Der Untertan – Entwicklungsroman eines Obrigkeitshörigen. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Der Untertan – Entwicklungsroman eines Obrigkeitshörigen - Heinrich Mann страница 8
Rosa war nicht übel angezogen, auf dem Ball fand sie Bewerber. Damit Diederich noch eine Polka bekam, war er genötigt, sie daran zu erinnern, dass er ihr die Handschuhe gekauft habe. Schon machte er zur Einleitung des Tanzes seine korrekte Verbeugung, da drängte sich unversehens ein anderer dazwischen und polkte mit Rosa von dannen. Betreten sah Diederich ihnen nach, im dunklen Gefühl, dass er hier werde einschreiten müssen. Bevor er sich aber regte, war ein Mädchen durch die tanzenden Paare gestürzt, hatte Rosa geohrfeigt und sie in unzarter Weise von ihrem Partner getrennt. Dies sehen und auf Rosas Räuber losmarschieren, war für Diederich eins.
»Mein Herr«, sagte er und sah ihm fest in die Augen, »Ihr Benehmen ist unqualifizierbar.«
Der andere erwiderte:
»Wennschon.«
Überrascht von dieser ungewöhnlichen Wendung eines offiziellen Gesprächs, stammelte Diederich:
»Knote.«
Der andere erwiderte prompt:
»Schote« – und lachte dabei. Durch so viel Formlosigkeit vollends aus der Fassung gebracht, wollte Diederich sich schon verbeugen und abtreten; aber der andere stieß ihn plötzlich vor den Bauch – und gleich darauf wälzten sie sich zusammen am Boden. Umringt von Gekreisch und anfeuernden Zurufen kämpften sie, bis man sie trennte. Gottlieb Hornung, der Diederichs Klemmer suchen half, rief: »Da reißt er aus« – und war schon hinterher. Diederich folgte. Sie sahen den anderen mit einem Begleiter gerade noch in eine Droschke steigen und nahmen die nächste. Hornung behauptete, die Verbindung dürfe das nicht auf sich sitzen lassen. »So was kneift und bekümmert sich nicht mal mehr um die Dame.« Diederich erklärte:
»Was Rosa betrifft, die ist für mich erledigt.«
»Für mich auch.«
Die Fahrt war aufregend. »Ob wir nachkommen? Wir haben einen lahmen Gaul.« »Wenn der Prolet nun nicht satisfaktionsfähig ist?« Man entschied: »Dann hat die Sache offiziell nicht stattgefunden.«
Der erste Wagen hielt im Westen vor einem anständigen Haus. Diederich und Hornung trafen ein, wie das Tor zugeschlagen ward. Entschlossen postierten sie sich davor. Es ward kühl, sie marschierten hin und her vor dem Hause, zwanzig Schritte nach links, zwanzig Schritte nach rechts, behielten immer die Tür im Auge und wiederholten immer dieselben ernsten und weittragenden Reden. Nur Pistolen kamen hier in Frage! Diesmal war die Ehre der Neu-Teutonia teuer zu bezahlen! Wenn es nur kein Prolet war!
Endlich kam der Portier zum Vorschein, und sie nahmen ihn ins Verhör. Sie suchten ihm die Herren zu beschreiben, fanden aber, dass die beiden keine besonderen Kennzeichen hatten. Hornung, noch leidenschaftlicher als Diederich, blieb dabei, dass man warten müsse, und noch zwei Stunden lang marschierten sie hin und her, dann bogen aus dem Hause zwei Offiziere. Diederich und Hornung rissen die Augen auf, ungewiss, ob hier nicht ein Irrtum vorlag. Die Offiziere stutzten. Einer schien sogar zu erbleichen. Da entschloss Diederich sich. Er trat vor den Erbleichten hin.
»Mein Herr –«
Die Stimme versagte ihm. Der Leutnant sagte, verlegen: »Sie irren sich wohl.«
Diederich brachte hervor:
»Durchaus nicht. Ich muss Genugtuung fordern. Sie haben sich –«
»Ich kenne Sie ja gar nicht«, stammelte der Leutnant. Aber sein Kamerad flüsterte ihm etwas zu: »So geht das nicht« – er ließ sich von dem anderen die Karte geben, legte seine eigene dazu und überreichte sie Diederich. Diederich gab die seine her; dann las er: »Albrecht Graf Tauern-Bärenheim«. Da nahm er sich nicht mehr die Zeit, auch die andere zu lesen, sondern begann kleine, eifrige Verbeugungen zu vollführen. Der zweite Offizier wandte sich inzwischen an Gottlieb Hornung.
