Der Untertan – Entwicklungsroman eines Obrigkeitshörigen. Heinrich Mann

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Der Untertan – Entwicklungsroman eines Obrigkeitshörigen - Heinrich Mann

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Trauersalamander wurden gerieben, die für Diederichs alten Herrn bestimmt waren, aber die auch ihm und seiner schönsten Blütezeit gelten konnten. Vor lauter Hingabe gelangte er unter den Tisch, wie am Abend seiner Aufnahme als Kon-Kneipant; und war nun alter Herr.

      Arg verkatert stand er tags darauf, inmitten anderer jungen Leute, die alle, wie er selbst, ganz nackt ausgezogen waren, vor dem Stabsarzt. Dieser Herr sah angewidert über all das männliche Fleisch hin, das ihm unterbreitet war; an Diederichs Bauch aber ward sein Blick höhnisch. Sofort grinsten alle ringsum, und Diederich blieb nichts übrig, als auch seinerseits die Augen auf seinen Bauch zu senken, der errötet war … Der Stabsarzt hatte seinen vollen Ernst zurück. Einem, der nicht so scharf hörte, wie es Vorschrift war, erging es schlecht, denn man kannte die Simulanten! Ein anderer, der noch dazu Levysohn hieß, bekam die Lehre: »Wenn Sie mich wieder mal hier belästigen, dann waschen Sie sich wenigstens!« Bei Diederich hieß es:

      »Ihnen wollen wir das Fett schon wegkurieren. Vier Wochen Dienst, und ich garantiere Ihnen, dass Sie aussehen wie ein Christenmensch.«

      Damit war er angenommen. Die Ausgemusterten fuhren so schnell in ihre Kleider, als brennte die Kaserne. Die für tauglich Befundenen sahen einander prüfend von der Seite an und entfernten sich zaudernd, als erwarteten sie, dass eine schwere Hand sich ihnen auf die Schultern lege. Einer, ein Schauspieler mit einem Gesicht, als sei ihm alles eins, kehrte um, stellte sich nochmals vor den Stabsarzt hin und sagte laut, mit sorgfältiger Aussprache: »Ich möchte noch hinzufügen, dass ich homosexuell bin.«

      Der Stabsarzt wich zurück, er war ganz rot. Stimmlos sagte er: »Solche Schweine können wir allerdings nicht brauchen.«

      Diederich drückte den künftigen Kameraden seine Entrüstung aus über ein so schamloses Verfahren. Dann sprach er noch den Unteroffizier an, der vorher an der Wand seine Körperlänge gemessen hatte, und beteuerte ihm, dass er froh sei. Trotzdem schrieb er nach Netzig an den praktischen Arzt Dr. Heuteufel, der ihn als Jungen im Hals gepinselt hatte: ob der Doktor ihm nicht bescheinigen wolle, dass er skrofulös und rachitisch sei. Er könne sich doch nicht ruinieren lassen mit der Schinderei. Aber die Antwort lautete, er solle nur nicht kneifen, das Dienen werde ihm trefflich bekommen. So gab Diederich denn sein Zimmer wieder auf und fuhr mit seinem Handkoffer in die Kaserne. Wenn man schon vierzehn Tage dort wohnen musste, konnte man solange die Miete sparen.

      Sofort ging es mit Reckturnen, Springen und anderen atemraubenden Dingen an. Kompagnieweise ward man in den Korridoren, die ›Rayons‹ hießen, ›abgerichtet‹.

      Leutnant von Kullerow trug eine unbeteiligte Hochnäsigkeit zur Schau, die Einjährigen betrachtete er nie anders als mit einem zugekniffenen Auge. Plötzlich schrie er: »Abrichter!« und gab den Unteroffizieren eine Instruktion, worauf er sich verachtungsvoll abwandte. Beim Exerzieren im Kasernenhof, beim Gliederbilden, Sichzerstreuen und Platzwechseln ward weiter nichts beabsichtigt, als die »Kerls« umherzuhetzen. Ja, Diederich fühlte wohl, dass alles hier, die Behandlung, die geläufigen Ausdrücke, die ganze militärische Tätigkeit vor allem darauf hinzielte, die persönliche Würde auf ein Mindestmaß herabzusetzen. Und das imponierte ihm; es gab ihm, so elend er sich befand, und gerade dann, eine tiefe Achtung ein und etwas wie selbstmörderische Begeisterung. Prinzip und Ideal war ersichtlich das Gleiche wie bei den Neu-Teutonen, nur ward es grausamer durchgeführt. Die Pausen der Gemütlichkeit, in denen man sich seines Menschentums erinnern durfte, fielen fort. Jäh und unabänderlich sank man zur Laus herab, zum Bestandteil, zum Rohstoff, an dem ein unermesslicher Wille knetete. Wahnsinn und Verderben wäre es gewesen, auch nur im geheimsten Herzen sich aufzulehnen. Höchstens konnte man, gegen die eigene Überzeugung, sich manchmal drücken. Diederich war beim Laufen gefallen, der Fuß tat ihm weh. Nicht, dass er gerade hätte hinken müssen, aber er hinkte und durfte, wie die Kompagnie ›ins Gelände‹ marschierte, zurückbleiben. Um dies zu erreichen, war er zunächst an den Hauptmann selbst herangetreten. »Herr Hauptmann, bitte –« Welche Katastrophe! Er hatte in seiner Ahnungslosigkeit vorwitzig das Wort an eine Macht gerichtet, von der man stumm und auf den Knien des Geistes Befehle entgegenzunehmen hatte! Der man sich nur ›vorführen‹ lassen konnte! Der Hauptmann donnerte, dass die Unteroffiziere zusammenliefen, mit Mienen, in denen das Entsetzen vor einer Lästerung stand. Die Folge war, dass Diederich stärker hinkte und einen Tag länger vom Dienst befreit werden musste.

