Der Untertan – Entwicklungsroman eines Obrigkeitshörigen. Heinrich Mann

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Der Untertan – Entwicklungsroman eines Obrigkeitshörigen - Heinrich Mann

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war zu machen gegen die gewalttätige Art, in der Mahlmann seine Anleihen aufnahm? Am Sonntag hatte dann der Mecklenburger einen Blumenstrauß für Agnes, und Diederich, der mit leeren Händen kam, hätte sagen können: »Der ist eigentlich von mir, Fräulein.« Indessen schwieg er, mit noch mehr Groll gegen Agnes als gegen Mahlmann. Denn Mahlmann forderte zur Bewunderung heraus, wenn er des Nachts einem Unbekannten nachlief, um ihm den Zylinder einzuschlagen – obwohl Diederich keineswegs die Warnung verkannte, die solch ein Vorgang für ihn selbst enthielt.

      Ende des Monats, zu seinem Geburtstag, bekam er eine unvorhergesehene Summe, die seine Mutter ihm erspart hatte, und erschien bei Göppels mit einem Bukett, keinem zu großen, um sich nicht bloßzustellen, und auch, um Mahlmann nicht herauszufordern. Das junge Mädchen hatte, wie sie es nahm, ein ergriffenes Gesicht, und Diederich lächelte herablassend und verlegen zugleich. Dieser Sonntag deuchte ihm unerhört festlich; er war nicht überrascht, als man in den Zoologischen Garten gehen wollte.

      Die Gesellschaft rückte aus, nachdem Mahlmann sie abgezählt hatte: elf Personen. Alle Frauen unterwegs waren, wie Göppels Schwestern, vollständig anders angezogen als in der Woche: als seien sie heute von einer höheren Klasse oder hätten geerbt. Die Männer trugen Gehröcke: nur wenige in Verbindung mit schwarzen Hosen, wie Diederich, aber viele mit Strohhüten. Kam man durch eine Seitenstraße, war sie breit, gleichförmig und leer, ohne einen Menschen, ohne einen Pferdeapfel. Einmal doch tanzte ein Kreis kleiner Mädchen in weißen Kleidern, schwarzen Strümpfen und ganz behangen mit Schleifen, schrill singend, einen Ringelreihen. Gleich darauf, in der Verkehrsader, stürmten schwitzende Matronen einen Omnibus; und die Gesichter der Kommis, die unnachsichtlich mit ihnen um die Plätze rangen, sahen neben ihren heftig roten zum Umfallen blass aus. Alles drängte vorwärts, alles stürzte einem Ziel zu, wo endlich das Vergnügen anfangen sollte. Alle Mienen sagten hart: »Nu los, gearbeitet haben wir genug!«

      Diederich kehrte vor den Damen den Berliner heraus. In der Stadtbahn eroberte er ihnen mehrere Sitze. Einen Herrn, der im Begriff stand, einen wegzunehmen, hinderte er daran, indem er ihn heftig auf den Fuß trat. Der Herr schrie: »Flegel!« Diederich antwortete ihm im selben Sinn. Da zeigte es sich, dass Herr Göppel ihn kannte, und kaum einander vorgestellt, bekundeten Diederich und der andere die ritterlichsten Sitten. Keiner wollte sitzen, um den anderen nicht stehen zu lassen.

      Am Tisch im Zoologischen Garten geriet Diederich neben Agnes – warum ging heute alles glücklich? –, und als sie gleich nach dem Kaffee zu den Tieren wollte, unterstützte er sie stürmisch. Er war voll Unternehmungslust. Vor dem engen Gang zwischen den Raubtierkäfigen kehrten die Damen um. Diederich trug Agnes seine Begleitung an. »Da nehmen Sie doch lieber mich mit hinein«, sagte Mahlmann. »Wenn wirklich eine Stange losgehen sollte –«

      »Dann machen Sie sie auch nicht wieder fest«, entgegnete Agnes und trat ein, während Mahlmann sein Gelächter aufschlug. Diederich blieb hinter ihr. Ihm war bange: vor den Bestien, die von rechts und links auf ihn zustürzten, ohne anderen Laut als den des Atems, den sie über ihn hinstießen – und vor dem jungen Mädchen, dessen Blumenduft ihm voranzog. Ganz hinten wandte sie sich um und sagte:

      »Ich mag das Renommieren nicht!«

      »Wirklich?« fragte Diederich, vor Freude gerührt.

      »Heute sind Sie mal nett«, sagte Agnes; und er:

      »Ich möchte es eigentlich immer sein.«

      »Wirklich?« – Und jetzt war es an ihrer Stimme, ein wenig zu schwanken. Sie sahen einander an, jeder mit einer Miene, als verdiente er das alles nicht. Das junge Mädchen sagte klagend:

      »Die Tiere riechen aber furchtbar.«

      Und sie gingen zurück.

