Der Herr auf der Galgenleiter. Hugo Bettauer

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Der Herr auf der Galgenleiter - Hugo Bettauer

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blitzschnell eine ganze geworden war. Von da an lebte er nur mehr für die Börse, verfolgte fieberhaft alle Bewegungen, sammelte Informationen, gab nun schon dem Bankhaus Schwarzseher & Lustig selbständig Aufträge, mitunter so umfangreicher Art, daß er kaum bis zu dreißig Prozent gedeckt war. Und aus der einen Million wurden fünf und aus den fünf zehn.

      Vor genau zwei Jahren war diese Ziffer erreicht, und an diesem Tag verließ Lothar seine Stellung bei Rechtsanwalt Laufer, verabschiedete sich herzlich, aber mit Nachdruck, auch von Grete, da man schließlich so eine Liebesgeschichte nicht bis in die Unendlichkeit ausdehnen konnte, bezog die feudale Junggesellenwohnung bei Frau Beschke, nahm einen Diener, den Paul, und begann das Leben eines Grandseigneurs zu führen.

      Die Krone fiel und fiel, die Börsengewinne stiegen ins Unermeßliche. Mit feinem Instinkt für die jeweilig herrschende Tendenz warf sich Lothar mit ganzer Kraft auf die Papiere, die aufwärts strebten, er erwarb große Posten galizischer Petroleumaktien, tauschte sie im richtigen Augenblick gegen tschechische Papiere um, nahm an der großen Staatsbahnbewegung teil, verkaufte mit Glück fast immer vor jedem Rückschlag, um zu niedrigen Kursen wieder zu kaufen, verwandelte entbehrliche Millionen in Devisen auf Zürich, Amsterdam, Paris und Rom, und heute, nun heute war Lothar Leichtwag einer von denen, die man mit Hohn und Wut, mit Haß und Bewunderung Kronenmilliardäre nannte.

      III. Kapitel

      Der dreiunddreißigjährige Kronenmilliardär war am Schottentor angelangt und blieb unschlüssig stehen. Sein Magen knurrte, und er überlegte, ob er nicht ins Café Landtmann gehen und rasch frühstücken sollte, erinnerte sich aber, daß er kein Geld bei sich hatte. Hätte natürlich weggehen können, ohne zu bezahlen, da er dort Stammgast war. Aber nein, lieber zuerst sich um die Börse kümmern und Geld holen. Und aufgeräumt ging er über den Schottenring, um in die Wipplingerstraße einzubiegen.

      Himmel! Wenn mir das vor fünf Jahren passiert wäre, daß ich um zwölf Uhr noch mit leerem Magen hätte umherrennen müssen! Mit welch bolschewistischem Ingrimm würde ich die Fäuste geballt, die Menschen verflucht, den Kapitalismus zur Hölle gewünscht haben! Und heute? Ganz sympathische kleine Hungerkur mit der Gewißheit, daß das Mittagessen um so herrlicher munden wird.

      In der Wipplingerstraße drückte sich Lothar dicht an die Mauer eines Hauses, aus dessen offenen Hochparterrefenstern das Tippen einer Schreibmaschine erklang. Und ein Schatten flog über sein hübsches Gesicht.

      Da saß nun Grete an der Schreibmaschine und plagte sich, während er – na ja, das ist eben so und nicht anders, und sie würde sich schon trösten. Vielleicht mit dem neuen Konzipienten des Herrn Laufer, der ja ein ganz netter Kerl ist. Wenn sie bei ihm anklopfen wollte wegen einer Mitgift, er ließe sich sicher nicht lumpen. Aber davon konnte keine Rede sein, das Mädel war stolz wie eine Herzogin. Dumm sind die Weiber, wissen oft gar nicht, wie leicht das Leben zu deichseln ist.

      Nun war Lothar in der Wollzeile angekommen. Was war denn da wieder los? Gerade vor dem Hause der Firma Schwarzseher & Lustig wimmelte es von Menschen, gestikulierenden, kreischenden, aufgeregten Männern und Frauen. Ein Schutzmann schrie: »Bitte, weitergehen!« Niemand ging aber weiter, es brandete und wogte gerade vor dem Hause der Bankiers.

      IV. Kapitel

      Unklare, verschwommene Gedanken huschten im Bruchteil einer Sekunde durch das Gehirn Lothars. Die Rollbalken waren geschlossen. In der Menschenmasse erkannte er Gesichter, die er oft in den Schalterräumen des Bankhauses gesehen hatte. War das nicht der alte Buchhalter Elias? Was konnte geschehen sein? Wieder einmal Demonstrationen? Plünderungen? Oder ein Unfall?

