Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May

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oder Großmutter gehören mochte. Weil er ihr im Stehen nicht bis auf die Füße reichte, hatte sie sich in den Schnee gekauert, um ganz bedeckt zu sein. Doch zeigte das Schütteln, welches ihre kleine Gestalt immer öfterer überlief, daß ihr die Kälte gar sehr zu schaffen machte.

      In der Ferne sah man Droschken oder reiche Equipagenschlitten mit gallonirten Kutschern und Bedienten vorüberfliegen; die Strahlen der Ladenlichter glänzten verlockend herüber; hierher aber kamen gewiß nur Personen, welche kaum jemals in einem Schlitten gesessen hatten oder in einem solchen Laden gewesen waren.

      Und näherte sich ja Jemand, so begann sogleich der Concurrenzstreit:

      »Äpfel, schöne Weihnachtsäpfel, meine Herrschaften!« rief die Obstfrau. »Die Birne blank, süß und saftig; der reine Zucker und Honig!«

      »Heilige Geister, schöne heilige Geister; ganz neu!« rief der Junge, vor Kälte strampelnd. »Seien Sie doch so gut, und kaufen Sie mir einen ab! Sie halten einen ganzen Winter lang und noch darüber hinaus!«

      Und das kleine Mädchen zur Linken erhob ihr zaghaftes Stimmchen:

      »Hampelmänner und Strampelmänner! Die Arme und Beine wackeln so schön, wenn man am Bindfaden zieht!«

      Hier und da kaufte sich Jemand einiges Obst; aber die beiden Kinder nahmen keinen Pfennig ein. Das Mädchen weinte endlich vor Frost und Kummer leise vor sich hin.

      Zwischen den nahe liegenden Buden ging ein Mann auf und ab, welcher sein Augenmerk auf diese Gruppe gerichtet zu haben schien.

      Da nahte eine Dame, hinter welcher ein Diener mit einem großen Korbe ging.

      »Äpfel! Heilige Geister! Hampelmänner!« wurde ihr entgegen gerufen.

      Sie trat zu dem Knaben und besah sich dessen Waaren.

      »Was ist Dein Vater, mein Kind?« fragte sie mit sanfter Stimme.

      »Ich habe keinen Vater. Meine Mutter hat diese heiligen Geister gemacht. Es kostet einer fünfzehn Pfennige.«

      »Ich kann keinen gebrauchen; aber weil Du so frierst, werde ich Dir Etwas schenken.«

      Sie reichte ihm ein Geldstück hin. Er nahm es, besah es und bedankte sich dann in einem Tone, welcher bewies, daß er ein so reiches Geschenk gar nicht erwartet hatte.

      Das leise weinende Mädchen hatte das gesehen. Sie erhob sich aus dem Schnee und sagte in bittendem Tone, welchem das Weinen anzuhören war:

      »O, Madame, schenken Sie mir doch auch Etwas!«

      Die Angeredete näherte sich ihr und fragte mild:

      »Du weinst, meine Kleine? Dich friert wohl sehr?«

      »Mich friert, und mich hungert. Es kauft mir Niemand Etwas ab, und wir haben nichts zu essen.«

      »Was ist Dein Vater?«

      »Holzspalter. Er hat sich mit der Axt in das Bein gehackt, und nun kann er nicht arbeiten.«

      »Hast Du eine Mutter?«

      »Ja; sie ist Waschfrau. Sie hat sich erkältet; da bekam sie die Gicht, und nun kann sie die Hände und die Füße nicht mehr bewegen.«

      »Hast Du auch noch Geschwister?«

      »Noch fünf. Ich bin die Große.«

      »Welches Elend! Ich brauche keine Hampelmänner, aber ich werde auch Dir Etwas schenken. Hier hast Du Geld und diese Karte; da steht mein Name und meine Wohnung drauf. Gehe jetzt nach Hause, und bringe das Deinem Vater. Er mag zu mir kommen oder schicken, wenn er mehr braucht. Du sollst nicht wieder Hampelmänner feil halten und so frieren wie heute.«

      Ihre Stimme hatte so einen süßen, sympathischen Ton. Diese Dame mußte ein tiefes, herzensgutes Gemüth besitzen!