»Mein Freund hat den Scherz natürlich ganz harmlos gemeint. Er wäre selbstverständlich zu jeder Genugtuung bereit; ich will nur feststellen, dass eine beleidigende Absicht nicht vorliegt.«
Der andere, den er dabei ansah, hob die Schultern. Diederich stammelte: »O danke sehr.«
»Damit ist die Sache wohl erledigt«, sagte der Freund; und die beiden Herren entfernten sich.
Diederich stand noch da, die Stirn feucht und mit befangenen Sinnen. Plötzlich seufzte er tief auf und lächelte langsam.
Nachher auf der Kneipe war die Rede nur von diesem Vorfall. Diederich rühmte den Kommilitonen das wahrhaft ritterliche Verhalten des Grafen.
»Ein wirklicher Edelmann verleugnet sich doch nie.«
Er machte den Mund klein wie ein Mausloch und stieß in langsamer Schwellung die Worte hervor:
»F – formen sind doch kein leerer Wahn.«
Immer wieder rief er Gottlieb Hornung als Zeugen seines großen Augenblickes auf.
»So gar nichts Steifes, wie? Oh! Auf einen doch immerhin gewagten Scherz kommt es solchem Herrn nicht an. Eine Haltung dabei: t–hadellos, kann ich euch sagen. Die Erklärungen Seiner Erlaucht waren so durchaus befriedigend, dass ich meinerseits unmöglich –: Ihr begreift, man ist kein Raubein.«
Alle begriffen es und bestätigten Diederich, dass die Neu-Teutonia in dieser Sache durchaus anständig abgeschnitten habe. Die Karten der beiden Edelleute wurden bei den Füchsen umhergereicht und zwischen den gekreuzten Schlägern am Kaiserbild befestigt. Kein Neu-Teutone, der sich heute nicht betrank.
Damit endete das Semester; aber Diederich und Hornung hatten für die Heimreise kein Geld. Das Geld fehlte ihnen schon längst für fast alles. Mit Rücksicht auf die Pflichten des Verbindungslebens war Diederichs Wechsel auf zweihundertfünfzig Mark erhöht worden; und doch übermannten ihn die Schulden. Alle Quellen schienen ausgepumpt, nur dürres Land sah man, verschmachtend, sich dahindehnen – und endlich musste man wohl, so wenig dies Rittern angestanden hätte, über die Zurückforderung dessen beraten, was sie selbst im Lauf der Zeiten an Kommilitonen verliehen hatten. Gewiss war mancher alte Herr inzwischen zu großen Geldern gelangt. Hornung fand keinen; Diederich verfiel auf Mahlmann.
»Bei dem geht es«, erklärte er. »Der war bei gar keiner Verbindung: ein ganz gemeiner Ruppsack. Dem werd’ ich mal auf die Bude steigen.«
Aber als Mahlmann ihn erblickte, brach er ohne Weiteres in sein riesenhaftes Lachen aus, dass Diederich fast vergessen hatte und das ihn sofort unwiderstehlich herabstimmte. Mahlmann war taktlos! Er hätte doch fühlen sollen, dass hier in seinem Patentbureau mit Diederich die ganze Neu-Teutonia moralisch zugegen war, und hätte Diederich um ihretwillen Achtung erweisen sollen. Diederich hatte den Eindruck, als sei er aus der kraftspendenden Gesamtheit jäh herausgerissen und stehe hier als einzelner Mensch vor einem anderen. Eine nicht vorhergesehene, unliebsame Lage! Um so unbefangener trug er seine Sache vor. Oh! Er wolle kein Geld zurück, das würde er einem Kameraden niemals zugemutet haben! Mahlmann möge nur so gefällig sein, ihm für einen Wechsel zu bürgen. Mahlmann lehnte sich in seinen Schreibsessel zurück und sagte breit und selbstverständlich:
»Nein.«
Diederich, betroffen:
»Wieso, nein?«
»Bürgen