      Unteroffizier Vanselow, der für die Untat seines Einjährigen verantwortlich war, sagte zu Diederich nur: »Das will ein gebildeter Mensch sein!« Er war es gewohnt, dass alles Unheil von den Einjährigen kam. Vanselow schlief in ihrem Mannschaftszimmer hinter einem Verschlag. Nach dem Lichtlöschen zoteten sie, bis der Unteroffizier empört dazwischenschrie: »Das wollen gebildete Leute sein!« Trotz seiner langen Erfahrung erwartete er immer noch von den Einjährigen mehr Geist und gute Haltung als von den anderen Leuten und war immer neu enttäuscht. In Diederich sah er keineswegs den Schlimmsten. Das Bier, das einer zahlte, entschied nicht allein über Vanselows Meinung. Noch mehr sah Vanselow auf den soldatischen Geist freudiger Unterwerfung, und den hatte Diederich. In der Instruktionsstunde konnte man ihn den anderen als Muster vorhalten. Diederich zeigte sich ganz erfüllt von den militärischen Idealen der Tapferkeit und der Ehrliebe. Was die Abzeichen und die Rangordnung betraf, so schien der Sinn dafür ihm angeboren. Vanselow sagte: »Jetzt bin ich der Herr Kommandierende General«, und auf der Stelle benahm Diederich sich, als glaubte er es. Wenn es aber hieß: »Jetzt bin ich ein Mitglied der königlichen Familie«, dann war Diederichs Verhalten so, dass es dem Unteroffizier ein Lächeln des Größenwahns abnötigte.

      Im Privatgespräch in der Kantine eröffnete Diederich seinem Vorgesetzten, dass er vom Soldatenleben begeistert sei. »Das Aufgehen im großen Ganzen!« sagte er. Er wünsche sich nichts auf der Welt, als ganz dabei zu bleiben. Und er war aufrichtig – was aber nicht hinderte, dass er am Nachmittag, bei den Übungen ›im Gelände‹, keinen anderen Wunsch mehr kannte, als sich in den Graben zu legen und nicht mehr vorhanden zu sein. Die Uniform, die ohnedies, aus Rücksichten der Strammheit, zu eng geschnitten war, ward nach dem Essen zum Marterwerkzeug. Was half es, dass der Hauptmann, bei seinen Kommandos, sich unsäglich kühn und kriegerisch auf dem Pferd herumsetzte, wenn man selbst, rennend und schnaufend, die Suppe unverdaut im Magen schlenkern fühlte. Die sachliche Begeisterung, zu der Diederich völlig bereit war, musste zurücktreten hinter der persönlichen Not. Der Fuß schmerzte wieder; und Diederich lauschte auf den Schmerz, in der angstvollen, mit Selbstverachtung verbundenen Hoffnung, es möchte schlimmer werden, so schlimm, dass er nicht wieder ›ins Gelände‹ hinaus musste, dass er vielleicht nicht einmal mehr im Kasernenhof üben konnte und dass man genötigt war, ihn zu entlassen!

      Es kam dahin, dass er am Sonntag den alten Herrn eines Korpsbruders aufsuchte, der Geheimer Sanitätsrat war. Er müsse ihn um seinen Beistand bitten, sagte Diederich, rot vor Scham. Er sei begeistert für die Armee, für das große Ganze und wäre am liebsten ganz dabei geblieben. Man sei da in einem großartigen Betrieb, ein Teil der Macht sozusagen und wisse immer, was man zu tun habe: das sei ein herrliches Gefühl. Aber der Fuß tue nun einmal weh. »Man darf es doch nicht so weit kommen lassen, dass er unbrauchbar wird. Schließlich habe ich Mutter und Geschwister zu ernähren.« Der Geheimrat untersuchte ihn. »Neu-Teutonia sei’s Panier«, sagte er. »Ich kenne zufällig Ihren Oberstabsarzt.« Hiervon war Diederich durch seinen Korpsbruder unterrichtet. Er empfahl sich, voll banger Hoffnung.

      Die Hoffnung bewirkte, dass er am nächsten Morgen kaum noch auftreten konnte. Er meldete sich krank. »Wer sind Sie, was belästigen Sie mich?« – und der Stabsarzt maß ihn. »Sie sehen aus wie das Leben, Ihr Bauch ist auch schon kleiner.« Aber Diederich stand stramm und blieb krank; der Vorgesetzte musste sich zu einer Untersuchung herbeilassen. Als er den Fuß zu Gesicht bekam, erklärte er, wenn er sich nicht eine Zigarre anzünde, werde ihm unwohl werden. Trotzdem war nichts zu finden an dem Fuß. Der Stabsarzt stieß ihn entrüstet vom Stuhl. »Macht Dienst, Schluss, abtreten« – und Diederich war erledigt. Mitten im Exerzieren aber schrie er plötzlich auf und fiel um. Er ward ins ›Revier‹ gebracht, den Aufenthalt der Leichterkrankten, wo es nach Volk roch und nichts zu essen gab. Denn die Selbstbeköstigung, die den

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