      Sie hatte sich kaum entfernt, so trat der Mann herbei, welcher während dieser Szene näher getreten war, um zu hören, was gesprochen wurde.

      »Was hat sie Dir gegeben?« fragte er das Mädchen. »Zeig her!«

      Er sagte dies in einem so befehlenden Tone, daß sie es nicht wagte, sich zu sträuben. Sie hatte drei Thaler erhalten, und auf der Karte stand eine Freiherrenkrone und darunter der Name »Alma von Helfenstein«.

      »Du hast gebettelt!« sagte der Mann.

      »Nein; ich habe verkauft!« entschuldigte sich das Kind.

      »Schweig! Ich habe gehört, daß Du sagtest, sie solle Dir auch Etwas geben. Gebettelt darf nicht werden. Deine Hampelmänner sind nur als Deckmantel dieses Unfuges da! Nimm sie und komm mit!«

      Er trat zu der Höckerin, zeigte ihr seine Marke und sagte:

      »Hier! Damit Sie sehen, daß ich Polizist bin. Vorwärts, Mädchen!«

      Sie begann jetzt laut zu weinen, viel lauter als vorher. Sie machte sogar den Versuch, eine Bitte auszusprechen. Es half ihr nichts; sie mußte ihm folgen; das arme Kind, vor einigen Minuten noch so glücklich über die drei blanken Thaler, wurde arretirt. –

      Ganz um dieselbe Zeit schritt ein Mann, der in einen warmen Ueberzieher gehüllt war, über den Hauptmarkt und trat in eines der schönsten Gebäude dieses Platzes. Ein Portier in Livree empfing ihn und that ihm durch ein freundliches, halb respectvolles Kopfnicken kund, daß er passiren könne.

      Der Fußboden bestand aus Marmor, ebenso die Treppe. Warme Lüfte wehten hier, denn der ganze Palast wurde durch Luftheizung gegen die Kälte des Winters geschützt.

      Droben wurde der Mann von einem Diener empfangen, der ihn zu kennen schien und ihm den Ueberzieher abnahm.

      »Guten Abend, Herr Seidelmann« grüßte er.

      »Guten Abend, lieber Friedrich! Ist der Herr Baron noch zu sprechen?«

      »Ja, ich werde Sie sogleich melden!«

      Der Diener ging, um dieses Versprechen zu erfüllen. Herr Seidelmann trat an einen Spiegel, strich sich sein weniges Haar auf dem kahlen, glänzenden Scheitel zurecht, zupfte an seinem weißen Halstuche herum, gab seinem Gesichte einen möglichst ehrwürdigen Ausdruck und trat sodann durch die Thür, welche der Diener ihm soeben öffnete.

      Aus der gegenüber liegenden Thür trat – Baron Franz von Helfenstein. Er war in den zwanzig Jahren magerer geworden, viel älter eigentlich nicht; aber sein Gesicht hatte jenes eigenthümliche Etwas an sich, welches den Roué kennzeichnet und den Menschen, welcher nur durch künstliche Mittel den Schein zu bewahren vermag, daß er sich noch im Besitze der körperlichen Frische befinde.

      Herr Seidelmann machte eine tiefe Verneigung und sagte:

      »Verzeihung, daß ich störe, Herr Baron! Ich komme, mir meine Instructionen zu holen.«

      »Allgemeine oder besondere?« fragte Helfenstein, während er sein Monocle in die Augenhöhle befestigte.

      »Beides!«

      »Dazu habe ich leider jetzt keine Zeit. Man hat mir die Ehre erwiesen, mich zum Dirigenten des hiesigen

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