      Mahlmann empfing sie. »Ich wollte nur sehen, ob Sie nicht ausreißen würden.« Dann nahm er Diederich beiseite. »Na? Was macht die Kleine? Geht es bei Ihnen auch? Ich habe es gleich gesagt, dass es keine Kunst ist.«

      Da Diederich stumm blieb:

      »Sie sind wohl scharf ins Zeug gegangen? Wissen Sie was? Ich bin nur noch ein Semester in Berlin: dann können Sie mich beerben. Aber so lange warten Sie gefälligst –« Auf seinem ungeheuren Rumpf ward sein kleiner Kopf plötzlich tückisch anzusehen. »– Freundchen!«

      Und Diederich war entlassen. Er hatte einen heftigen Schrecken bekommen und wagte sich gar nicht mehr in Agnes’ Nähe. Sie hörte nicht sehr aufmerksam auf Mahlmann, sie rief rückwärts: »Papa! Heute ist es schön, heute geht es mir aber wirklich gut.«

      Herr Göppel nahm ihren Arm zwischen seine beiden Hände und tat, als wollte er fest zudrücken, aber er berührte sie kaum. Seine blanken Augen lachten und waren feucht. Als die Familie Abschied genommen hatte, versammelte er seine Tochter und die beiden jungen Leute um sich und erklärte ihnen, der Tag müsse gefeiert werden; sie wollten die Linden entlang gehen und nachher irgendwo essen.

      »Papa wird leichtsinnig!« rief Agnes und sah sich nach Diederich um. Aber er hielt die Augen gesenkt. In der Stadtbahn benahm er sich so ungeschickt, dass er weit von den anderen getrennt ward; und im Gedränge der Friedrichsstadt blieb er mit Herrn Göppel allein zurück. Plötzlich hielt Göppel an, tastete verstört auf seinem Magen umher und fragte:

      »Wo ist meine Uhr?«

      Sie war fort mitsamt der Kette. Mahlmann sagte:

      »Wie lange sind Sie schon in Berlin, Herr Göppel?«

      »Jawohl!« – und Göppel wendete sich an Diederich. »Dreißig Jahre bin ich hier, aber das ist mir denn doch noch nicht passiert.« Und stolz trotz allem: »Sehen Sie, das gibt’s in Netzig überhaupt nicht!«

      Nun musste man, statt zu essen, auf das Polizeirevier und ein Verhör bestehen. Und Agnes hustete. Göppel zuckte zusammen. »Wir wären jetzt doch zu müde«, murmelte er. Mit künstlicher Jovialität verabschiedete er Diederich, der Agnes’ Hand übersah und linkisch den Hut zog. Auf einmal, mit überraschender Geschicklichkeit und ehe Mahlmann begriff, was vorging, schwang er sich auf einen vorbeifahrenden Omnibus. Er war entkommen! Und jetzt fingen die Ferien an! Er war alles los! Zu Hause freilich warf er die schwersten seiner Chemiebände mit Krachen auf den Boden. Er hielt sogar schon die Kaffeekanne in der Hand. Aber bei dem Geräusch einer Tür begann er sofort, alles wieder aufzulesen. Dann setzte er sich still in die Sofaecke, stützte den Kopf und weinte. Wäre es nicht vorher so schön gewesen! Er war ihr auf den Leim gegangen. So machten es die Mädchen: dass sie manchmal mit einem so taten, und dabei wollten sie einen nur mit einem Kerl auslachen. Diederich war sich tief bewusst, dass er es mit so einem Kerl nicht aufnehmen könne. Er sah sich neben Mahlmann und würde es nicht begriffen haben, hätte eine sich für ihn entschieden. »Was hab’ ich mir nur eingebildet?« dachte er. »Eine, die sich in mich verliebt, muss wirklich dumm sein.« Er litt große Angst, der Mecklenburger könne kommen und ihn noch ärger bedrohen. »Ich will sie gar nicht mehr. Wäre ich nur schon fort!« Die nächsten Tage saß er in tödlicher Spannung bei verschlossener Tür. Kaum war sein Geld da, reiste er.

      Seine Mutter fragte, befremdet und eifersüchtig, was er habe. Nach so kurzer Zeit sei er kein Junge mehr. »Ja, das Berliner Pflaster!«

      Diederich griff zu, als sie verlangte, er solle an eine kleine Universität, nicht wieder nach Berlin. Der Vater fand, dass es ein Für und ein Wider gäbe. Diederich musste ihm viel von Göppels berichten. Ob er die Fabrik gesehen habe. Und war er bei den anderen Geschäftsfreunden gewesen? Herr Heßling wünschte, dass Diederich die Ferien benutze, um in der väterlichen Werkstätte den Gang der Papierverfertigung kennenzulernen. »Ich bin nicht mehr der Jüngste, und mein Granatsplitter hat mich auch schon lange nicht so gekitzelt.«

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