachdem er auf einem Parkplatz beim Lieberhof seinen Wagen abgestellt hatte und den Rucksack schulterte. »Ich gehe jede Wette ein, daß über die Hälfte des Vespers dir gehört.«
Franzl stellte sich auf die Hinterpfoten, stützte sich mit den Vorderpfoten am Rücken seines Herrchens ab und versuchte, nach dem Rucksack zu schnappen. Da sein Geruchssinn bedeutend besser als Erics ausgebildet war, hatte er längst wahrgenommen, daß es unter anderem auch kalten Braten und Würstchen gab.
»Nichts da, alter Freund.« Eric drehte sich blitzschnell herum. Franzls Vorderpfoten gruben sich ins Gras. Vorwurfsvoll blickte er zu seinem Herrchen auf. »Ohne Fleiß kein Preis«, erklärte der Arzt. »Also komm!«
Innerhalb weniger Minuten hatte Franzl den Rucksack und dessen Inhalt vergessen. Vergnügt rannte er Eric voraus zum Wald. Er wußte zwar, daß dort seine Freiheit ein Ende hatte, weil er in der Nähe seines Herrchens bleiben mußte, doch das tat seiner Freude keinen Abbruch.
Eric spürte, wie die Anspannung der letzten Tage von ihm abfiel. So sehr er seinen Beruf liebte, es gab Situationen, da fragte er sich, weshalb er um alles auf der Welt Arzt geworden war. Erst am Vormittag hatte er einer jungen Mutter sagen müssen, daß sie an Darmkrebs litt, und am Vortag war es seine Pflicht gewesen, einem Elternpaar zu erklären, daß ihr kleiner Sohn an akuter Leukämie litt und es sehr schlecht um ihn stand.
Plötzlich stoppte Franzl. Er stemmte die Vorderpfoten in den Waldboden und kläffte einen Mann an, der aus dem Unterholz kam. Erschrocken blieb der Mann stehen, traute sich kaum, sich zu rühren.
»Franzl, was soll das?« fragte Dr. Baumann unwillig. An und für sich war es nicht die Art seines Hundes, fremde Leute anzubellen. Er griff nach Franzls Halsband. »Entschuldigen Sie bitte«, bat er und sah den Fremden an. Im Grunde genommen wunderte ihn Franzls Reaktion nicht. Der Mann wirkte wenig vertrauenerweckend. Er schien seit Tagen nicht aus seinen Kleidern gekommen zu sein. Trotz des warmen Wetters trug er eine schmuddelige Pudelmütze. Sein Gesicht wurde zum großen Teil von einem stoppeligen Bart bedeckt.
»Schon gut«, antwortete der Fremde.
Eric stutzte. Er hatte diese Stimme schon einmal gehört, da war er ganz sicher. »Kennen wir uns?« fragte er und versuchte, das Gesicht des Mannes mit einem der Menschen in Verbindung zu bringen, die ihm im Laufe der letzten Jahre begegnet waren.
Der Mann holte tief Luft. »Ja, wir kennen uns, Eric«, antwortete er widerwillig. »Allerdings ist es schon lange her.« Er zögerte einen Moment, dann streckte er dem Arzt die Hand entgegen.
Franzl begann mit hochgezogenen Lefzen zu knurren.
»Franzl, jetzt reicht’s!« Eric ergriff die Hand des Mannes. »Tut mir leid, ich…«
Der Mann fuhr mit der linken über seinen Bart. »Vielleicht sollte ich mich mal rasieren. Andererseits…« Er hob die Schultern. »Ich bin Martin Hellwert. Wir haben zusammen studiert.«
»Martin?« Eric konnte es nicht fassen. Er schaute seinem ehemaligen Kommilitonen erneut ins Gesicht. Ja, jetzt konnte er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Martin von früher erkennen. »Bist du auf Urlaub, oder lebst du am Tegernsee?« fragte er.
»Ich lebe hier«, antwortete Dr. Martin Hellwert. »Allerdings nicht direkt am See. Ich habe von einem Herrn Vögele aus Rottach-Egern eine Berghütte in Richtung Neureuth gemietet.«
»Arno Vögele?«
»Du kennst ihn?«
»Ja, er gehört zu meinen Patienten.«
»Stimmt, du hast die Praxis deines Vaters übernommen.«
»Und du? Praktizierst du noch in München?«
Martin Hellwert erstarrte. »Momentan nicht«, erklärte er. »Aber das ist eine lange Geschichte,
Eric.« Er beugte sich zu Franzl hinunter und hielt ihm die Hand hin. Der Hund begann, mißtrauisch an ihr zu schnüffeln, schließlich ließ er sich bewegen, einige Male mit der Rute zu wedeln. So ganz traute er dem Frieden immer noch nicht.
»Hast du etwas Besonderes vor, Martin?« erkundigte sich Eric. »Ich will noch ein Stückchen laufen und mich dann zum Vespern niederlassen. Wenn du Lust hast…«
»Ich wollte zum nächsten Bauernhof, um mich mit allem Notwendigen einzudecken«, fiel ihm Martin ins Wort.
»Schade.« Dr. Baumann dachte nach. »Was würdest du davon halten, mich am Sonntag zu besuchen?« fragte er. »Meine Haushälterin ist eine hervorragende Köchin. Sie würde sich genauso freuen wie ich, wenn du kommen würdest.«
»Es gibt kaum noch Leute, die sich in meiner Gesellschaft wohl fühlen«, sagte Martin Hellwert und blickte an sich hinunter. »Selbst, wenn ich mich anständig kleide, bin ich nicht mehr der Mann, der ich einst gewesen bin.«
»Du wirst uns so willkommen sein, wie du bist«, versprach Eric. »Wir erwarten dich also zum Kaffee und zum Abendessen. Am besten, du kommst so gegen drei.« Er fühlte, daß sein früherer Kommilitone dringend Hilfe brauchte. Irgend etwas mußte in Martins Leben total danebengegangen sein. Er konnte sich noch erinnern, wie begeistert sich Martin ins Studium gestürzt hatte. Er war einer der eifrigsten gewesen, wenn es darum ging, Wissen in sich hineinzustopfen.
»Also, ich komme am Sonntag«, versprach Dr. Hellwert. »Reden wir von alten Zeiten und unseren damaligen Illusionen. Ich dachte, als Arzt müßtest du dich in erster Linie um deine Patienten kümmern, alles andere wäre nebensächlich. Nun, das Leben hat mich eines Besseren belehrt.« Er nickte Eric zu und ging einfach davon, ohne sich mit einem Abschiedsgruß aufzuhalten.
Dr. Baumann schaute ihm nach. Martin Hellwert drehte sich nicht ein einziges Mal um. Mit hängenden Schultern marschierte er den Berg hinunter.
Franzl kläffte herausfordernd. Er wollte weiter.
»Schon gut, mein Freund.« Eric umfaßte mit beiden Händen die Gurte seines