      Und aus dem tiefsten Unterbewußtsein huschten in Lothar, während er sich durch die Menschen drängte, blitzartig dumpfe Empfindungen, Fragen, Angstgefühle auf. Warum habe ich mein ganzes Vermögen bei einem Bankhaus liegen? Ist dieser Schwarzseher nicht das Prototyp des leichtsinnigen Hasardeurs? Ja, aber Lustig bremst und ist solid wie ein Felsblock. Und sicher verfügen die beiden über ungeheuere Reichtümer. Was aber ist los?

      Nun stand Lothar Leichtwag vor dem Haustor, das von zwei Schutzleuten flankiert wurde. Und plötzlich sah er neben sich ein graues, kleines Männchen, Herrn Elias, und dieses Männchen schluchzte, während ringsumher Leute wie toll auf ihn einschrien.

      »Diese verfluchten Hunde!Diese Diebe!«

      »Alles, was mir mein armer Mann hinterlassen, liegt drinnen!«

      »Lynchen muß man diesen Gauner, den Schwarzseher!«

      »Kunststück, sich aufzuhängen, wenn man Tausende von Existenzen ruiniert hat!«

      Fassungslos sah Lothar um sich. Es schwindelte ihm, und in den Knien fühlte er Bleiklumpen.

      »Herr Elias, um Himmels willen, was ist denn geschehen?«

      Mit diesen Worten packte er den schluchzenden Buchhalter am Arm und zog ihn an den Schutzleuten vorbei unter das Tor.

      »Was geschehen ist? Sie wissen noch nichts? Es steht doch schon in der Mittagszeitung.«

      »Nichts weiß ich! Was steht in der Mittagszeitung, reden Sie doch endlich und hören Sie auf, zu heulen wie ein kleines Kind!«

      »Herr Doktor, wenn Sie wie ich dreißig Jahre in diesem Hause gedient hätten – und jetzt, die Schande und die Beschimpfungen, als wenn ich was dafür könnte.«

      »Reden Sie schon endlich einmal, Mensch«, brüllte Lothar, um den sich die Welt zu drehen begann. »Was ist denn geschehen?«

      »Was geschehen ist? Herr Lustig hat sich heute nacht im Bureau erhängt und die Kassen sind leer!«

      Lothar griff sich an den Hals, in dem er ein Würgen und Brennen zu verspüren glaubte.

      »Was, Herr Lustig – sich aufgehängt – die Kassen sind leer – Herr Elias, sind Sie verrückt?«

      »Ich wollte, ich wäre es«, sagte der alte Mann wehmütig, »ich gebe gerne mein bißchen Verstand dafür her, wenn das Ganze nur ein böser Traum wäre.«

      Und endlich begann er zusammenhängend zu berichten: »Am vergangenen Samstag, also vor sechs Tagen, ist Herr Lustig auf dringenden Wunsch des Herrn Börsenrates in geschäftlichen Angelegenheiten nach Budapest gefahren, um dort wegen einer Aktiengründung zu verhandeln. Am nächsten Tag, am Sonntag, ist der Herr Börsenrat, was ja öfters vorzukommen pflegte, allein ins Bureau gekommen, wo er sich ein paar Stunden lang aufhielt. Montag früh kam er nicht, sondern es wurde dem Prokuristen ein Brief gebracht, in dem Herr Schwarzseher mitteilte, daß er in dringender Angelegenheit nach Berlin müsse und erst Ende der Woche zurück sein werde. Die Schlüssel zu dem großen Tresor nehme er mit, da ohnedies keine größeren Zahlungen fällig seien, aber anbei folge der Schlüssel zu dem kleinen Kassenschrank im Kassenraum. Der Prokurist möge über die darin befindlichen Gelder disponieren und heute schon, also vier Tage vor Ultimo, die Gehälter auszahlen, und zwar nicht nur für den abgelaufenen Monat, sondern für das kommende Quartal im vorhinein, damit seine Beamten und Angestellten sich angesichts der fortschreitenden Teuerung mit Lebensmitteln und Bedarfsartikeln für die nächste Zeit eindecken könnten. Wir waren über diese Noblesse des Herrn Schwarzseher ordentlich gerührt, und ich muß Ihnen sagen, Herr Doktor, ich bin es auch jetzt noch, denn nun sehe ich, daß der Herr Börsenrat uns auf diese Weise vor plötzlicher Not hat bewahren wollen.«

      »Weiter, weiter!« drängte Lothar, dessen sich eine seltsame, leichenhafte Ruhe bemächtigt hatte.

      »Nun, gestern hat Herr Lustig aus Budapest

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